Von Asche bis Zwanowetz: Studierende der Kunstgeschichte vor 1945

Das Archiv unseres Institutes besteht zu einem großen Teil aus (Teil-)Nachlässen von bekannten Professoren. Den Anlass für die Einrichtung dieser Sammlung bot offensichtlich der frühe Tod von Alois Riegl, dessen Schriften in den letzten Jahren u.a. in Frankreich (Abb.), in Italien und in China übersetzt bzw. analysiert wurden. Daher interessieren sich auch Nachwuchsforscher dieser Länder für die Archivalien der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“. So schreibt Carla Mariana Da Costa, Philosophiestudentin der ENS de Lyon, eine Masterarbeit unter dem Titel „Étude comparée de la perception des formes en vue de l’écriture de l’histoire de l’art chez J. G. Herder et A. Riegl“. Bei ihrem Archivbesuch im April 2018 traf sie sich zum Gedanken- austausch mit unserer italienischen Assistentin Eleonora Gaudieri, die seit 2015 bei Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze an einer Dissertation über „Alois Riegl und Die Entstehung der Barockkunst in Rom“ arbeitet (Abb.). Andere Ordinarien des Wiener Institutes wurden in den letzten Jahren anlässlich von runden Geburtstagen durch internationale Tagungen gewürdigt: Rudolf von Eitelberger in Wien und in seiner Geburtsstadt Olomouc, Julius von Schlosser und Josef Strzygowski.

Einen kleineren und bisher kaum bekannten Teil unseres Institutsarchives bildet ein leider unvollständiger Bestand an Material zu den Schülern des von 1911 bis 1933 als selbständige Verwaltungseinheit neben Strygowskis "I. Kunsthistorischem Institut" bestehenden "II. Kunst-historischen Instituts" unter der Leitung von Max Dvorák und Julius von Schlosser. Die jüngeren Bestände stammen dann aus dem wieder vereinten Institut. Bei diesen Akten zu Studierenden früherer Genrationen handelt es sich einerseits um Karteiblätter und Beurteilungen, andererseits um hand- bzw. maschinschriftliche Prüfungsarbeiten (Seminarreferate, Aufnahmearbeiten) sowie Konzepte und Korrespondenz zu Dissertationen. Die ältesten Arbeiten sind wenige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg entstanden, die jüngsten vorwiegend von Studentinnen stammenden während des Zweiten Weltkrieges. Inhaltlich reicht der Bogen vom Tassilokelch (um 780) bis zu den Fresken Anton Koligs im Klagenfurter Landhaus , die 1930 vollendet und bereits 1938 abgeschlagen wurden.

Mehrfach handelt es sich um Dokumente, die belegen, dass es für KunsthistorikerInnen bis in die 1970er Jahre hinein mehr oder weniger verpflichtend war, Lehrveranstaltungen oder den ganzen Kurs am Institut für Österreichische Geschichtsforschung zu absolvieren.  Der entsprechende Paläographiekurs (Abb. ) war zumindest für den späteren Buchmalereispezialisten Kurt Holter von essentieller Bedeutung. Im Zuge eines Praktikums an diesem heute vor allem der Archivarsausbildung gewidmeten Institut hat Mag. Michael Höfel BA ein Inventar dieser Materialien erstellt (Abb.). Im Zuge dieser Arbeiten wurden die Dokumente großteils auch in neue, säurefreie Kartons übertragen. Nach der Korrektur und Ergänzung mit biographischen Hinweisen durch den Archivleiter ist dieses Verzeichnis auch im Internet für die Forschung zugänglich.

Unter den Studierenden aus den letzten Jahren der Monarchie, der Ersten Republik und der Zeit des Nationalsozialismus, finden sich viele prominente Namen, aber auch viele Studierende, die durch die rassistischen Verfolgungen zur Emigration gezwungen und in einigen Fällen sogar ermordet wurden. Möglicherweise ist auch das Fehlen einzelner Personalakten auf eine politisch bedingte „Säuberung“ zurück zu führen. Da auf die Emigranten in einem eigenen Bericht eingegangen werden wird, seien hier nur einige bekannte Namen der österreichischen und deutschen Kunstgeschichte vorgestellt: Als der Dresdner Siegfried Asche (1906-1985) um 1923 über Donatello schrieb, konnte man noch nichts von seiner späteren politisch geprägten Aktivität als Kunsthistoriker im NS-Regime, in der DDR und in Westdeutschland wissen.

Otto Benesch (1896-1964), der wegen seiner jüdischen Ehefrau emigrieren musste, ließ hingegen bereits 1915/16 mit einer Arbeit über Dürers Einfluss auf Lukas van Leyden (Abb.) seine später Funktion als Direktor der Albertina erahnen. Sein Foto-Nachlass befindet sich übrigens im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Franz Fuhrmann (1916-2016) hat sich schon durch seine Aufnahmearbeit über die Salzburger Franziskanerkirche 1938 auf seine später Tätigkeit als Ordinarius des 1964 gegründeten Instituts für Kunstgeschichte in Salzburg vorbereitet, wo er die Nachfolge seiner Wiener Lehrers Hans Sedlmayr antrat.

Werner Hahlweg (1912-1989) ließ bereits 1933 mit seiner Seminararbeit über ein Ritterfigürchen seine Vorliebe für die Militärgeschichte und für Heeresmuseen erkennen. Der Lebensweg von Annemarie Schweeger-Hefel (1916-1961) als Ethnologin in Afrika war hingegen bei ihrer Aufnahmearbeit 1936 über Donner noch nicht vorhersehbar. Friederike Klauners (1916-1933) Weg zur Direktorin des Kunsthistorischen Museums schien dagegen bereits mit ihrer Seminararbeit über das Diptychon des Hugo van der Goes im Wiener Museum vorgezeichnet. Prinz Heinrich von Liechtenstein (1916-1991) fand das Thema seiner Aufnahmearbeit im Elternhaus: das Immaculata-Altarbild des steirischen Malers Hans Adam Weißenkirchner (Abb.) in der barocken Schlosskirche Waldstein.

Jörg Mauthe (1924-1986) wurde zwar nicht als Kunsthistoriker (Abb.), sondern als Journalist und Politiker berühmt, aber er engagierte sich sehr für den Denkmal- und Ensembleschutz. Der später Ordinarius und Experte spätgotischer Malerei Otto Pächt (1902-1988) hat sich in seiner Aufnahmearbeit über Hans Dürer (Abb.) bereits mit der Malerei des 15. und frühen 16. Jahrhunderts beschäftigt. Die Diplomatentochter Helene Riedl von Riedenstein (1915-1995) wurde später nicht aufgrund einer kunsthistorischen Karriere bekannt, sondern als Gattin des 1970 in Guatemala von der Guerilla FAR ermordeten deutschen Diplomaten Karl Graf von Spreti.

Da Renate Wagner-Riegers (1921-1980) Aufnahmearbeitsthema aus dem Jahre 1944. das „Riesenkreuz von Wimpassing“, 1945 im Stephansdom verbrannte, erhebt sich für den Küchenpsychologen die Frage, ob dieses kunsthistorisches „Trauma“ sie nicht zur Schutzherrin der vom Abriss bedrohten historistischen Architektur werden ließ? Diese Arbeit war als eine der wenigen Prüfungsarbeiten der Zeit bereits mit einer Originalfotografie illustriert (Abb.). Wagner-Riegers Studienkollegin Leonore Pühringer-Zwanowetz (1917-1986) entdeckte bei der Aufnahmearbeit über das Palais Kinsky ihre Vorliebe für die barocke Architektur und blieb diesem Thema ihr ganzes Forscherleben treu.

Neben dem Schweizer Erwin Gradmann (1908-1985) finden sich aber auch Fachleute anderer Länder  unter den Studierenden der Zwischenkriegszeit: Der aus einer jüdischen Familie in Berlin stammende Horst Gerson (1907-1978) war 1925 Gasthörer in Wien (Abb.) und entwickelte sich später in Holland zum Rembrandt-Spezialisten. Der ungarische Student Iván Fenyö wurde später Museumskurator in Budapest und als Fachmann für die Zeichnungen und Malerei der Dürerzeit bekannt. Gertrud Lukács (geb. Bortstieber, 1882-1963) war die zweite Ehefrau von Georg Lukács. Und man würde daher zu gerne wissen, was der 1919 nach Wien geflüchtete marxistische Philosoph und Funktionär der kommunistischen Räterepublik in Ungarn zu dem im selben Jahr gehaltenen Referat seiner Gattin über den aristokratischen Palast der Ungarischen Leibgarde (das ehemalige Palais Trautson und heutige Justizministerium) gesagt hat...

Friedrich Polleroß       Fotos: Karl Pani, René Steyer, Armin Plankensteiner