Wiener Kunstgeschichte und indische Kunst

2012 wurde anlässlich des 150. Geburtstages von Josef Strzygowski (1862-1921) die schon zu Lebzeiten umstrittene Persönlichkeit dieses langjährigen Wiener Ordinarius in Tagungen einer neuerlichen Bewertung unterzogen. Unbestritten scheint, dass Strzygowski den eurozentrischen Blick der traditionellen Kunstgeschichte nicht nur weit nach Asien geöffnet, sondern auch in den Vereinigten Staaten von Amerika einflussreich geworden ist. Sein offensichtliches Charisma und seine Offenheit für neue Bereiche und moderne Medien haben auch viele Schüler und Schülerinnen dazu angeregt, ihr Arbeitsgebiet außerhalb Europas zu suchen – vielfach lange bevor sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft durch die politischen Umstände dazu gezwungen waren.

Ein Beispiel dafür ist vor allem Stella Kramrisch (1898-1993), die 1919 bei Strzygowski mit ihrer „Untersuchung zum Wesen der frühbuddhistischen Bildnerei Indiens“ promoviert und im selben Jahr durch die Vermittlung ihres Lehrers nach Oxford eingeladen wurde. In London organisierte sie nicht nur Fotos über indische Kunst für das Wiener Institut, sondern kam auch in Kontakt mit kolonialen Künstlern wie dem ersten asiatischen Literaturnobelpreisträger Rabindranath Tagore und englischen Theoretikern wie William Rothenstein. Von Tagore 1920 an dessen College in Westbengalen eingeladen, übersiedelte die junge Wiener Kunsthistorikerin nach Indien, sozusagen in Vertretung ihres Lehrers, der seinem indischen Kollegen Hilfe beim Aufbau eines kunsthistorischen Instituts versprochen hatte. Aufgrund der Kontakte ihres Wiener Professors mit dem Bauhaus konnte Kramrisch 1922 eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst der Weimarer Kunstschule in Kalkutta organisieren. Anlässlich des Hundertjahrjubiläums wurde dieser interkontinentale Kulturtransfer 2013 im Bauhaus Dessau durch eine Ausstellung und eine Begleitpublikation gewürdigt, wobei auch auf Materialien aus unserem Institutsarchiv zurück gegriffen werden konnte.

Kramrisch hatte 1922 den englischen Text für den Ausstellungskatalog verfasst und wurde 1923 erste Professorin für indische Kunst an der Universität Kalkutta. Die Schülerin sandte ihre nunmehr englischsprachigen Publikationen auch weiterhin an ihren Professor in Wien, und 1932 steuerte sie für dessen Festschrift den Aufsatz „Landschaft, Tier und geometrisches Muster in der indischen Kunst" bei. Bis 1950 in Indien und später in den USA lebend wurde Stella Kramrisch zu einer der bedeutendsten Erforscherinnen der Kunst Indiens. Ihr Nachlass wird heute in Philadelphia verwahrt.

Doch die "Wiener Schule der Kunstgeschichte" hatte nicht nur indirekten, sondern auch direkten Einfluss: bereits 1926 dissertierte der islamisch-indische Architekt Ing. Khwaja Ali Akhtar Ansari bei Prof. Strzygowski über das Tadsch Mahal. Der dem Text ursprünglich beigegebene Abbildungsteil mit Originalfotos und Zeichnungen dieser Dissertation ist teilweise in der Fotosammlung unseres Instituts erhalten. Diesen interessanten Beziehungen zwischen mitteleuropäischer und indischer Wissenschaft in der Zwischenkriegszeit spürt auch der Historiker Kris K. Manjapra von der Tufts University in Boston nach, der 2013 in unserem Institutsarchiv nach entsprechenden Quellen im Strzygowski-Nachlass gesucht hat.

Auch am zweiten Wiener Kunsthistorischen Institut bzw. nach der Emeritierung Strygowskis bestanden Kontakte zwischen österreichischer und indischer Kunst- wissenschaft. So gingen die indischen Publikationen auch nach 1934 weiter an das nunmehr einzige Wiener Institut. Das darauf bezugnehmende Schreiben im Institutsarchiv wurde von Rai Bahadur Daya Sahni (1879-1939) unterzeichnet. Dessen berühmterer Namensvetter, der Archäologe und spätere Präsident der indischen Akademie der Wissenschaften Dr. Birbal Sahni (1891-1949), stand hingegen vor 1938 mit dem Numismatiker des Kunsthistorischen Museums DDr. Karl Pink (1884-1965) in regem wissenschaftlichen Austausch.

Der ab 1945 an unserem Institut lehrende Ordinarius Karl Maria Swoboda beschäftigte sich ebenfalls mit asiatischer Kunst und versuchte, die Traditionen der beiden zerstrittenen Vorkriegsinstitute zusammenzuführen. 1955 bat man sogar Frau Prof. Kramrisch in Kalkutta um Hilfe bei der Beschaffung von entsprechenden Büchern. Erst jüngst hat Ernst Gombrichs indischer Schüler Partha Mitter das Verhältnis seines Lehrers zur indischen Kunst in einem Vortrag an unserem Institut thematisiert (‘Ernst Gombrich and Western representations of the sacred art of India’).

Auch in den letzten Jahrzehnten und in der Gegenwart bestanden und bestehen durchaus lebhafte Kontakte zwischen unserem Institut und dem Subkontinent. 1996 wurde eine eigene Professur für "außereuropäische Kunst" eingerichtet, die bis 2013 mit der US-Amerikanerin Prof. Dr. Deborah Klimburg-Salter besetzt war. Ihre Schwerpunkte liegen in Afghanistan, Nordindien sowie Tibet. Sie hat mehrere große Forschernetzwerke initiiert und in diesem Rahmen auch afghanische Kollegen zur Fortbildung an unser Institut eingeladen. 2007 wurde Frau Prof. Klimburg von den Lesern der Tageszeitung "Die Presse" zu den ÖsterreicherInnen des Jahres gewählt.

Parallel dazu unterrichtete unsere Dozentin Ebba Koch, die zu den weltweit anerkannten Spezialistinnen für das Tadsch Mahal zählt. Im Monsoon Semester (Ende August bis Anfang Dezember) 2013 hat schließlich unsere frühere Mitarbeiterin Verena Widorn als Visual Studies Faculty Guest an der School of Arts and Aesthetics der Jawaharlal Nehru University in Delhi eine Vorlesung "Material, Methods and Meaning“ für Masterstudierende gehalten. Bei einer Exkursion besuchten die indischen Studierenden mit ihrer österreichischen Lehrerin den bekannten lokalen Bildhauer Ram V Sutar, und im Rahmen eines Vortrages hat Frau Widorn auch über Stella Kramrisch und ihre Wiener Wurzeln referiert.

Der ehemalige Lehrstuhl von Frau Prof. Klimburg wurde 2013 in eine Professur mit dem Titel "Kunstgeschichte Asiens" umgewandelt bzw. spezifiziert und soll demnächst nachbesetzt werden.



Friedrich Polleroß   Fotos: Bauhaus, Institut für Kunstgeschichte