Forschung & Lehre. Am Beispiel von St. Stephan in Wien



In seiner ersten Stellungnahme betonte der designierte Rektor der Wiener Universität Heinz W. Engl seine Absicht zur Weiterführung der „für die Universität charakteris- tischen Verbindung von Lehre und Forschung“. Wahrscheintlich hatte er dabei unser Institut vor Augen, wo in diesem Semester diese Verbindung von Wissenschaft und Didaktik exemplarisch vorgeführt wird. Thema gleich zweier Seminare, einer Ausstellung und einer Tagung ist nichts Geringeres als der Wiener Stephansdom, „Herz und Mitte der Stadt“ und „DAS österreichische Wahrzeichen“.
Ausgangspunkt dieser Veranstaltungen sind die 294 Planrisse im Besitz der Wiener Akademie sowie des Wien Museums, die 2005 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurden. Ihre wissenschaftliche Bearbeitung erfolgte durch den Karlsruher Architekturhistoriker Dr. Johann Josef Böker, der im Anschluss daran 2007 auch ein Buch über die Wiener Domkirche veröffentlichte. Hatten bereits die von unseren Lektoren Rudolf Koch und Friedrich Dahm publizierten Untersuchungen zum Riesentor von St. Stephan neue Einsichten erbracht, so stellte das Buch von Böker zahlreiche altbekannte Thesen in Frage und die Datierung sowie Zuschreibung einzelner Bauteile an bestimmte Dombaumeister neu zur Diskussion. Der schon in den ersten Rezensionen vorhergesehene Wiener „Kunsthistorikerstreit“ soll mit den Veranstaltungen in diesem Semester auf eine breite Basis gestellt werden.

Im Mittelpunkt der von unserer Dozentin Dr. Barbara Schedl gemeinsam mit der Archäologin Michaela Kronberger kuratierten Ausstellung des Wien Museum (11. März bis 21. August) stehen die schon erwähnten Architekturzeichnungen aus dem Spätmittelalter, da sich von keinem gotischen Dombau in Europa eine derart große Zahl von Planrissen auf Pergament und Papier erhalten hat, darunter ein fünf Meter hoher Aufriss des nie vollendeten Nordturms. Nach seiner Fertigstellung im Jahr 1433 stand in Wien der höchste Turm Europas. Lediglich dem Nordturm des Straßburger Münsters sollte es im Mittelalter gelingen, ihn zu übertreffen. St. Stephan fungierte als Repräsentationsbau der Landesfürsten, Pfarrkirche und später als Bischofssitz. Ausgehend von den Originalplänen behandelt die Ausstellung verschiedene Themen: Wie wurde der Dombau finanziert? Welche Rolle spielte dabei das Wiener Bürgertum? Wie funktionierte eine mittelalterliche Bauhütte? Woher kam das Baumaterial? Im Wien Museum befinden sich wertvolle Bauskulpturen von St. Stephan, etwa die Fürstenfiguren. Im 19. Jahrhundert wurden diese am Dom durch Kopien ersetzt, die Originale kamen – wie auch die gotischen Glasfenster – ins Museum. Diese einzigartigen Kulturschätze ergänzen die Ausstellung, ebenso wie eine "Bildgeschichte" des Steffls als Wiener Stadtikone von 1500 bis heute. Der im Metroverlag erschienene Katalog kann auch über das Museum bezogen werden.

Parallel zur Ausstellung werden an unserem Institut nun in diesem Semester zwei Seminare angeboten, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen: „Die gotischen Planrisse von St. Stephan in Wien“ von Dozentin Schedl. sowie „Die mittelalterliche Ausstattung der Stephanskirche in Wien“ von O. Univ.-Prof. Dr. Michael Viktor Schwarz, der sich schon in seiner Dissertation mit den Skulpturen von St. Stephan beschäftigt und einen Aufsatz dem "Altargucker und Predigtlauscher" Anton Pilgram, dem ebenso legendären wie kunsthistorisch viel diskutierten Dombaumeister, gewidmet hat.

Den wissenschaftlichen Höhepunkt dieses Semesterschwerpunktes bietet jedoch die von den beiden Seminarleitern organisierte Tagung, die vom 6.-8. Juni an unserem Institut stattfinden wird. Die vom Karlsruher und vom Wiener Lehrstuhl verantaltete und u.a. vom Wissenschafts- sowie vom Unterrichtsministerium geförderte Veranstaltung bietet nämlich die Möglichkeit, neue Thesen und alte Unklarheiten in direkter Konfrontation zahlreicher Fachleute zu diskutieren. Neben Altmeistern der deutschen Gotikforschung wie Peter Kurmann und Norbert Nussbaum sowie unserem früheren Gastprofessor Marc Carel Schurr, kommen auch junge MitarbeiterInnen von Prof. Böker zu Wort und werden den Wiener Dom im Vergleich zu den gotischen Kathedralen in Prag, Regensburg, Ulm und Straßburg setzen. Es werden jedoch auch Fragen der Bauhüttenorganisation, der Skulptur, der Ausstattung und der Nutzung des Wiener Gotteshauses behandelt. Dazu referieren neben Wiener Historikerinnen und Theologen auch Fachleute aus Iowa, London und Tel Aviv.

Aufgrund dieser Vorbereitungen sollte es dann für die an den beiden Seminaren mitwirkenden Studierenden umso interessanter sein, an der Tagung teilzunehmen und nicht nur den Meinungen der Fachleute zu lauschen, sondern mit kritischen Fragen aus der Perspektive ihrer Referate zur lebhaften Diskussion und zum wissenschaftlichen Erfolg der Veranstaltung beizutragen. Wenn die Ergebnisse des Symposiums dann auch in die schriftlichen Fassungen der Referate zurückfließen, sollte einem gutem Seminarzeugnis nichts mehr im Wege stehen – zumal nach den Fotokampagnen unserer Fotografen Karl Pani und René Steyer auch ausgezeichnetes Fotomaterial zum Wiener Dom in der UNIDAM Datenbank zur Verfügung steht.

 


Friedrich Polleroß   Fotos: UNIDAM, Wien Museum