Handschriften mit Bildzyklen in der frühen Inkunabelzeit

Beitrag zum Katalog der illuminierten Handschriften und Inkunabeln Mitteleuropas in der Österreichischen Nationalbibliothek (1450-1475)


FWF-Projekt PAT 2788124
Projektlaufzeit: 1. 3. 2025-28. 2. 2029

Projektleitung: Christine Beier
Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen: Dr. Aleuna Macarenko, Mag. Sophie Dieberger, Mag. Raphaela Vallon

Kooperationen: 
Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken 
München, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters (KdiH) 
Wien, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Schrift- & Buchwesen 


Um die Mitte des 15. Jahrhunderts entwickelte Johannes Gutenberg den Druck mit beweglichen Lettern und revolutionierte damit die Buchherstellung. Die Herstellung von handgeschriebenen Büchern war damit noch nicht vorbei, sie stieg vielmehr bis in die 70er Jahre des Jahrhunderts weiter an. Auffällig ist, dass die Handschriften mit zum Teil sehr umfangreichen Bildzyklen versehen wurden: Die Österreichische Nationalbibliothek, deren Bestände im Fokus des Forschungsprojekts stehen, bewahrt aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts 31 solcher Handschriften mit insgesamt 1.748 figürlichen Darstellungen. Es handelt sich um deutschsprachige und lateinische Texte, darunter mehrere Weltchroniken, die Naturkunde des Konrad von Megenberg, Heinrich von Veldekes Eneasroman und die am Beispiel des Schachspiels geübte Gesellschaftskritik von Jacobus de Cessolis. Auch Abhandlungen über Astronomie, Ringkampf, Festungsbau und Feuerwerk gibt es in dem Fundus. Für die Leser oder Benutzer der illustrierten Texte scheint nicht wichtig gewesen zu sein, dass die Bilder in Deckfarben und Gold erstrahlten: Abgesehen von einigen Ausnahmen wurden die Texte mit kolorierten Federzeichnungen illustriert. Ihr künstlerischer Anspruch reicht von routinierten, für den Verkauf bestimmten Arbeiten aus dem Umkreis des Elsässers Diebold Lauber bis zu laienhaften Zeichnungen, die sich offensichtlich nicht in einem kommerziellen Wettbewerb bewähren mussten. Sie zeigen das Bedürfnis nach Visualisierung des Gelesenen besonders unmittelbar.

Einige der Handschriften wurden wegen ihrer Texte aus den Blickwinkeln verschiedener Fachrichtungen intensiv untersucht, fanden jedoch in der kunsthistorischen Forschung bisher kaum Beachtung. Das Forschungsprojekt möchte dieses Defizit beheben. Die Werke werden in einem Katalog erfasst, der neben dem Inhalt der Darstellungen und ihrem Verhältnis zum Text auch Elemente wie Schrift, Einband und Beschreibstoff behandelt: Letztere können helfen, den historischen Kontext zu definieren, zum Beispiel Auftragssituation oder Entstehungszeit und -ort. Spätere Bibliotheks- und Besitzeinträge, Wappen, Textnachträge und Ergänzungen des Buchschmucks wiederum liefern Informationen über das Schicksal der Bücher in den Jahrhunderten nach ihrer Anfertigung.

Auf der Basis detaillierter Einzeluntersuchungen sollen valide Erkenntnisse über die komplexen Vorgänge in der Umbruchszeit gewonnen werden, in der handgeschriebene und mechanisch hergestellte Bücher nebeneinander existierten. Die Ergänzungen und Umgestaltungen der Handschriften legen Zeugnis von den Veränderungen in der Rezeption der Texte ab und dokumentieren geistes- und kulturgeschichtliche Entwicklungen.