Geistiger Aderlass. 1938 und die Kunstgeschichte
Geistiger Aderlass. 1938 und die Kunstgeschichte
Vor 70 Jahren, am 12. März 1938, marschierte die Deutsche Wehrmacht in Österreich ein, wo der „Anschluss“ von vielen Menschen bejubelt wurde. Zahlreiche Kunsthistoriker hatten hingegen keinen Grund zu jubeln. Denn mit der Annexion an das Deutsche Reich wurden auch hier die 1935 beschlossenen „Nürnberger Gesetze“ wirksam, die eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Benachteiligung sowie zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung zur Folge hatten. An den Universitäten wurden etwa den jüdischen Absolventen systematisch die akademischen Titel aberkannt. Für die Universität Wien waren die politischen und rassischen Verfolgungen besonders schwerwiegend, verlor sie doch binnen kurzer Zeit nicht weniger als 23 Prozent ihrer Studierenden aufgrund der „Nürnberger Gesetze“. Mit den Folgen für „Bildungsbiographien und Wissenstransfers“ hat sich ein Projekt des Instituts für Zeitgeschichte beschäftigt und auch ein jüngst erschienenes Buch unter dem Titel „Anschluss und Ausschluss 1938 –Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien“ ist diesem Thema gewidmet.
Die Ereignisse des März 1938 bedeuteten jedoch nicht nur einen tiefen Einschnitt in der Institutsgeschichte, die von Hans Aurenhammer im Rahmen einer deutschen Tagung sowie in einem Aufsatz im Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 2004 aufgearbeitet wurde. Denn von dem in Österreich schon unter der austrofaschistischen Diktatur ab 1933 einsetzenden geistigen Aderlass war der gesamte Bereich der Kunstgeschichte und der Wiener Museumslandschaft betroffen. Umgekehrt profitierte die angloamerikanische Kunstwissenschaft von zahlreichen europäischen Immigranten. Diese Themen wurden in den letzten Jahren in Deutschland mehrfach im Rahmen von Sammlungsbänden und Ausstellungen behandelt.
Anlässlich des Gedenktages, der ja mit dem Dies Academicus der Universität Wien zusammenfällt, sollen wenigstens die wichtigsten Absolventen der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“, die in den Dreißiger Jahren Mitteleuropa verlassen mussten, in Erinnerung gerufen werden:
Der in Prag geborene Hans Tietze (1880-1954) erwarb sich erste Verdienste, indem er durch seine Tätigkeit als Autor von Kunsttopographien die regionale Kunstforschung mit wissenschaftlichem Anspruch betrieb. Sozusagen Heimatkunde auf höchstem Niveau verkörpert auch sein Standarwerk „Die Juden Wiens", das vor kurzem neu aufgelegt wurde. Als engagierter Museologe und Liebhaber der Barockkunst war Hans Tietze einer der geistigen Väter der Neuordnung der staatlichen Museen nach 1918 und vor allem des 1923 eröffneten Barockmuseums im Unteren Belvedere. Daneben begeisterte sich der als Dozent an unserem Institut lehrende Kunsthistoriker jedoch auch für die moderne Kunst. Aufgrund der Freundschaft mit Oskar Kokoschka entstand 1909 das bekannte Porträt des Ehepaares Tietze, das sich heute im MOMA in New York befindet. Die Emigranten mussten ihr Bildnis 1939 verkaufen, um ihren Lebensunterhalt finanzieren zu können. Hans Tietze konnte allerdings dann an der Columbia University in New York unterrichten.
Seine Gattin Erica Tietze-Conrat (1883-1958) war 1905 mit ihrer Dissertation über Georg Raphael Donner die erste Frau, die an der Wiener Universität ein Studium der Kunstgeschichte mit dem Doktorat abschloss. Neben der Mitarbeit an Projekten ihres Mannes beschäftigte sie sich auch weiterhin mit Barockplastik.
Seit 2004 widmet sich in Wien die “Internationale Hans Tietze und Erika Tietze-Conrat Gesellschaft“ der „Wiederentdeckung“ dieser beiden Kunsthistoriker, und es wurde bereits eine Gedenktafel am Wohnhaus Armbrustergasse 20 angebracht. Eine wesentliche Würdigung, erfuhr das Ehepaar Tietze zuletzt durch die Publikationen ihrer Aufsätze durch Almut Krapf-Weiler, Hans Aurenhammer u.a. in zwei Bänden unter dem Titel „Lebendige Kunstwissenschaft“ (2007) sowie „Die Frau in der Kunstwissenschaft“ (2008). Im November 2008 wird den Tietzes im Rahmen der Wiener Vorlesungen zum Gedenkjahr ein eigener Abend gewidmet sein.
Der Budapester Frederick Antal (1887-1954) war einer der ungarischen „Kunsthistoriker-Revolutionäre“ und als Marxist in England auch lange vom akademischen Betrieb ausgeschlossen. In seinen späteren Lebensjahren beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Malerei des 18. sowie 19 Jahrhunderts und lehrte am Courtauld Institute, wo auch sein Nachlass verwaltet wird.
Der Wiener Fritz Saxl (1890-1948) promovierte 1912 an unserem Institut, wirkte aber schon ab 1913 in Hamburg als Bibliothekar von Aby Warburg. Als dessen Nachfolger gelang ihm 1933 auch die Übersiedlung der Bücherbestände nach London und 1944 deren Eingliederung in die Universität als eigenes Warburg Institute.
Ebenfalls zum Budapester „Sonntagskreis“ um den Philosophen Georg Lukács und den Kunsthistoriker Arnold Hauser gehörte Johannes Wilde (1891-1970), der 1923-38 im Kunsthistorischen Museum wirkte. Nach der Emigration bearbeitete er u.a. die italienischen Zeichnungen in Windsor Castle und unterrichtete am Courtauld Institute bzw. der Universität London. Am bekanntesten wurden seine Arbeiten über Michelangelo.
Der zuerst nach England und dann nach Nordamerika emigrierte Ernst Kris (1900-1957) war Kunsthistoriker und Psychoanalytiker im Umkreis von Sigmund Freud. Er publizierte 1929 als Kurator des KHM den Katalog der Steinschneidekunst, wurde aber vor allem als Autor der „Legende vom Künstler“ (1933) berühmt.
Otto Pächt (1902-1988) war in den 20er und 30er Jahren gemeinsam mit dem späteren Nationalsozialisten Hans Sedlmayr Begründer der Neueren Wiener Schule der Kunstgeschichte. Als einer von wenigen international anerkannten Gelehrten kehrte er nach 25 Jahren in England nach Wien zurück und war von 1963 bis 1972 Ordinarius an unserem Institut. Otto Pächt war Spezialist für Buchmalerei und auch der geistige sowie materielle Gründer des „Pächt-Archives“. Nach der Herausgabe seiner Vorlesungen zur altniederländischen Kunst, zur venezianischen Malerei oder Rembrandt wurde dieser Kunsthistoriker zuletzt auch durch einen von Michael Pächt und Artur Rosenauer herausgegebenen Erinnerungsband gewürdigt.
Zu den zumindest kurzzeitigen Heimkehrern gehörte auch die Spezialistin für christliche Kunst in Ägypten Hilde Zaloscer (1903-1999). Sie musste aufgrund der politischen Verhältnisse mehrmals in ihrem Leben Land und Arbeitsplatz verlassen. 1975-78 hat sie an unserem Institut unterrichtet und 1988 veröffentlichte sie ihre Erinnerungen unter dem Titel „Eine Heimkehr gibt es nicht“. Der Nachlass von Hilde Zaloscer befindet sich im Wiener Literaturhaus.
Der schon als Student von seinen nationalsozialistischen Kollegen an der Wiener Uni verfolgte Otto Kurz (1908-1975) war 1933 Mitautor der Kris’schen Künstlerlegenden. Im selben Jahr konnte er als Mitarbeiter der Hamburger Warburg-Bibliothek nach London emigrieren, wo er schließlich ab 1949 dauerhaft als Bibliothekar arbeitete.
An der Londoner Warburg Bibliothek fand auch Sir Ernst Gombrich (1909-2001) eine Arbeitsmöglichkeit. Er hatte schon 1935 mit seiner „Kurzen Weltgeschichte für junge Leser“ einen Best- und Longseller geschrieben. In seinen Forschungen die Methoden der „Wiener Schule“, die Tradition Aby Warburgs und Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie verbindend stand Sir Ernst von 1959 bis 1976 auch an der Spitze des Warburg Institute. In seinen letzten Lebensjahren hielt er mehrere Vorlesungen in Wien, darunter auch einige an unserem Institut. Zu Gombrichs Nachleben gibt es eine eigene Homepage.
Der Erinnerung an die vertriebenen und ermordeten Wiener Kunsthistoriker soll auch ein im Hof 9 vor unserem Institut geplantes Denkmal dienen. Das Projekt geht auf eine Idee des lange in London als Kunsthändler tätigen und auch an unserem Institut mehrfach Übungen zum Kunsthandel abhaltenden früheren Präsidenten des Pen-Club Österreich Wolfgang Georg Fischer zurück. Die künstlerische Planung liegt in den Händen von Hans Buchwald, Professor emeritus für Architektur und Raumplanung an der Universität Suttgart. Zur Begleitung dieses Projektes findet in diesem Semester auch eine von Prof. Theis und Prof. Aurenhammer geleitete Übung statt.
Friedrich Polleroß