Die Fresken in Gurk und die Anfänge der "Bildwissenschaft" in Österreich

Der vor kurzem durch einen umfangreichen Tagungsband gewürdigte Rudolf Eitelberger von Edelberg (1817-1885) war der Begründer der akademischen Kunstgeschichte in Wien. Er wurde 1852 zum außerordentlichen sowie 1864 zum ordentlichen Professor für „Kunstgeschichte und Kunstarchäologie“ an der Universität Wien ernannt. Sein Bestreben die Kunstwissenschaft von der philosophischen Ästhetik seines Lehrers Franz Ficker zu lösen, führte zur Aufwertung des einzelnen Kunstwerkes und dessen historischer Verankerung. Die neue Disziplin stand daher in engem Verbund mit dem 1854 gegründeten „Institut für Österreichische Geschichtsforschung“. Auch Eitelbergers Verdienste als Gründer des Museums und der Universität für angewandte Kunst werden in der Neuerscheinung des Böhlau-Verlages analysiert.
In den Aufsätzen von Matthias Noell und Elisabeth Ziemer wird hingegen auf Eitelbergers Bedeutung für die österreichische Denkmalpflege hingewiesen. Denn der Kunsthistoriker war auch bei der seit 1850 – in Kooperation bzw. in Konkurrenz mit dem Königreich Preußen - geplanten und 1853 realisierten Gründung der „k. k. Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale“ wesentlich beteiligt gewesen. Mit der 1873 erfolgten Umbenennung in „k. k. Zentralkommission für die Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale“ war die Erweiterung der Befugnisse verbunden und es gab erstmals ein eigenes Budget für Restaurierungen.
Eitelberger war zwar nicht direkt im Denkmalamt verankert, aber seine Bedeutung als „graue Eminenz“ im Kultusministerium wird aus der Tatsache ersichtlich, dass er auf den ersten Seiten der seit 1856 erscheinenden „Mittheilungen der k. k. Central-Commission“ gleichsam das Programm der neuen Institution und deren Zeitschrift formulierte: „Die Aufgabe der Altertumskunde in Österreich“. Auch in den folgenden Ausgaben des Organs der staatlichen Denkmalpflege erschienen zahlreiche Texte des Wiener Kunsthistorikers, wobei die Beiträge seine beiden Intentionen verdeutlichten. Einerseits ging es Eitelberger um die Etablierung einer wissenschaftlichen Terminologie, wie er bereits im ersten Jahrgang unter dem Titel „Zur Orientierung auf dem Gebiete der Baukunst und Terminologie“ ausführte: „Nichts fördert die Klarheit des Denkens und das Eindringen der Wissenschaft in das Leben so sehr, als eine richtige Terminologie.“ Andererseits galt sein Bestreben und jenes des Amtes der Erfassung, Erforschung und Erhaltung von Kunstwerken. Daher publizierte Eitelberger 1856/57 in den „Mittheilungen“ auch „Über einige neu entdeckte Wandgemälde in Verona“ oder „Die Restauration des südlichen Portals der Franziscaner-Kirche in Salzburg“.
Nicht nur an ein Fachpublikum, sondern an eine interessierte Öffentlichkeit war auch die ab 1858 in Stuttgart erscheinende Buchreihe „Mittelalterliche Kunstdenkmale des österreichischen Kaiserstaates“  gerichtet, die in kunsthistorisch und geographisch freier Abfolge unbekannte oder wenig beachtete Kunstdenkmäler aus allen Teilen der Monarchie vorstellen sollte. Diese Publikation nahm die als wesentlich erachtete, aber erst ab 1907 verwirklichte konsequente Bestandserfassung der Bau- und Kunstwerke mittels „Kunsttopographie“ vorweg. Ebenso wie bei der Zeitschrift waren auch hier die hochwertigen Illustrationen der Staatsdruckerei ein zentraler Beweggrund des Vorhabens, wie das Vorwort des ersten Bandes ausführt: „Die Zeichnungen werden unmittelbar nach den Denkmalen selbst aufgenommen. Es ist dafür Sorge getragen worden, daß die Darstellungen selbst so genau als möglich werden, ohne jene Zuthaten, die so häufig die Denkmale des Mittelalters nicht in dem Zustande erscheinen lasse, in dem sie sich befinden, sondern in jenem, in welchen sie der zeichnende Künstler versetzt wünscht.“ Die „Eleganz“ und „Noblesse“ der Wiener Abbildungen sorgte auch bei den Berliner Kollegen für Erstaunen und wurde umgehend nachgeahmt.
Genau aus dieser interessanten Gründungsphase der österreichischen Kunstgeschichte und Denkmalpflege, nämlich aus dem Jahre 1864, stammen nun sechs Federzeichnungen der Fresken in Gurk und im benachbarten Pisweg, die sich im Nachlass des langjährigen Ordinarius Karl Maria Swoboda im Archiv des Instituts für Kunstgeschichte erhalten haben, aber durch die mehr als hundertjährige unsachgemäße Lagerung schwer beeinträchtigt waren. Die finanzielle Unterstützung durch die Sammlungsbeauftragte der Universität Wien, Magistra Claudia Feigl, ermöglichte die Restaurierung der großformatigen Blätter durch Akad. Restaurator Sascha Höchtl
Und dies bot den Anlass für die vorliegende Recherche und Publikation. Fünf der sechs teilweise nachträglich ausgeschnittenen und auf Karton aufgeklebten Blätter in der Größe von 70,5 x 51,2 bis 63 x 102 Zentimeter zeigen die Fresken des Bischofschores der Domkirche in Gurk mit der Aufschrift „Gurk“, das sechste Stück jedoch stellt das Gewölbe des Karners in Pisweg dar und ist als einziges datiert und signiert: „Pisweg bei Gurk Alb Cam (oder Canz bzw. Lanz)  864/ 24/I“. Dies ermöglichte auch eine geographische Zuordnung dieses Stückes. Die nicht eindeutig zu identifizierende Signatur ließ zunächst an den Graphiker Albert von Camesina (1806-1881) denken, der von Eitelberger zur Denkmalpflege gebracht damals ähnliche Zeichnungen für die Publikationen der Zentralkommission und für eigene Tafelwerke über den Verduner Altar in Klosterneuburg sowie über die Glasfenster in Heiligenkreuz schuf. Die auf mehreren Blättern vorhandenen Stempel der „k[aiserlich] k[öniglichen] Central-Commission“ ließen es jedoch geraten erscheinen, in den Publikationen dieses Amtes nachzuschlagen.
Tatsächlich wurden die Fresken der damals noch als „Nonnenchor“ bezeichneten zweijochigen Kapelle des Gurker Domes erstmals 1857 im 2. Jahrgang der "Mittheilungen" vom lokalen „Correspondenten“ und Theologen Gregor Schellander sowie vom Kärntner Landeskonservator Gottlieb Freiherr von Ankershofen  unter dem Titel  "Die Wandgemälde der Kathedrale zu Gurk in Kärnthen" veröffentlicht. Auf ein Dutzend Seiten wird zunächst ausführlich deren Ikonographie beschrieben und dann mit Hilfe von Urkunden eine Datierung „nicht vor 1216“ vorgeschlagen, wobei aber auch schon die Tätigkeit eines „pictor Ulrich“ bis zum Jahre 1253 genannt wird. Heute wird allgemein eine Datierung um 1260 angenommen.
Offensichtlich parallel dazu kam es zu einer Vorstellung des romanischen Domes im 1860 von Eitelberger gemeinsam mit dem Ministerialbeamten Dr. Gustav Heider (1819-1897) und dem Architekten Joseph Hieser (1823-1867)  herausgegebenen 2. Band der „Mittelalterlichen Kunstdenkmale“ durch Carl Haas. Nach einem ausführlichen Text über die Architektur folgt auch hier eine Beschreibung der Wandmalereien in der Portalvorhalle sowie in der Bischofskapelle. Am Ende des Berichtes wird betont, dass "im Interesse der vaterländischen Kunstgeschichte sowie der christlichen Iconographie überhaupt (...) genaue Abbildungen" als Basis zu einer "eingehenden monographischen Behandlung" zu wünschen wären und dass es auch in der Nähe von Gurk verwandte Fresken gäbe. 
Im 15. Jahrgang der „Mittheilungen“ von 1870 berichtet dann ein anonymisierter Autor „…m…“ von den mit Gurk künstlerisch verwandten Fresken in der Rundkapelle des Karners von Pisweg. Sie werden richtig als am Übergang von der Romanik zur Gotik beschrieben und daher mit Gurk in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert. Da die Tafel als „nach einer Original-Aufnahme des Herrn Professor Johann Klein“ bezeichnet wird, ist damit auch der Zeichner unseres Blattes bekannt.
Der 1823 in Wien geborene und 1883 in Venedig verstorbene Johann Evangelist Klein hatte in Wien an der Akademie der Bildenden Künste vor allem bei Joseph von Führich studiert. Ab 1854 unterrichtete er als Zeichenlehrer an Oberrealschulen am Schottenfeld und auf der Landstraße. Daneben spezialisierte sich auf die Entwürfe für kirchliche Glasfenster und Mosaikgemälde. Nach seinen Kartons entstanden etwa Kirchenfenster für die Dome in Bratislava, Erfurt und Linz sowie für den Stephansdom in Wien und für den Kölner Dom. Seit 1870 wirkte Klein als Korrespondent für die Zentralkommission, seit 1875 als „wirkliches Mitglied“. Für dieses Amt schuf er u.a. Zeichnungen der Glasfenster des Grazer Domes sowie von Fresken in Bozen und Gurk.
Kleins Zeichnungen von Gurk bildeten dann den Aufhänger für eine neuerliche Publikation der Gurker Wandmalereien in den „Mittheilungen“ des Jahres 1871, da man bei der Herausgeberschaft der Ansicht war, "doch bei dem Umstande, als eine Veröffentlichung der Bilder uns umgänglich nothwendig schien und sich hiefür eine ganz vorzügliche Gelegenheit durch das Verfügungsrecht der k. k. Central-Commission über die durch Prof. Johann Klein mit Virtuosität ausgeführten Copien fand, mit dieser Publication nicht weiter zögern zu sollen". Die Illustrationen wurden von der k. k. Staatsdruckerei eindeutig nach den Federzeichnungen unseres Archives angefertigt. Allerdings fehlen in unserer Sammlung drei der gedruckten Illustrationen, während die Wand mit dem Einzug Christi am Palmsonntag auch in farbiger Version gedruckt wurde.
Die auf den Zeichnungen mit Bleistift vermerkten Farbangaben dürften allerdings erst aus der Zeit stammen, als die Blätter an die Universität kamen. Der Autor des Katechismus der Denkmalpflege und ab 1909 Ordinarius Max Dvořák plante nämlich ab etwa 1913 im Auftrag bzw. gemeinsam mit dem 1908 in Berlin gegründeten „Deutschen Verein für Kunstwissenschaft“ ein Corpuswerk der mittelalterlichen Wandmalerei in Mitteleuropa. Als Bearbeiter war der Assistent Karl Maria Swoboda ausersehen, der nach einer Unterbrechung in der Kriegszeit und nach dem Tod seines Lehrers das Projekt um 1925 wieder aufnahm. Deshalb haben sich in Swobodas Nachlass nicht nur die oben genannten Zeichnungen, sondern auch zahlreiche Fotos und Skizzen von anderen Wandmalereien, Korrespondenz mit Fotografen und Kollegen in Deutschland, Literaturexzerpte und Notizen sowie Anweisungen zur Erstellung der Beschreibungen und sogar eine Farbmusterkarte erhalten.
Friedrich Polleroß   Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Anno