Sammlungs-Geschichten I

Sowohl unter dem Einfluss des „material turn“ der Kunstgeschichte als auch der Provenienzforschung unter dem Druck der Restitutionsforderungen wurde die Sammlungsgeschichte international und national zu einem Schwerpunkt der Forschung in den letzten Jahren. Hingewiesen sei einerseits auf das große Datenbankprojekt des Getty Research Instittute, das fast zehn Jahre lang unter der Leitung unseres Absolventen Christian Huemer stand, das 2007 in New York eröffnete „Center for the History of Collecting“ oder die 2016 in London gegründete „Society for the History of Collecting“, anderseits auf ein Themenheft der „Frühneuzeit-Info“ von 2014 zu den mitteleuropäischen Sammlungen, darunter auch eine Zusammenfassung der Diplomarbeit von Katharina Leithner über die Kunstsammlung des Duque de Uceda.

Zur Zeit beschäftigen sich auch mehrere Dissertationen unseres Institutes mit solchen Themen, nämlich jene von Silvia Tammaro über den Prinzen Eugen und jene von Gernot Mayer über den Fürsten Kaunitz. Im Zuge ihres Doktoratsstudiums haben die beiden Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Schütze im Mai 2017 am Österreichischen Historischen Institut in Rom die Tagung „Travelling Objects“ organisiert. Gernot Mayer bot zunächst einen kurzen, aber pointierten Überblick über den Mythos des Kunsttransfers – von Tizians Entführung der Europa über Aeneas‘ tugendhafte Rettung der Familiengottheiten (Bernini) bis zur Santa Casa von Loreto, die nicht nur über das Meer getragen, sondern auch mehrfach in Mitteleuropa kopiert wurde. Gudrun Swoboda vom KHM widmete sich der Frage, ob es sich bei den beiden Gemälden der Zerstörung des Tempels von Jerusalem von Poussin (Wien, Jerusalem) tatsächlich um diplomatische Geschenke des Papstes Urban VIII. an den Kaiser und an den französischen König handelte. In seinem Tagungsvortrag hat Mayer am Beispiel des in Rom tätigen Franz Karl von Kaunitz, des Sohnes des Reichsvizekanzlers, die Frage gestellt, ob bei den Gemäldegeschenken des Fürsten Odescalchi an die kaiserlichen Minister Kunstliebhaberei oder Korruption im Vordergrund stand. Silvia Tammaro, deren Dissertation das „Theatrum Sabaudiae“, eine luxuriöse Topographie von 1682, und die Kunstbeziehungen zwischen Wien und Turin behandelt, berichtete über den Prinzen Eugen sozusagen als Personifikation dieses Kunsttransfers. Hin- und herwandernde Kunstwerke gab es jedoch nicht nur bei den Savoyern, sondern auch bei der Familie Obizzi in Ferrara, deren Besitz über die Este an den Thronfolger Franz Ferdinand kam und auf diese Weise teilweise in Wien geblieben ist. Laura Facchin präsentierte einen in Wien wenig bekannten Vertreter, den Feldmarschall Ferdinando degli Obizzi, der in Wien zwei Stadthäuser (u.a. das heutige Uhrenmuseum) und ein von Domenico Martinelli entworfenes Gartenpalais in Meidling (später das Theresienbad) besass. Durch seine Gattinnen wurden manche Objekte auch an die Familien Pálffy und Starhemberg vererbt. Katra Meke aus Laibach, die u.a. über die Sammlung des Grafen Attems gearbeitet hat, bot einen Überblick über die Kunstsammlungen der Patrizier in Krain, darunter sowohl Gelehrte als auch Händler. Cecilia Mazzetti di Pietralata, sprach über die Diplomaten der Fürstenfamilie Savelli. Diese Fürsten besaßen vermutlich Dosso Dossis Merkur, und stand mit den Kardinälen Dietrichstein und Harrach in Kontakt. Friedrich Polleroß referierte über die von Rom nach Wien gereisten Kunstwerke des Grafen Lamberg. Martin Krummholz sprach über Lambergs Nachfolger als Botschafter, Wenzel von Gallas, der zwar nicht über eine bedeutende Gemäldesammlung verfügte, aber viel Wert auf Musik und Festlichkeiten legte. Matteo Borchia forscht über den Kardinalnepoten Alessandro Albani (+1779), der bisher kaum bearbeitet wurde. Das liegt vor allem daran, dass das Albani-Archiv in Napoleonischer Zeit geplündert bzw. schon vorher vom österreichischen Staatskanzler Kaunitz teilweise beschlagnahmt wurde und daher heute im Österreichischen Staatsarchiv verwahrt wird.

Das von Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze in Rom bereits angekündigte „Vienna Center for the History of Collecting“ hat im Herbst 2017 seine Arbeit aufgenommen. Dessen erste öffentliche Veransataltung bildete die Tagung „Sammler, Sammlungen, Sammlungskulturen“ am 24. November 2017 am Institut. Prof. Schütze verwies in seiner Einleitung auf die Aktualität des Themas und auf die Tatsache, dass es gerade in Wien noch viele unerforschte Sammlungen gäbe. Das Center basiere auf der Zusammenarbeit mit den „Digital Humanities“ der Akademie der Wissenschaften, und es gäbe auch Kooperationen mit dem KHM, mit der Albertina, mit dem Staatsarchiv, mit der Hertziana und mit dem Getty Research Center. Man verstehe sich als „Frimmel für das 21. Jahrhundert“ und als Auftakt sei schon der Frimmel des 19. Jahrhunderts, also das um 1900 erschienene Handbuch zu den Wiener Sammlungen, digitalisiert worden. Es gibt einige bereits fixierte Teilprojekte, darunter der mit Wolfgang Prochaska geplante Katalog der Sammlung Harrach, aber man sei für vielfältige Kooperationen offen und wolle vor allem Nachwuchsförderung betreiben.
Die aus Rom angereiste Projektmitarbeiterin Cecilia Mazzetti di Pietralata referierte über die Sammlungen der kaiserlichen Botschafter Savelli und die von dort in den Besitz des Kronkardinals del Giudice gelangten Objekte. Die Berliner Kunsthistorikerin Antoinette Friedenthal stellte ihr Projekt einer Bearbeitung der Graphiksammlung des Prinzen Eugen vor. Der Feldherr galt als „oeuvremanischer“ Graphiksammler, aber es sei unklar, welchen Anteil er sowie seine französischen Berater an der Konzeption der Sammlung hätten. Mit Hilfe der zur Zeit in der Albertina laufenden Digitalisierung der Klebebände lasse sich jedenfalls der ursprüngliche Zusammengang zumindest virtuell wieder herstellen. Der Olmützer Emeritus Ladislav Daniel bot einen Überblick über die Kunstsammlungen des Prager Kunsthistorikers Vincenc Kramař und jene des Fürsterzbischofs Liechtenstein-Castelcorn in Olmütz bzw. Kremsier, wobei der Referent die These aufstellte, dass die Galerieimporte die lokale Kunst anregt hätten. Der schon genannte Assistent Gernot Mayer, der mit einem Teilprojekt zu den Sammlungen um 1800 mitwirkt, hielt einen Vortrag über einige unbekannte (großbürgerliche) Wiener Sammlungen aus dieser Zeit. Er konnte vor allem bisher wenig beachtete Quellen wie Zeitungsberichte, Versteigerungskataloge und Nachlass- sowie Versteigerungsakten im Staatsarchiv auswerten.
Nach der Mittagspause bot Assitentin Anna Frasca-Rath einen Einblick in ihr Forschungsprojekt zu den Skulpturensammlungen Fries, Metternich und Esterházy. Gudrun Swoboda vom KHM zeigte dann auf, dass die kaiserlichen Sammlungen nicht nur Opfer des napoleonischen Kunstraubes waren, sondern auch Nutznießer: ein kurzzeitiger Erfolg der österreichischen Truppen in Italien ermöglichte es ihnen mehrere Kisten napoleonische Kunstbeute nach Wien zu bringen, darunter dutzende Gemälde der Sammlung Albani. Sebastian Schütze stellte dann die Sammlung des Nationalbankdirektors und Händlers Franz Salzmann vor, von der bei den Nachkommen noch ein Katalog aus den 1820er Jahren und einige Bilder erhalten sind. Besonders interessant sind die Notizen über An- und Verkäufer sowie die erzielten Preise. Die Abschlusssektion begann mit der Präsentation der 1872 versteigerten Wiener Sammlung Gsell. Julia Santa-Reuckl vom MAK fasste die Ergebnisse ihrer Diplomarbeit zusammen. Der elssäsische Wollhändler hatte durch Ankäufe aus der Slg. Festetics und Aufträge an zeitgensössische Künstler eine beachtliche Sammlung zusammengetragen, deren wertvolle Stücke wie die Porträts von Frans Hals heute auch in Museen in den USA zu finden sind. Zum Schluss bot Roswitha Juffinger einen Überblick über ihre Sammlungsforschungen zu Salzburg. Dies betrifft die  teilweise von der Residenzgalerie angekaufte Sammlung Czernin, die Slg. des Botschafters Saint-Saphorin sowie die 1921 aufgelöste Sammlung des Erzherzog Ludwig Victor im Schloss Klessheim.

Friedrich Polleroß   Fotos: Friedrich Polleroß