Handschriften mit Bildzyklen in der frühen Inkunabelzeit

FWF-Projekt PAT 2788124
Projektbeginn: 1. 3. 2025

Projektleitung: Dr. Christine Beier
E: christine.beier@univie.ac.at
T: 4277-41464


Um die Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelte Johannes Gutenberg den Druck mit beweglichen Lettern und revolutionierte damit die Buchherstellung. Angesichts des durchschlagenden Erfolgs der Erfindung überrascht, dass bis in die 70er Jahre des Jahrhunderts auch die Anfertigung von handgeschriebenen Büchern noch nicht vorüber war, sondern sogar zunahm. Auffällig ist, dass diese Bücher mit zum Teil sehr umfangreichen Bildzyklen versehen wurden: Die Österreichische Nationalbibliothek, deren Bestände im Fokus des Forschungsprojekts stehen, bewahrt aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts 31 Handschriften mit insgesamt 1.748 figürlichen Darstellungen. Es handelt sich um deutschsprachige und lateinische Texte mit Themen, die damals offensichtlich von besonderem Interesse waren: Dazu gehören mehrere Weltchroniken ebenso wie die Naturkunde des Konrad von Megenberg, Heinrich von Veldekes Eneasroman oder die am Beispiel des Schachspiels geübte Gesellschaftskritik von Jacobus de Cessolis. Auch Abhandlungen über Astronomie, Ringkampf, Festungsbau und Feuerwerk gibt es in dem Fundus. Für die Leser oder Benutzer der illustrierten Texte scheint nicht wichtig gewesen zu sein, dass die Bilder in Deckfarben und Gold erstrahlten: Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich um kolorierte Federzeichnungen. Ihr künstlerischer Anspruch reicht von routinierten, für den Verkauf bestimmten Arbeiten aus dem Umkreis des Elsässers Diebold Lauber bis zu laienhaften Zeichnungen, die sich offensichtlich nicht in einem kommerziellen Wettbewerb bewähren mussten, sondern für den eigenen Bedarf entstanden. Sie zeigen das Bedürfnis nach Visualisierung des Gelesenen besonders unmittelbar.

Die betreffenden Handschriften wurden wegen ihrer Texte aus den Blickwinkeln verschiedener Fachrichtungen zum Teil sehr intensiv untersucht, fanden jedoch in der kunsthistorischen Forschung bisher kaum Beachtung. Das Forschungsprojekt möchte dieses Defizit beheben. Die Werke werden in einem Katalog erfasst, der neben dem Inhalt der Darstellungen und ihrem Verhältnis zum Text auch Elemente wie Schrift, Einband und Beschreibstoff behandelt: Letztere können helfen, den historischen Kontext zu definieren, zum Beispiel Auftragssituation oder Entstehungszeit und -ort. Spätere Bibliotheks- und Besitzeinträge, Wappen, Textnachträge und Ergänzungen des Buchschmucks wiederum liefern Informationen über das Schicksal der Bücher in den Jahrhunderten nach ihrer Anfertigung. Auf der Basis dieser detaillierten Einzeluntersuchungen sollen valide Erkenntnisse über die komplexen Vorgänge in der Umbruchszeit gewonnen werden, in der handgeschriebene und mechanisch hergestellte Bücher nebeneinander existierten. Schließlich stellen auch die Biographien und späteren Umgestaltungen der Handschriften einen wichtigen Schwerpunkt des Projekts dar, denn sie legen Zeugnis von den Veränderungen in der Rezeption der Texte ab und dokumentieren damit geistes- und kulturgeschichtliche Entwicklungen.