Leonardo da Vinci: 500 Jahre Kunst & Politik

Anlässlich des 500. Todestages von Leonardo da Vinci am 2. Mai 2019 wurden nicht nur zahlreiche neue Bücher geschrieben und Ausstellungen konzipiert, sondern es kam auch zu politischen Zwistigkeiten auf europäischer Ebene. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen der rechtsnationalen Regierung in Italien und dem liberalen Präsidenten Frankreichs, wollte man Leihgaben aus italienischen Museen für die Jubiläumsausstellung des Louvre verweigern. Während die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen durch einen Besuch der Präsidenten des Geburts- und Gastlandes am Grabmal des Universalgenies in Amboise kalmiert zu sein scheinen, sorgen die „Leihpolitik“ der Politiker sowie die Neupräsentation der „Mona Lisa“ im Louvre für Chaos im größten Museum der Welt und für Ärger bei Fachleuten.

Das europäische Universalgenie war jedoch schon vor dem Ersten Weltkrieg in den Nationalitätenstreit gezogen worden. 1911 wurde seine "Mona Lisa" aus dem Pariser Louvre gestohlen, weil ein italienischer Arbeiter das Gemälde zurück nach Italien bringen wollte. Und dann war es vor allem Benito Mussolini, der in Leonardo mehr als nur einen genialen Künstler sah. Nach einem Besuch im Mailänder Schloss gab der Diktator am 31. Oktober 1936 den Befehl, eine Ausstellung "Leonardo da Vinci und die italienischen Erfindungen" zu gestalten, die 1939 eröffnet wurde (Foto). „Leonardo avancierte in der Ausstellung zum zweitgrößten Sohn Italiens – nach Mussolini. Er wurde nicht nur als Maler und Zeichner gewürdigt, sondern vor allem als weit aus seiner Zeit herausragender Ingenieur und Erfinder. Das Universalgenie Leonardo sollte zum Ausdruck bringen, welch gewaltige Schöpferkraft im italienischen Volk steckte.”

Im Zeitalter des Faschismus und Nationalsozialismus wurde jedoch nicht nur in Italien alles von der Politik entschieden –auch an der Wiener Universität, wie aus den Akten im Institutsarchiv hervorgeht: Am 22. November 1938 fragte Institutsvorstand Hans Sedlmayr in einem Schreiben an das „Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ in Berlin an, ob er dem Ausschuss der von (dem für den Überfall Italiens auf Libyen und Abessinien hauptverantwortlichen) Feldmarschall Pietro Badoglio geleiteten „Mostra di Lionardo da Vinci“ beitreten dürfe. Die Genehmigung dieser Mitwirkung wurde dem Kunsthistoriker durch ein Schreiben des (kommissarischen) Dekans am 2. März 1939 bekannt gegeben. Am 3. Mai 1939 informierte der nationalsozialistische Rektor Dr. Fritz Knoll (der für die Entlassung von 300 MitarbeiterInnen und 2000 Studierenden verantworlich war; Foto) Professor Sedlmayr über die Genehmigung der Teilnahme der deutschen Kollegen, über die Zuteilung der Devisen in Höhe von 500 Lire pro Person sowie über die vom Rektorat bereits geplanten Reisevorbereitungen (Foto der Unterschrift). Obwohl von seiner Profession her Botaniker hatte der Rektor auch für sich die Fahrt nach Mailand gebucht – ob anstelle des vom Berliner Ministerium ausgewählten Historikers Hans Hirsch oder zusätzlich, geht aus den Akten nicht hervor. Aus dem beiliegenden „Schnellbrief“ des Reichsministers (Foto) wird jedoch ersichtlich, dass die Kommission des mit Italien verbündeten Deutschen Reiches ebenso aus verdienten Parteigenossen wie aus Kunsthistorikern bestand:
•    Berlin – Prof. Dr. (N.) Gamillscheg
•    Erlangen – Prof. Dr. Hermann Wintz, Gynäkologe
•    Hamburg – Prof. Dr. Wilhelm Blaschke, Mathematiker
•    Köln – Prof. Dr. Hans Kaufmann
•    Leipzig – Prof. Dr. Theodor Hetzer
•    Münster - Prof. Dr. Theodor Heinermann, Romanist
•    Würzburg – Prof. Dr. Kurt Gerstenberg
•    Rom, Kaiser Wilhelm Institut für Kunstwissenschaft (Bibliotheca Hertziana) – Dir. Dr. Werner Hoppenstedt (SA-Mitglied sowie Teilnehmer am Hitlerputsch) und Dir. Dr. Leo Bruhns
•    Florenz, Kaiser Wilhelm Institut für Kunstwissenschaft (Kunsthistorisches Institut) – Dir. Dr. Friedrich Kriegbaum (der 1943 mit seinem Wiener Kollegen Leo Planiscig einem alliierten Bombenangriff zum Opfer fiel).
Die Genannten wurden ersucht, „Ihren Anordnungen und Wünschen als Delegationsführer nachzukommen, damit ein geschlossenes und wirkungsvolles Auftreten der deutschen Abordnung gewährleistet ist. Wegen Beschaffung der nötigen Devisen (…) müssen Sie sich sogleich mit der Deutschen Kongreß-Zentrale in Berlin in Verbindung setzten. (...) Ferner ist es erwünscht, daß Sie sich bei Ihrem Auslandsaufenthalt nach Möglichkeit mit der örtlichen Auslandsorganisation der NSDAP in Verbindung setzten.“

Der 500. Geburtstag des Künstlers im Jahre 1952 stand zumindest in Österreich unter weniger nationalistischen Vorzeichen, aber Sedlmayrs Nachfolger als Institutsvorstand, Prof. Dr. Karl Maria Swoboda, würdigte das Ereignis am 27. März in Wien mit einen Festvortrag (Foto), der auch das 100-jährige Bestehen der kunsthistorischen Lehrkanzel an der Universität Wien feierte.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch noch eines der knapp über ein Dutzend gesicherten Gemälde Leonardos in Wien bzw. im Besitz der Fürsten von Liechtenstein. Das schöne Porträt der Ginevra de‘ Benci (Foto) war vermutlich vor 1712 von Fürst Hans Adam von Liechtenstein erworben worden, musste aber 1967 an die Nationalgalerie in Washington verkauft werden.

Friedrich Polleroß    Fotos: Institut für Kunstgeschichte