Die „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ auch in Australien: Zum 100. Geburtstag von Franz Philipp
Die „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ auch in Australien: Zum 100. Geburtstag von Franz Philipp
Aufgrund der Berichte auf unserer Homepage über die Ausbreitung der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ in Amerika, Asien und Afrika hat mich eine sorgfältige Leserin, Frau Hella Preimesberger in Berlin, darauf aufmerksam gemacht, dass ein Kunsthistoriker unseres Instituts auch auf dem fünften Kontinent tätig geworden ist. Es handelt sich um Franz Adolf Philipp, der genau vor 100 Jahren in Wien geboren wurde.
Die weltweite Ausbreitung der Wiener Kunstgeschichte erfolgte vereinfacht gesagt in drei wesentlichen Etappen: zunächst war es der seit 1909 als Ordinarius an unserem Institut tätige Josef Strzygowski, der 1921 zu Vorlesungen in die USA eingeladen wurde (siehe seinen Einreiseschein im Institutsarchiv), seinen Assistenten Ernst Diez 1912-14 nach Persien sandte, 1913 seinen später in die USA emigrierenden Schüler Karl With zu einer Fotokampagne nach Japan reisen ließ und 1920 seine Dissertantin Stella Kramrisch nach Indien empfahl. Strzygowski hatte aber damals auch schon einzelne Studenten aus der USA, aus der Türkei und aus Indien.
Die zweite und größere Reise- bzw. Auswanderungswelle erfolgte aus politischen Gründen in den 1930er und 1940er Jahren. Einerseits erhielt Ernst Diez, der 1926-39 in den USA unterrichtet hatte, durch die Kulturpolitik des NS-Ministeriums in Berlin sowie durch die Institutspolitik des Vorstandes Hans Sedlmayr 1943 eine Professur in Ankara. Andererseits mussten zahlreiche Absolventen und Studierende vor und vor allem nach 1938 das Land aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verlassen. Dazu gehören etwa Otto Nierenstein (1894-1978), der unter dem Namen Otto Kallir als Kunsthändler in New York weltbekannt wurde und seinem Nachlass dem Leo Baeck Institute for Jewish History in New York hinterließ, sowie Kurt Schwarz (1909-1983), der in Los Angeles als Buchhändler international Karriere machte.
Auch der am 29. März 1914 geborene Franz Adolf Philipp enstammte einer jüdischen Familie: sein Vater Edmund war ein aus Mähren stammender Textilhändler, seine Mutter Karoline, geborene Selinko kam aus Ungarn. Nach dem Besuch des Bundesgymnasiums in Döbling begann er das Studium der Kunstgeschichte an unserem Institut. Das Institutsarchiv verwahrt einige Quellen zur Studienzeit von Philipp: aus dem Studienkarteiblatt geht hervor, dass im WS 1933/34 inskripiert hat und im ersten Semester bei Schlossers Schweizer Assistenten Dr. Hans Robert Hahnloser ein Referat über Rembrandt gehalten hat; weitere Themen seiner Seminare waren ein Minnekästchen mit Darstellung „Wilder Leute“, wohl das Stück im Kunsthistorischen Museum (Rheinland um 1460-70), syrische Sakralbauten, Peter Flötners Adamstatuette ebenfalls in der damals von Philips Lehrer Julius von Schlosser betreuten Kunstkammer des KHM, und die Beziehungen zwischen Poussin und Bellori. Als Thema für seine Aufnahmearbeit wählte Philipp sich die Gemälde Tieopolos im Kunsthistorischen Museum. Die vom November bis Dezember 1933, also in zwei Monaten des ersten Semesters (!) und parallel zu einem Proseminarreferat verfasste schriftliche Arbeit umfasst nicht weniger als 26 maschinschriftliche Seiten und wurde mit „ganz brav“ beurteilt, sodass eine „provisorische Aufnahme“ ins Institut möglich war. Bei Prof. von Schlosser oder bei Doz. Hans Tietze begann Philipp 1937 auch die Dissertation „Das manieristische Porträt in Oberitalien“. Daneben besuchte er auch Lehrveranstaltungen von Hans Sedlmayr, den er später trotz der moralischen Fehler als „brillanten Lehrer“ bezeichnete.
Philipp wurde jedoch am 15. November 1938 im KZ Dachau eingesperrt. 1939 konnte er nach England entkommen, von wo er jedoch im September 1940 als „enemy alien“ nach Australien abgeschoben und dort in mehreren Lagern interniert wurde. Seine Mutter kam im KZ Auschwitz ums Leben. An der Gefangenenuniversität in Hay unterrichtete Philipp damals Mitgefangene in Kunstgeschichte – ebenso wie der Bauhauskünstler Ludwig Hirschfeld-Mack und der Byzantinist Ernest Kitzinger. Im Februar 1942 wurde er in die Australische Armee aufgenommen, wo er bis Februar 1946 seinen Dienst versah. Fünf Wochen später erhielt er die australische Staatsbürgerschaft. Parallel dazu hatte Philipp 1943 an University of Melbourne inskripiert und sich bei Professor Max Crawford auf die italienische Renaissance spezialisiert. Als Klassenbester und mit dem „Dwight prize“ ausgezeichnet, vollendete er 1946 sein Studium. Ein Jahr später wurde er zum „Senior tutor“ des Historischen Instituts ernannt, 1949 zum „Assistant-lecturer in history and fine arts“. 1948 publizierte er ein Loblied auf die Wiener Schule der Kunstgeschichte, deren geisteswissenschaftliche Methode über die Historizität eines Jakob Burkhardt und den Formalismus eines Heinrich Wölfflin hinausgegangen sei. Das ihm damals von der Universität Wien angebotene Doktorat lehnte er jedoch ab.
1950 wurde Franz Philipp Lektor am Institut für Kunstgeschichte, das erst 1946 als erstes selbständiges Institut für dieses Fach in Australien gegründet worden war, 1954 „Senior lecturer“ und 1964 „Reader“. Seine Schülerin Jaynie Anderson beschrieb ihren Lehrer im Jahre 2000 folgend: „For those who could cope with his erudition and meet his exacting standards, he was an inspiring and generous teacher who treated his students as his equals. He dressed formally, smoked heavily, and was reasonably tall and thin; his hair was dark and curly, and his thick glasses framed vibrant eyes which lit up when a crucial discovery was made. Arthur Boyd remembered him as 'a gentle, thoughtful soul'“. Neben seinen Hauptarbeiten zur Renaissance beschäftigte Philipp sich jedoch auch ab 1947 zwei Jahrzehnte lang mit Arthur Boyd, den er für den wichtigsten zeitgenössischen Maler Australiens hielt.
1955-56 wurde Prof. Philipp als „Senior research fellow“ ans Warburg Institute in London eingeladen, wo sein älterer Wiener Studienkollege Ernst Gombrich 1959 Direktor wurde. 1963 wurde der australische Kunsthistoriker mit dem „Carnegie Corporation travelling fellowship“ ausgezeichnet und in die Vereinigten Staaten eingeladen. Prof. Philipp verstarb während eines Sabbaticals am 30. Mai 1970 in Hampstead und hinterließ eine Gattin und zwei Töchter.
Friedrich Polleroß Fotos: UNIDAM