NS-Symbole in der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte?

Am 21. Oktober 2019 fand am Institut für Kunstgeschichte eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Zum Umgang mit NS-Symbolen im universitären Kontext" statt. Anlass für die Diskussion waren Irritationen unter den BenutzerInnen der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte, die durch Besitznachweisstempel mit NS-Symbolik (Reichsadler mit Hakenkreuz) in den Buchbeständen der Bibliothek ausgelöst worden waren. Leser und Leserinnen zeigten sich bisweilen verunsichert: Was bedeuten der Stempel? Sagt er etwas über den Inhalt des Werkes aus, oder handelt es sich um ein Buch, das widerrechtlich an die Bibliothek gekommen ist? Und wieso sind diese Bücher ohne weiteres im Freihandbereich der Bibliothek zugänglich?

Das Gedenken an die Ereignisse des Jahres 1938 wird von der Universität Wien und dem Institut für Kunstgeschichte seit mehreren Jahren ebenso aktiv betrieben wie die Provenienzforschung, aber diese Aktivitäten erreichen offensichtlich nicht alle Studierenden. Vor allem Studierende aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland sind an die Studienvertretung Kunstgeschichte mit der Bitte um Klärung herangetreten. Die Studienvertretung nahm daher Kontakt mit dem Bibliotheksleiter Martin Steinreiber auf. In weiterer Folge wurde die NS-Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Wien hinzugebeten, um gemeinsam bewusstseinsbildende Maßnahmen zu erarbeiten.

Dabei zeigte sich, dass die gestempelten Symbole als sichtbarstes Element lediglich den Kristallisationspunkt eines wesentlich komplexeren Themenkreises darstellen. So sind nicht nur Überlegungen zum Umgang mit inhaltlich oder in ihrer physischen Erscheinungsform problematischen Werken anzustellen, sondern man muss sich auch ansehen, wie BenutzerInnen die Bibliothek anhand ihrer Buchbestände wahrnehmen. Das alles mündet in die Frage: Müssen Bibliotheken neue Informationsangebote entwickelt, bzw. ergibt sich hier ein bisher nicht berücksichtigter Bildungsauftrag?

An der Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte wurden nun folgende Maßnahmen umgesetzt:

•    Stempeluhr: Die „Stempeluhr“ wurde vom Arbeitsbereich NS-Provenienzforschung für die gesamte Universitätsbibliothek Wien entwickelt. Es handelt sich dabei um Drehscheiben aus Karton, die die gestempelten Symbole im Buchbestand der Universitätsbibliothek Wien kontextualisiert und erklärt.

•    Denkzettel: Der „Denkzettel“ wurde gemeinsam von der Studienvertretung Kunstgeschichte und Martin Steinreiber konzipiert. Die Idee dahinter ist, dass BibliotheksbenutzerInnen, die einen NS-Stempel finden, nicht nur die Möglichkeit erhalten, gleich vor Ort Informationen über Sinn und Bedeutung der Stempel zu erhalten, sondern darüber hinaus selbst Teil eines kollektiven Bearbeitunsprozesses werden, indem die „Denkzettel“ in die betroffenen Bücher eingelegt werden. Die Zettel fordern die Leser und Leserinnen auf, die Werke bewusst als Zeitdokumente zu verstehen und entsprechend kritisch zu lesen, zugleich distanziert sich die Universitätsbibliothek Wien von allen diskriminierenden und gewaltverherrlichenden Inhalten.

Präsentiert wurden beide Maßnahmen im Rahmen der Podiumsdiskussion, die sich jedoch nicht nur auf Buchstempel beschränkte, sondern den Umgang mit NS-Symbolik im gesamtuniversitären Kontext beleuchtete. Die Begrüßung erfolgte durch Lukas Nickel, dem Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien, sowie von Maria Seissl, Leiterin der DLE Bibliotheks- und Archivwesen. Beide befürworteten die Initiativen und wiesen auf den sorgfältigen Umgang mit dem bisweilen problematischen Erbe hin, dem die Universität Wien verpflichtet ist.

Moderiert wurde die Diskussion vom kurzfristig eingesprungene Herbert Posch vom Forum Zeitgeschichte der Universität Wien. Er stellte der Diskussion einen kurzen Vortrag voran, der die allgemeine Verwendung von Staatssymbolen der NS-Zeit an der Universität Wien behandelte. Am Podium saßen Mathias Lichtenwagner, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, der die aktuelle rechtliche Rahmensituation für den Umgang mit NS-Symbolik an Universitäten darstellte. Sebastian Schütze, Dekan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, sprach über den aktuellen Umgang der Universität Wien mit NS-Symbolik, während Markus Stumpf vom Arbeitsbereich NS-Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Wien sich wieder der Symbolik in den Buchbeständen zuwandte. Lena Wasserbacher, Studentin der Kunstgeschichte an der Universität Wien, brachte die Sichtweise der Studierenden bzw. BibliotheksbenutzerInnen ein und formulierte die empfundene Irritation über die NS-Stempel im Buchbestand.  

In einer abschließende Fragerunde im Publikum zeigte sich, dass auch zahlreiche Interessierte anderer Institutionen mit gleicher Fragestellung anwesend waren. Das Thema NS-Symbolik und der Umgang damit beschäftigt nicht nur die Fachbereichsbibliothek Kunstgeschichte der Universitätsbibliothek Wien, sondern ist auch Thema einer Tagung der Österreichischen Nationalbibliothek.

Martin Steinreiber  Fotos: Universitätsbibliothek Wien/Anna Maria Böck