Hermann Fillitz (1924-2022)

Der langjährige Ordinarius unseres Institutes und ehemalige KHM-Direktor Hermann Fillitz ist am 14. Juni im 99. Lebensjahr in Wien verstorben. Er hat das kulturelle Leben Österreichs erheblich mitgeprägt. Mit den Worten „Mit Hermann Fillitz verlieren wir einen hochgeachteten Wissenschaftler und eine prägende Persönlichkeit des österreichischen Kulturlebens", würdigte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) die Verdienste. Als Erster Direktor und Leiter der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums habe er „nachhaltige Initiativen gesetzt, die bis heute nachwirken". Auch Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) lobte Fillitz, da er sich in seinem langen Leben „engagiert und leidenschaftlich für Kunst und Wissenschaft eingesetzt und stets dafür gekämpft hat, dass die Geisteswissenschaften nicht mit Parametern der sogenannten 'Nützlichkeit' bemessen werden".

Fillitz wurde am 20. April 1924 in Wien geboren und absolvierte in seiner Heimatstadt das Humanistische Gymnasium. Nach der Matura studierte er Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie an der Universität Wien, wo er 1947 auch promovierte. Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeiten standen seit Beginn seiner Tätigkeit am Kunsthistorischen Museum im Jahr 1948 die Studien zur Krone des Heiligen Römischen Reichs und damit war auch der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit mit dem KHM gelegt, wie der Nachruf des Museums ausführt: „Die intensive Beziehung hatte 1948 mit seinem Eintritt in den „wissenschaftlichen Dienst“ begonnen, nachdem er an der Universität Wien Kunstgeschichte studiert und die Staatsprüfung am 1854 gegründeten 'Institut für Österreichische Geschichtsforschung' absolviert hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den frühen 1950er Jahren, sorgte er für die Wiedereröffnung der Weltlichen und Geistlichen Schatzkammer, in den 1960er Jahren für die modernisierte Aufstellung der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe. 1958 wurde er Leiter der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe (heute: Kunstkammer) & Schatzkammer.

1965 bis 1967 leitete er das österreichische Kulturinstitut in Rom; anschließend lehrte er Kunstgeschichte an der Universität Basel. Nach seiner Rückkehr übernahm er in Wien den Lehrstuhl für Kunstgeschichte des frühen Mittelalters und kehrte einige Jahre später an das Kunsthistorische Museum zurück. 1982 bis 1990 leitete er die Gemäldegalerie und, vor Etablierung einer „Generaldirektion“, in dieser Funktion auch als „Erster Direktor“ das Kunsthistorische Museum. Seine fachliche Kernkompetenz war die Kunstgeschichte des Mittelalters sowie Schatz- und Insignienkunde, insbesondere die Reichsinsignien – doch ihn hat, wie er selbst sagte, „eigentlich immer alles interessiert“. So brachte er 1989 mit Franz West den ersten lebenden Künstler in die damals noch immer für viele gleichsam heiligen Hallen der Gemäldegalerie. Er hat das Kunsthistorische Museum nicht nur inhaltlich geöffnet – sondern auch tatsächlich: aus ein paar Vormittagsstunden wurden die heute selbstverständlichen täglichen Öffnungszeiten von 10 bis 18 Uhr. Ein kultur- und bildungspolitisch nicht zu unterschätzender Schritt, den er im größeren Zusammenhang einer umfassenden Reform der Museumslandschaft sah.

Er prägte bedeutende Ausstellungsprojekte, so etwa „Von El Greco bis Goya“ (1982, Künstlerhaus), „Prag um 1600. Kunst und Kultur am Hofe Rudolf II.“ (1988, Kunstkammer, gemeinsam mit der Villa Hügel, Essen), „Fürstenhöfe der Renaissance, Giulio Romano und die klassische Tradition“ (1990, Neue Burg) oder die erste Ausstellung des KHM in Japan mit 48 Gemälden aus der Gemäldegalerie. „Mit Hermann Fillitz verliert Österreich einen bedeutenden Kunsthistoriker von internationalem Rang, einen großartigen Universitätslehrer, wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und einen visionären Museumsmann", so KHM-Direktorin Sabine Haag. Das Kunsthistorische Museum werde seinem früheren Ersten Direktor und langjährigem Mitglied des Hauses stets ein ehrendes Andenken bewahren.

Bekannt wurde Fillitz auch durch sein Engagement zur baulichen Sanierung der Bundesmuseen („Museumsmilliarde") sowie für die Schaffung des „Museums für moderne Kunst Stiftung Ludwig Wien“. Das MUMOK schreibt dazu in seinem Nachruf: „Als 1978 Hauptwerke der Pop Art und des Fotorealismus aus der Sammlung Peter und Irene Ludwig als Schenkungen und Leihgaben an das Museum kamen, spielte Fillitz eine zentrale Vermittlerrolle. Er kannte das Sammlerehepaar aus seiner Basler Zeit und wurde daher von Ministerin Herta Firnberg in das Komitee für die Vorverhandlungen berufen, die zur Auswahl und Übernahme der Werke und zur Gründung der Österreichischen Ludwig-Stiftung führten. Dem Komitee gehörte auch Hans Mayr, der damalige Direktor des Wiener Künstlerhauses an, dem es gelungen war, die Sammlung Ludwig in Wien auszustellen, sowie Sammler und Politik zwecks Übernahme an einen Tisch zu bringen.

Die von Hermann Fillitz mitgetragene Gründung der Österreichischen Ludwig-Stiftung ermöglicht es dem mumok bis heute, international renommierte Kunstwerke als Dauerleihgaben der Österreichischen Ludwig-Stiftung in seine Sammlung und deren Präsentation zu integrieren. Als langjähriges Mitglied der Ankaufsjury für die Stiftung hat sich Fillitz unermüdlich für aktuelle Gegenwartskunst und deren Integration in die mumok Sammlung engagiert. Mit seinem Tod verlieren wir eine historische Gründungsfigur des Museums und eine Persönlichkeit, die sich unermüdlich für die Internationalisierung des mumok und seiner Sammlung eingesetzt hat.“

Weniger bekannt sind die Verdienste von Hermann Fillitz in der Kommission für Kunstgeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für die Erforschung der Kunst in Österreich, die in der Herausgabe der Buchserie „Geschichte der bildenden Kunst in Österreich" 1998-2003 gipfelten. Als langjähriger Vertreter in internationalen Gremien gelang es ihm außerdem, den Internationalen Kunsthistorikerkongress 1983 – 110 Jahre nach dem ersten Ereignis dieser Art - nach Wien zu holen. Dabei erwies er sich als kunsthistorisches Gegenstück zu Bruno Kreisky oder Erhard Busek als ausdrücklicher Brückenbauer zwischen Ost und West. Denn er ermöglichte es, auch zahlreichen Kolleg*innen aus den Ländern hinter dem „Eisernen Vorhang“ auf Einladung des österreichischen Staates an der Tagung vorzutragen bzw. teilzunehmen (Abbildungen der CIHA-Akten im Institutsarchiv) und damit mit „westlichen“ Fachgrößen wie dem Emigranten Sir Ernst Gombrich aus London oder Giulio Carlo Argan, dem kommunistischen Bürgermeister von Rom, in Kontakt zu treten.

Nach seiner Emeritierung im Herbst 1993 war Fillitz mit der Planung der Europaratsausstellung "Der Traum vom Glück - Die Kunst des Historismus in Europa" beschäftigt, die 1996 im Wiener Künstlerhaus sowie in der Akademie der bildenden Künste gezeigt wurde. 1996 wurde er schließlich vom Europarat in Straßburg mit der Goldmedaille für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Hierzulande ehrte man ihn 1998 mit dem Großen Kardinal-Innitzer-Preis für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Forschung und Wissenschaft und 2003 mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.

Das Filminterview von Martina Pippal zum 90. Geburtstag bezeugt die bis ins hohe Alter lebhafte Persönlichkeit des Ordinarius und Gentleman der alten Schule, der allerdings in früheren Zeiten durch seine Emotionalität sowie die noch gefählichere Bissigkeit seines Hundes auch Schrecken bei den Mitarbeiterinnen und Studierenden verbreiten konnte. Bedauerlich ist aber, dass es Hermann Fillitz nicht mehr gelungen zu sein scheint, seine Memoiren zu Papier zu bringen. Denn die Anekdoten, die er seinerzeit in der Diasammlung zu erzählen wusste, wären durchaus überlieferungswürdig, z. B. die Geschichte des Anjoukreuzes der Schatzkammer: Diese ungarische Königsinsignie des 14. Jahrhunderts wurde im 19. Jh. vom berüchtigten Kunstfälscher Salomon Weininger im Zuge einer Restaurierung durch eine Fälschung ersetzt, was jedoch unbemerkt blieb. Nach 1918 musste das (falsche) Kreuz des Museums an Ungarn restituiert werden. Als aber nach 1945 das Original im deutschen Kunsthandel auftauchte, konnte es vom KHM erworben sowie von Hermann Fillitz im Koffer und Zug unauffällig nach Wien gebracht werden…

Friedrich Polleroß   Fotos: Institut für Kunstgeschichte. KHM