Wien – Buch – Bild

Die Wiener Buchkultur 1450-1475 im Spiegel der illuminierten Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek

Laufzeit: seit 1. 9. 2020

MMag. Dr. phil. Carmen Rob-Santer


Das Forschungsvorhaben, das von September 2020 bis Jänner 2022 durch ein Marie-Jahoda-Stipendium
gefördert wurde, hat zum Ziel, bisher übersehene Netzwerke in der Kunstgeschichte Wiens freizulegen. Es geht um empirisch fundierte Einblicke in Vorgänge, die die städtische Kultur veränderten und ihr überregionale Strahlkraft verliehen.

Mit Buchmalerei ausgestattete Handschriften stellen für die Kunstgeschichte ein ganz wesentliches Quellencorpus dar, da sie im Vergleich zu Fresken oder Tafelmalerei in weitaus größerer Zahl erhalten geblieben sind. Neben ihrem kunsthistorischen Wert ist die Erschließung der illuminierten Handschriften auch für andere mediävistische Wissenschaftsdisziplinen von großer Bedeutung, angefangen von den buchwissenschaftlichen Disziplinen der Paläographie, Kodikologie, Einbandkunde und Wasserzeichenforschung, der Geschichts- und Musikwissenschaft, der Theologie und den einzelnen Philologien bis hin zur Medizin- und Rechtsgeschichte. Gefragt wird dabei nicht nur nach der künstlerischen Herkunft der ausführenden Maler und der Entstehungszeit eines Codex, sondern ganz wesentlich nach dem Entstehungskontext und der Überlieferungsgeschichte der einzelnen Handschriften. Häufig gehören diese zu den wenigen Zeugen, die Auskunft über die Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren (kirchliche und weltliche, bürgerliche und adelige Auftraggeber, Schreiber, teils sehr mobile Künstler, gelehrte Verfasser von Texten, Widmungsempfänger, vorwiegend Männer, aber auch Frauen) sowie Institutionen (wie ganz besonders die Universität Wien) und ihren unterschiedlichen Erkenntnis- ("Kulturen des Wissens") und Repräsentationsinteressen geben.

Nach langjährigen Vorarbeiten zeigen sich inzwischen typische Züge des Wiener Buchdekors der Zeit um 1450 bis 1475, Handschriften lassen sich regional und zeitlich eingrenzen, Stilgruppen und Buchmaler bestimmen, Vorbilder und unterschiedliches Herkommen der Künstler sowie der Stilelemente (u. a. aus dem böhmisch-mährischen Bereich) zeichnen sich ab - dies durch die Untersuchung von Provenienzen (darunter auch Textgruppen) und die Bestimmung stilistischer Zusammenhänge. Unter Einbeziehung weiterer verwandter Erzeugnisse soll ein erster synthetischer Überblick über die Entwicklungen in der Wiener Buchmalerei bzw. Buchkultur geschaffen werden. Dies wird den Blick auf ein Geflecht von lokal tätigen, aber auch sehr mobilen Künstlern und Auftraggebern freigeben, wobei zu den zentralen Akteuren die Universität mit ihren Angehörigen (Johannes Polzmacher, Thomas Ebendorfer, Jakob von Wuldersdorff...) zählt, daneben Gelehrte, einflussreiche Wiener Bürger, der Hof und seine Umgebung, aber auch die Klöster in der Stadt und im Umland, v. a. mit ihrer Eigenproduktion. Deutlich stärker als bisher beachtet treten dabei auch (frühe humanistische) Experimente dieser Schwellenzeit hervor, die sich in Schrift, Layout, Initial- und Rankengestaltung zeigen und auf die Verbindungen Wiens nach Italien verweisen.

Die Österreichische Nationalbibliothek als Ausgangspunkt der Untersuchungen gehört zu den zehn größten Handschriftensammlungen weltweit; sie umfasst (als ehemalige Familienbibliothek der Habsburger) überdurchschnittlich viele Handschriften aus dem Wiener Raum. Weitere wesentliche Sammlungen zur Erschließung der Wiener Buchmalerei befinden sich im Augustiner Chorherrenstift Klosterneuburg, im Wiener Schotten- und Dominikanerstift sowie im Stift Seitenstetten, alle noch in situ.