„Wiener Schule der Kunstgeschichte“ in Prag
„Wiener Schule der Kunstgeschichte“ in Prag
Vom 3. bis zum 5. April 2019 fand in Prag die internationale Tagung "The Influence of the Vienna School of Art History before and after 1918" statt, die vom Kunsthistorischen Institut der Akademie der Wissenschaften veranstaltet wurde. Nach der englischen Begrüßung durch den Leiter Tomáš Winter sprach Mitorganisator Tomáš Hlobil (Foto), der Spezialist für mitteleuropäische Ästhetik vor 1848, auf deutsch von der „Ironie der Geschichte, dass ein Tscheche die deutsche Sprache auf tschechischem Boden verteidigt“! Das war eine nette Geste den österreichischen sowie deutschen Gästen gegenüber, und die Ankündigung in Prag alle zwei Jahre eine Tagung zur Wiener Schule abzuhalten, rief weiteres Erstaunen hervor. Hauptorganisator der Veranstaltung war der junge Kollege Tomáš Murar (Foto), der im Wintersemester 2015 in Wien studiert hat. Da sich so viele Interessenten angemeldet hatten, wurden meist zwei Sektionen parallel geführt.
Erster Redner war der Belvedere-Kurator Alexander Klee, der am Beispiel des aus München stammenden Prager bzw. Wiener Philosophie- bzw. Technik-Professors Friedrich Jodl und der Diskussion über die Universitätsbilder von Klimt (Foto) die These aufstellte, dass das deutsche und österreichische Sprechen über Kunst grundlegend verschieden gewesen seien. Hauptargument dafür ist die Beobachtung, dass die vom Wiener Gründervater Eitelberger mitentwickelte Schulreform in allen Schultypen mindestens 29 Stunden Zeichnen und Geometrie vorsah, während es in Deutschland nur 4 Stunden waren.
Die polnische Referentin Dorota Kownacka betonte die wichtige Rolle des Medailleurs Joseph Daniel Böhm, dessen Bedeutung auch schon bei der Wiener Eitelberger-Tagung aufgezeigt worden war. Regine Prange von der Universität Frankfurt referierte ihre Vermutung, dass der ungarische Philosoph Georg Lukács (dessen Gattin in Wien Kunstgeschichte studierte) nach 1918 versuchte, Marxismus und die Theorien von Riegl und Dvořák, aber auch Sedlmayr unter einen Hut zu bringen, wobei sich seine ästhetischen Ansichten jedoch durch den Einfluss von Marx kaum änderten. Peter Gillgren von der Universität Stockholm stellte den nach Schweden emigrierten Felix Horb vor, der 1923 über die Architekturdarstellung bis Duccio dissertiert hatte. Auf ihn geht angeblich der Titel von Dvořáks Buch „Kunstgeschichte als Geistesgeschichte“ zurück. Als Redakteur der Zeitschrift „Belvedere“ unterstützte Horb auch Sedlmayr. Mit Hilfe sozialistischer Freunde konnte Horb 1939 nach Schweden emigrieren, wo er später als Kurator für Malerei arbeitete. Prof. Gillgren hat für seine Forschungen auch das Archiv unseres Institutes herangezogen.
Die Mittagsektion fand im österreichischen Kulturforum statt (Foto) und bot einen Festvortrag unseres Emeritus Artur Rosenauer (Foto). Als letzter Vertreter der „Wiener Schule“ auf einem Lehrstuhl zeigte er sich begeistert von der „längst fälligen Idee“ der Tagung über die „Wiener Schule“ zu einem Zeitpunkt, wo es in Wien keinen Ordinarius mit Wiener Ausbildung mehr gibt. Als „Zeitzeuge“ und „lebendige Reliquie“ wollte er einige allgemeine Informationen sowie persönliche Erinnerungen beisteuern. Der Begriff „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ sei erstmals 1909 fassbar und schon damals als Abgrenzung zur zweiten Lehrkanzel des „Gegenpapstes“ Josef Strzygowski verstanden worden. Tatsächlich habe es aber nie eine methodische Homogenität sowie ein kompaktes Lehrgebäude, sondern immer eine Vielfalt von unterschiedlichen Persönlichkeiten gegeben. Charakteristisch seien einerseits eine exakte Methode, andererseits die „Ehrenrettung“ von unklassischen Phänomenen von der spätrömischen Kunstindustrie (Alois Riegl) bis zum Historismus (Renate Wagner-Rieger) gewesen. Die jüngere Wiener Schule der Dreißiger Jahre war durch einen strengen Formalismus (parallel zur Neuen Sachlichkeit) und Einflüsse von Psychologie und Philosophie gekennzeichnet. Er selbst habe drei Vorlesungen zur Wiener Schule gehalten und 1962 erstmals eine Exkursion nach Prag miterlebt. Dabei habe er auch den in Wien ausgebildeten Kunsthistorikertheologen Josef Cibulka kennen gernt. Weiters berichtete er von einer Fahrt zum Grab Dvořáks 1996 sowie von der Förderung tschechischer Kollegen durch die Herderstiftung seit den 1960 sowie durch die amerikanische Kressfoundation in den 1980er Jahren.
Cibulka wurde auch im anschließenden Vortrag des Wiener Institutsarchivars Friedrich Polleroß genannt. Zwar besitzt das Institutsarchiv keine Studienunterlagen von ihm, er wurde aber als Studienkollege sowie Kooperationspartner von Prof. Swoboda erwähnt. Vorgestellt wurden Quellen zu den in Böhmen und Mähren geborenen Wiener Kunsthistorikern, darunter der jüdische Dozent Max Eisler, zu dem vor kurzem eine erste Biographie von Evelyn Adunka erschienen ist, sowie die Emigranten Hans Tietze und Heinrich Schwarz (Foto) oder der Heiligenkreuzer Giuliani-Forscher P. Hadmar Borowan. Umfangreicheres Material besitzt das Institutsarchiv zum Kunstsammler Oswald von Kutschera-Woborsky, dessen Kunstsammlung auf das KHM, Belvedere, die Akademiegalerie und die Albertina aufgeteilt wurde, sowie zu den Professoren Max Dvořák und Karl M. Swoboda. Von ersterem konnten Kinderfotos- und tschechische Kinderbriefe (Fotos) sowie ein Plagiatsstreit im Zusammenhang mit seinen frühen Forschungen zur Buchmalerei erstmals präsentiert werden. Bei dem von 1934-45 an der Deutschen Universität Prag tätigen Swoboda musste hingegen die Stilisierung als Opfer der Nazis und insgeheimer Widerstandskämpfer in Frage gestellt werden (Fotos).
Petra Hečková referierte über die fachliche Trennung von Kunsthistorikern und Archäologen nach Winkelmann sowie über den Einfluss von Riegls „Spätrömischer Kunstindustrie“ auf die tschechischen Archäologen nach 1918. Tomáš Murar, der sich in seiner Dissertation mit Fritz Novotny und dessen Arbeiten zur modernen Kunst beschäftigen will, stellte die rhetorische Frage nach einer „Prager Schule der Kunstgeschichte“. Die erste Garde der Wiener Absolventen - neben Cibulka waren dies die Universitätsprofessoren Vojtěch Birnbaum und Antonin Matějček sowie der Picasso-Sammler Vincenc Kramář – prägten die jüngere Generation. Deren (katholische) Schüler Růžena Vacková und Oldřich Stefan kamen unter den Kommunisten ins Gefängnis, während andere wie Zdeněk Wirth und Jaromír Neumann im Sinne der Partei eine marxistische Kunstgeschichte betrieben. Tereza Johanidesová, ebenfalls von der Prager Akademie, berichtete von einem Revival von Dvořák unter marxistischen Vorzeichen. Bei der Tagung der kommunistischen Kunsthistoriker 1951 hatte Neumann den „Idealismus“ von Dvořák und seinen Schülern noch kritisiert, aber durch seine Breughel-Studien wurde der Wiener Ordinarius in den 1960er Jahren zum „Großvater der marxistischen Ikonologie“. In der Parallelsektion gab es u.a. Vorträge von Benjamin Binstock aus New York, über Riegls Rembrandt-Studien sowie von Eleonora Gaudieri (Foto), die bei Prof. Schütze über Riegls Barockvorlesung dissertiert.
Am zweiten Tag hielt Michael Young von der University of Connectucut, der zur Vorbereitung seines Vortrages ebenfalls das Institutsarchiv konsutliert hatte, einen spannenden Vortrag über Oskar Pollak. Dieser Schulfreund von Franz Kafka sollte zunächst ebenfalls Chemie studieren. Mit dem Archäologen Ludwig Pollak war er nur durch seine Hauslehrertätigkeit bei dessen Neffen bekannt, aber der in Rom tätige Gelehrte vermittelte Oskar nach dem Studium in Prag offensichtlich an die Wiener Universität. Pollak galt als bester (philologisch-quellenkundlicher) Schüler Dvořáks und war ein Spezialist für Archivarbeiten in Rom (und in seinem Nachlass haben sich auch einige Originale aus römischen Pfarrarchiven erhalten…). Im Sinne seines Lehrers beklagte Pollak auch die Zerstörung des alten Prag durch „Mietshauskasernen“. Young skizzierte jedoch eine interessante politische Meinungsänderung des Kunsthistorikers: als junger Prager Jude war Pollak liberal-deutschnational eingestellt gewesen (um 1900 waren etwa 10 Prozent der Prager Bevölkerung Deutsche und 5 Prozent Juden, die sich natürlich gegen die Mehrheitsbevölkerung behaupten mussten), in Rom entwickelte er sich jedoch zum Anhänger des Kaisertums, weshalb er 1915 freiwillig in den Kriege gegen Italien (!) zog und bei einem Unfall ums Leben kam. Diese Gesinnungsänderung lässt sich am Untertitel seiner Prager Dissertation über die Bildhauerfamilie Brokoff nachweisen: galten diese auf dem Manuskript noch als „deutsche“ Künstler, so wurden bei der Drucklegung aus ihnen „Österreicher“. Dieser politischen Spaltung entspreche nach Meinung von Young auch die Zweiteilung des Wiener Instituts in eine Lehrkanzel von Strzygowski und eine von Dvořák! Pollak hat nicht weniger als 62 Artikel für den Thieme-Becker beigesteuert, sein reicher Quellenfundus zur Kunstpolitik Urbans VIII. sowie zu den römischen Stadtführern wurden jedoch erst nach dem Tod mit mehrjähriger Verspätung von Dagobert Frey und Ludwig Schudt veröffentlicht. Wie auch ein jüngst erschienen Aufsatz von Arnold Witte belegt, haben dabei die beiden Herausgeber sich auf Kosten von Pollak wissenschaftliches Prestige verschafft. Da Frey später ein ausgewiesener Nazi war, könnte hier schon 1930 der Antisemitismus mitgespielt haben. Zum Vortrag war auch Pollaks Großnichte Dana Nachtigallová erschienen (Foto), die einen Brief des Ehepaares Kokoschka über Pollak mitbrachte (Foto).
Katia Mahnič aus Laibach berichtete über den in Wien ausgebildeten ersten Kunsthistoriker Sloweniens Josip Mantuani (1866-1933). Da dieser zuerst an der Hofbibliothek tätige Wickhoff-Schüler und als erster Direktor des slowenischen Nationalmuseums vorwiegend mit Organisationsproblemen beschäftigte Kunsthistoriker in Wiener Tradition Quellenstudium betrieb und sich auch mit Musikwissenschaft sowie Volkskunde beschäftigte, wurde er von der jüngeren Generation der in Wien ausgebildeten Kunsthistoriker als „Polyhistor“ abqualifiziert und geriet lange in Vergessenheit. Ty Vanover, der in Berkeley über Sexualität und Medizin in der Kunst um 1900 dissertiert, berichtete über Imre Henszlmann, einen ungarischen Böhm-Schüler, der besonders die materiell-technischen Grundlagen der Kunstgeschichte betonte. Dies dürfte mit ein Grund gewesen sein, dass das nationale Selbstbewusstsein der Ungarn bzw. der nationale Stil sich nicht zuletzt in der Materialität von Produkten der 1853 in Pecs gegründeten Porzellanfabrik Zolnay visualisierten. Die neue Technik des Pyrogranite wurde vor allem bei den bunten Dachziegeln des Kunstgewerbe-museums sowie anderer ungarisch-orientalisierender Architekturen, aber auch bei Büsten der Architekten dieser Bauten eingesetzt. Leider war keiner der ungarischen Kollegen nach Prag gekommen.
Dafür war Slowenien umso besser vertreten: Barbara Murovec von der Universität Maribor widmete sich vorwiegend der slowenischen Kunstgeschichte der 1950er Jahre: einer der Wiener Absolventen, der mit dem am nationalsozialistischen Kunstraub beteiligten Kärntner Kunsthistoriker Walter Frodl befreundet war, wurde 1945 ermordet – vermutlich von den Partisanen; andere wie France Stele, Denkmalpfleger und Professor in Laibach ab 1938 (dessen Hausarbeit am Institut für Geschichtsforschung von 1910 vor kurzem von der Bibliothek ins Institutsarchiv übernommen wurde -Foto) oder der jüngere Janesz Höfler, versuchten dem politischen Druck durch mehr oder weniger Konzentration auf einen „Nationalstil“ und „proletarische“ Kunst sowie durch Verbindung der Wiener Schule mit marxistischen Zitaten entgegenzukommen. Vor allem die barocke Kunstförderung der österreichischen und 1945 enteigneten Adeligen (ein Teil Sloweniens war ja die erst 1918 übernommene Südsteiermark) war nach dem Zweiten Weltkrieg als „Besatzerkunst“ tabu. Manche Parteifunktionäre brüsteten sich damals für den Abriss barocker Schlösser und propagierten den sozialistischen Realismus. Man könne daher von einer „Laibacher Schule der Faltenkunstgeschichte“ sprechen. Die zeitgeschichtlichen Forschungen kommen allmählich in Gang z.B. mit einer Dissertation von Vesna Krmelj über die Stele-Korrespondenz, aber vor allem bei Restitutionsfragen wirken die alten Vorurteile und die politischen „Privatisierungen“ noch verhindernd nach durch die Ablehnung von Forschungsprojekten. Die Abschottung gegenüber Österreich war jedoch keine absolute, da Stele schon ab 1955 Gast des Wiener Institutes war und auch Höfler mit österreichischen Kollegen kooperierte. Matej Klemenčič, der an Universität Laibach tätig ist, widmete sich einer konkreteren kunstgeographischen Fragestellung, nämlich wie die politische Situation nach 1918 und nach 1945 dazu geführt hatte, dass die Einflüsse österreichischer und italienischer Künstler heruntergespielt wurden. Dagegen hat man die lokalen Meister wie Metzinger oder Bergant in der 1918 gegründeten Nationalgalerie und in einer Ausstellung von 1922 in einer Art slawischen Blut-und-Boden-Ideologie national vereinnahmt. Sogar nach 1989 habe es in Laibach noch Kritik an der Erforschung „fremder Kunst“ gegeben! Während Stele im Sinne Dvořáks die slowenische Denkmalpflege aufbaute, begründete sein Studienfreund Izidor Cankar die Universitätsausbildung an der neuen Universität, wie Rebeka Vidrih referierte. Ausgehend von Riegl und Wölflin entwickelte Cankar 1920 bzw. in einem Buch von 1926 ein abstraktes System für alle Kunstwerke, allerdings mit drei statt mit zwei (malerisch-haptisch) Kategorien.
Ein besonders trauriges Kunsthistorikerschicksal wurde vom jungen Kollegen Gašper Cerkovnik präsentiert: Vojeslav Mole, der mit Stele und Cankar zu der um 1912 am Wiener Institut ausgebildeten und 2016 zur Ehre einer eigenen Briefmarke gekommenen „Dreifaltigkeit“ slowenischer Kunsthistoriker (Foto) gehörte, geriet während des ersten Weltkrieges in sibirische Gefangenschaft. Ab 1919 musste er – Slowenien gehörte ja zum Königreich Yugoslawien – auf Anordnung seines früher etablierten Studienkollegen Cankar antike und byzantische Kunst unterrichten, obwohl er lieber italienische Kunst gelehrt hätte. Als auch die Finanzmittel eingeschränkt wurden, folgte er 1925 einer Einladung nach Krakau, um dort ein Institut für slawische Kunst aufzubauen. Wegen seiner jüdischen Ehefrau (deren Mutter von den Nazis ermordet wurde) flüchtete er 1939 nach Yugoslawien, kehrte jedoch 1945 nach Polen zurück. Dort mit einem Reiseverbot belegt, wurde er auch politisch verfolgt und von den Kollegen geschnitten, als sein Sohn von einem Studienaufenthalt in Paris nicht mehr hinter den „Eisernen Vorhang“ zurück kehrte. Nachdem der Sohn 1963 ermordet worden war, wanderte Mole mit seiner Tochter In die USA aus. Wie er in einer Autobiographie berichtete, war ihm die amerikanische Lebensart in Eugene ebenso zuwider, aber er starb bereits 1973. Diese Sektion hat Tomáš Kowalski vom Denkmalamt in Bratislava moderiert, der im vergangenen Herbst eine Tagung zur Ausstrahlung der Wiener Denkmalpflege organisiert hatte.
Die freischaffend tätige Wiener Kollegin Barbara Czwik widmete sich der inhaltlichen Beziehung zwischen dem Wiener Kunsthistoriker Otto Pächt, dem Schriftsteller Robert Musil und dem Soziologen Karl Mannheim. Sie wollte aufzeigen, dass der den Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ durchziehende Konflikt zwischen „Wirklichkeitssinn“ und „Möglichkeitssinn“ ein Ausdruck des zeittypischen Diskurses über den Widerspruch von Kunst sowie Leben war und auch in Pächts Monographie über Michael Pacher 1931 Eingang gefunden habe. Denn es gäbe nicht nur eine, bzw. keine rationale Kunstentwicklung, sondern auch ein individuelles Kunstwollen. Aus dem Vortrag des russischen Kollegen Stepan Vaneyan erfuhr man, dass in den letzten 15 Jahren allein drei Werke von Hans Sedlmayr ins Russische übersetzt worden sind. Vaneyan versuchte den vierfachen (biblischen) Schriftsinn in den Schriften bzw. im Leben Sedlmayrs zu finden: gegenständlich, allegorisch, eschatologisch und tropologisch.
Auch in der Ukraine waren die denkmalpflegerischen und musealen Bestrebungen Wiens bzw. Eitelbergers schon am Ende des 19. Jahrhunderts wirksam geworden, wie Waldemar Deluga von der Universität Ostrava erläuterte: Der Salzburger Karl A. Ramstorfer war zum ersten Direktor des Landesmuseums in Czernowitz berufen worden und es gab besondere Bestrebungen zur Erhaltung der Holzarchitektur. Den Kollegen in der Ukraine war jedoch ein besonders schweres Schicksal in kommunistischer Zeit beschieden, wie Mariana Levytska berichtete. Da die orthodoxe Sakralkunst dort eine besondere, auch der Förderung des nationalen Selbstbewusstseins dienende Rolle spielte, waren die Voraussetzung nach der Eroberung durch das atheistische Russland natürlich verheerend. Einer der am 1893 gegründeten Lemberger Institut für Kunst und Ethnographie unterrichtenden Kunsthistoriker, Wladimir Sas-Zalocieky, war nach der Vertreibung 1940 ans Wiener Institut gekommen, wurde aber 1945 nach Graz berufen. Mehrere Kunsthistoriker in Kiev fielen hingegen den stalinistischen Säuberungen zum Opfer. Stefaniia Demchuk aus Kiev analysierte die Forschungen zu Breughel in der Sowjetunion. Da Wien mit Riegl, Dvořák, Glück, Sedlmayr und Benesch neben Brüssel das zweite Zentrum der Forschung zu diesem flämischen Maler gewesen war, wurde auch die deutsche Literatur in der Sowjetunion rezipiert. Mikhail Alpatov hatte Sedlmayr 1929 in Wien sogar persönlich kennen gelernt und stand von 1960-78 mit ihm im Briefwechsel. Als revolutionärer bzw. realistischer (= antimanieristischer) Mann des Volkes passte Breughel von vornherein gut in die kommunistische Ideologie, aber die sowjetischen Kollegen Alpatov und Nikulin versuchten in verschiedenen Varianten die Erkenntnisse der Wiener Schule mit marxistischen Theorien zu verbinden, wie sich manchmal an unterschiedlichen Auflagen desselben Werkes erkennen lässt.
Das aus Wiener Sicht erstaunlich große Interesse an der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ von Kalifornien bis Russland und von Schweden bis Italien erklärt sich wohl auch daraus, dass viele „Klassiker“ des Wiener Instituts aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erst in den letzten 20 Jahren ins Englische, Französische, Italienische, Tschechische, Kroatische, Russische, Japanische sowie Chinesische übersetzt und damit einem größeren Kreis zugänglich gemacht wurden. Zahlreiche dieser Texte, vor allem die Vorlesungen von Alois Riegl, bilden den wichtigsten Schatz des Wiener Institutsarchivs.
Friedrich Polleroß Fotos: Friedrich Polleroß, Institut für Kunstgeschichte