Die Bau-Gesellschaft Jesu. Neues Buch von Herbert Karner und Richard Bösel über Jesuitenarchitektur


Der 1540 von Ignatius von Loyola gegründete Jesuitenorden stand als „Elitetruppe“ des Papstes von Beginn an im Trommelfeuer religionspolitischer Auseinandersetzungen. Bald auch als machtgierig und konspirativ verrufen wurde der Orden unter dem Einfluss der Aufklärung 1773 aufgehoben. Die negative Einschätzung übertrug sich auf die umfangreiche Kunstproduktion der Gesellschaft Jesu. Der Hohn, mit dem der Protestant Christoph Friedrich Nicolai 1781 den Illusionismus der Wiener Jesuitenkirche als Sinnbild für die Falschheit des Ordens bezeichnet, steht am Beginn einer Legende vom falschen Jesuitenstil: „Eine solche Art der Malerey kommt mir beinahe vor, wie der Jesuitenorden selbst. Stehet man in den einzigen angewiesenen Gesichtspunkte der strikten Obedienz, so kann die Verfassung als ein herrliches und zusammenhängendes Gebäude erscheinen. Rückt man aber nur einen Fuß aus dem Punkte des blinden Gehorsams, so sieht man und siehet es klarer, je weiter man von diesem Punkte gehet, daß alles nur Verblendung ist und die Verfassung dieses Ordens mit allen den verschiedenen Verbindungen, in welche Gott den Menschen gesetzt hat, unzusammenhängend und so dem wahren Wohle der Menschheit hinderlich ist.“ Diese verurteilende Sicht wurde um 1900 durch eine positive, aber ebenso einseitige Betrachtungsweise ersetzt, bei der Barock und Jesuitenkunst gleichgesetzt wurden.

Erst im Gefolge der Postmoderne werden in den letzten 20 Jahren die künstlerischen Leistungen des Jesuitenordens nicht zuletzt in den USA durch zahlreiche Publikationen und Tagungen, durch den Reprint jesuitischer Andachtsbücher auf CD-Rom, durch Ausstellungen und sogar eigene Websites sowie Museen wieder ins allgemeine Bewusstsein gebracht und wissenschaftlich neu bewertet. Hervorgehoben seien die internationalen Standardwerke zur Kunst der Gesellschaft Jesu von
John W. O’Malley SJ/ Gauvin Alexander Bailey und Evonne Levy sowie die von Werner Telesko und Herbert Karner publizierte Tagung über die Gesellschaft Jesu in Mitteleuropa.

Ebenfalls im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschien nun ein von zwei unserer Lehrenden verfasstes Werk der Grundlagenforschung: „Jesuitenarchitektur in Italien (1540-1773) Teil 2: Die Baudenkmäler der mailändischen Ordensprovinz". Bearbeiter sind unser Lektor Dr. Herbert Karner von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sowie Prof. Dr. Richard Bösel, der Direktor des – auch Stipendien für Kunsthistoriker vergebenden - Österreichischen Historischen Institutes in Rom. Mit diesem Band wird ein weiterer und wesentlicher Teil des umfassenden Corpus-Werkes zur Architektur der Gesellschaft Jesu in Italien vorgelegt. Der erste, den Baudenkmälern der römischen und neapolitanischen Provinz gewidmete und von Richard Bösel verfasste Band war 1985 ebenfalls im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienen und wurde bereits 1986 ein zweites Mal aufgelegt. Aufgabe des Forschungsprojektes ist es, die in über zwei Jahrhunderten hervorgebrachten architektonischen Leistungen einer ganzen Ordensprovinz monographisch zu behandeln und ihre vielschichtigen historischen Zusammenhänge zu untersuchen. Insgesamt werden in diesem Band vierzig Ordensniederlassungen - Professhäuser, Kollegien, Konvikte, Noviziats- und Tertiatshäuser und vor allem die jeweils angeschlossenen Kirchengebäude - dargestellt. Territorial umfasst das Forschungsgebiet die Lombardei, den Piemont, Ligurien und die damals zu Genua gehörende Insel Korsika. Die in diesem Band enthaltenen Analysen der Baudenkmäler des vielleicht wichtigsten Ordens der Gegenreformation werden das Gesamtbild der italienischen Architekturgeschichte in wichtigen Aspekten erweitern.


Friedrich Polleroß