Die „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ - ein Forschungsthema in Nord- und Südeuropa

Ebenso wie das vergangene Jahr ist auch 2017 durch zahlreiche wissenschaftsgeschichtliche Aktivitäten zur „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ geprägt. Seit Oktober 2016 ist die Italienerin Eleonora Gaudieri Universitätsassistentin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien bei Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze. Sie erhielt 2012 ihr Masterdiplom an der Universität Pisa mit der Arbeit „Alois Riegl. Von der Katalogisierung bis zur historischen Grammatik des Ornaments“ und begann 2015 an unserem Institut ihr Dissertationsprojekt „Alois Riegl und Die Entstehung der Barockkunst in Rom“. Dabei geht es um die Entstehungsgeschichte dieses Textes, der im Institutsarchiv in mehreren Fassungen erhalten ist: in den schwer lesbaren Vorlesungsmanusskripten des Wiener Ordinarius aus den Jahren 1894 bis 1903 (siehe Abbildung), in einer Vorlesungsmitschrift des Studenten Hermann Julius Hermann (1869-1953), des späteren Ersten Direktors des Kunsthistorischen Museums (siehe Abbildung), sowie in der posthum von Arthur Burda und Max Dvořák für den Druck bearbeiteten Version aus dem Jahre 1908. Das Archiv-Exemplar stammt aus der Bibliothek des Dvořák-Schülers Dagobert Frey (1883-1962) und kam 2016 als Geschenk von Mag. Thomas Schaupper ans Institut.

Ein anderer Wiener Mitarbeiter der von Max Dvořák begründeten „Quellenschriften zur Barockkunst in Rom“ war der in Prag geborene und während des Ersten Weltkrieges verunglückte Oskar Pollak (1883-1915). Der Schulkollege Kafkas hatte zunächst in Prag studiert und war offensichtlich seinem Lehrer nach Wien gefolgt, wo er 1910-13 an unserem Institut als Assistent und Dozent tätig war. 1913 wurde er kunsthistorischer Sekretär am Österreichischen Historischen Institut in Rom. Pollaks Forschungsschwerpunkt lag in der Erschließung der römischen Reiseführer sowie topographischen Werke und wurde 1930 von Ludwig Schudt unter dem Titel „Le Guide di Roma“ veröffentlicht. Ein Teil des Pollak-Nachlasses, darunter eine bibliographische Kartei als Basis des von Schudt veröffentlichten Materials, befindet sich in unserem Institutsarchiv,(siehe Abbildung), während die Bibliothek des Wiener Kunsthistorikers später teilweise an die deutsche Bibliotheca Hertziana und teilweise an das Niederländische Institut in Rom verkauft wurde. Letzteres ist zur Zeit mit der Aufarbeitung dieser Bestände beschäftigt und daher hat dessen sonst an der Universität Amsterdam tätiger kunsthistorischer Direktor Dr. Arnold Witte im Februar 2017 im Institutsarchiv gearbeitet. Er konnte dort u.a. Hinweise auf die Händler finden, bei denen Pollak seine Bücher bezog.  

Ein jüngerer Dvořák-Schüler war der 1890 ebenso wie sein Lehrer und Pollak in Böhmen geborene Felix Horb. Er studierte zunächst in Prag und kam im selben Jahr wie der Ordinarius, nämlich 1909, nach Wien. Ebenso wie Frey besuchte er aber auch Lehrveranstaltungen bei den Professoren Julius von Schlosser und Josef Strzygowski bis 1920 - mit einer vierjährigen Kriegsunterbrechung. Er belegte außerdem Philosophie bei Friedrich Jodl (1849-1914) und Archäologie bei Emil Reisch (1863-1933). Seine 1913 begonnene, aber erst 1923 abgeschlossene Dissertation trug den Titel „Die Vorgeschichte von Duccios und Giottos Architekturbild bis zu den Anfängen des Naturalismus in der italienischen Malerei der zweite Hälfte der Ducento“. Erste Texte und Teile der Dissertation haben sich im Wiener Institutsarchiv erhalten (siehe Abbildung). Horb arbeitete ab 1924 für den dem Dorotheum angeschlossenen „Krystall Verlag“ als Schriftleiter der Kunstzeitschrift „Belvedere“ und publizierte darin u.a. Aufsätze von Dagobert Frey sowie von den ebenfalls aus Prag stammenden und später in die USA emigrierten „Dvořák-Schülern“ Hans Tietze und Heinrich Schwarz. 1927 trat Dr. Horb als „Kollektiv-Prokurist“ in die Verlagsfirma ein, aber aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen arbeitete er ab 1930 als freischaffender Kunsthistoriker. 

Während der 1931zum Professor in Breslau/Wroclaw ernannte Frey während des Krieges als Kunstoffizier für die nationalsozialistischen Besatzer in Polen arbeitete, musste Horb wie viele seiner StudienkollegInnen als Jude 1938 Wien verlassen und nach Prag bzw. schließlich 1940 nach Stockholm flüchten. Er wurde 1943 Gemäldekurator des Gothenburg Kunstmuseums und 1947 Kurator der Kunstsammlung der Universität Stockholm. Nur drei Jahre nach Erhalt der schwedischen Staatsbürgerschaft verstarb Horn 1958 in Stockholm. Der Absolvent war bisher an unserem Institut unbekannt, aber im Februar dieses Jahres besuchte Peter Gillgren, „Anders Zorn Professor of Art History“ der Universität Stockholm das Archiv, weil er an einer Biographie dieses auch mit Otto Pächt bekannten Emigranten arbeitet. Horb wurde daher auch nach dem Krieg von dem 1945 entlassenen NS-Ordinarius Hans Sedlmayr kontaktiert, als dieser sich wieder mit Pächt "versöhnen" wollte.

Das Werk Sedlmayrs selbst fand und findet hingegen das Interesse von Dissertierenden: Während die bei Univ.-Prof. Dr. Michael Viktor Schwarz begonnene und in Karlsruhe 2012 abgeschlossene Dissertation von Maria Männig  über „Hans Sedlmayrs Kunstgeschichte: Eine kritische Studie“ vor kurzem im Böhlau-Verlag erschienen ist (siehe Abbildung), arbeitet der Basler Dissertant Simon Morgenthaler noch an seiner germanistischen Dissertation „Krisennarrative der 1950er Jahre am Beispiel von Hans Sedlmayrs ‚Verlust der Mitte‘.

Mit dem Gründungsvater der Wiener Kunstgeschichte (siehe die Abbildung des Vorlesungsverzeichnisses aus dem Jahre 1851), Rudolf Eitelberger von Edelberg, dessen Geburtstag sich heuer zum 200. mal jährt, beschäftigt sich im Sommersemester 2017 nicht nur ein Seminar von Prof. Dr. Inge Schemper-Sparholz, sondern auch eine von Univ.-Prof. Dr. Raphael Rosenberg gemeinsam mit dem Museum für Angewandte Kunst für Ende April organisierte Tagung unter dem Titel „Netzwerker der Kunstgeschichte“.

Diese Fähigkeit Eitelbergers wurde auch bei einem Vortrag deutlich, den Prof. Dr. Milan Pelc, der Leiter der kunsthistorischen Abteilung der Kroatischen Akademie der Wissenschaften in Zagreb, am 9. März in der Kroatischen Botschaft in Wien in Anwesenheit der kroatischen Botschafterin, Exzellenz DDr. Vesna Cvjetković, hielt (siehe Abbildung). Er referierte über die Wiener Schule der Kunstgeschichte und ihre Beziehungen zur kroatischen Kunstwissenschaft. Eitelberger hatte 1867 als eine der ersten Arbeiten der neugegründeten Zentralkommission seine Studien über die mittelalterlichen Kunstdenkmale in Dalmatien veröffentlicht und beeinflusste auch die 1878 erfolgte Gründung des zweiten kunsthistorischen Lehrstuhl der Monarchie in Zagreb ebenso wie das dortige Kunstgewerbemuseum nach Wiener Vorbild. Noch knapp vor Ende der Monarchie erschienen mit den Büchern von Frey u.a. wichtige Monographien zur kroatischen Kunst in Wien - gleichzeitig mit den durch den Krieg verursachten Problemen der Denkmalpflege.

Später fanden auch die methodischen Spannungen der „Wiener Schule“ zwischen Schlosser und Strzygowski bei den kroatischen Kunsthistorikern ihren Widerhall: während letzterer in den einfachen Kirchenbauten der Küstenlande altslawische Kunstformen und einen Einfluss des Nordens sehen wollte, wies der Dvořák-Schüler Ljubo Karaman diese Spekulationen zurück und machte sich dadurch bei seinen panslawischen Kollegen unbeliebt.

Seit 1999 werden diese Geschichte der Kroatischen Kunstgeschichte und ihrer Wiener Bezüge in Kroatien aufgearbeitet. 2007 widmete sich eine Wiener Dissertation diesem Thema und 2013 sowie 2014 steuerten Suzanne Marchand bzw. Maximilian Hartmuth Beiträge zu dieser Diskussion bei. Erst 2009 wurde Eitelbergers Dalmatien-Buch in die kroatische Spreche übersetzt und im Vorjahr Dvořáks Katechismus der Denkmalpflege – mehr als hundert Jahre nach seiner österreichischen Originalausgabe (siehe Abbildung).

Friedrich Polleroß   Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Friedrich Polleroß