Das Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien und die Ukraine
Das Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien und die Ukraine
Der barbarische Überfall Rußlands auf die Ukraine verursacht nicht nur tausende Tote, Millionen Flüchtlinge und eine wirtschaftliche Katastrophe, sondern auch eine Zerstörung und Beschädigung von Kulturgut bzw. musealen Einrichtungen. Vor allem der ehemals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörige Westteil des Landes weist vielfältige Verbindungen zu Wien auf. So verfügt das Nationalmuseum in Lemberg/ Lwiw auch über zahlreiche Gemälde des österreichischen Barockmalers Franz Anton Maulbertsch, darunter einen Entwurf für das Deckengemälde der Ungarischen Hofkanzlei (heute Botschaft) in der Bankgasse. Diese Werke wurden 1990 im Salzburger Barockmuseum von Dmitrij Szelest/ Dimitri Schelest vorgestellt (Abbildung): „Maulpertsch in Lemberg: Ölskizzen und Zeichnungen österreichischer Barockmaler aus dem Legat des k.k. Majors Karl Kühnl (1818-1872) in den Sammlungen der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften und aus der Lemberger Gemäldegalerie“. Zu dieser Thematik bieten auch die Fachbibliothek für Kunstgeschichte und eine ukrainische Homepage Informationen an.
Doch auch zwischen dem Wiener Institut und der ehemaligen Hauptstadt des Königreiches Galizien und Lodomerien bestanden Kontakte. Schon 1888 sandte der junge Absolvent der Kunstgeschichte und spätere Ordinarius Julius von Schlosser seinem Doktorvater Franz Wickhof einen Brief aus Lemberg (Abbildung): „In Lemberg ward ich von Dr. Seitschek, der ein sehr gemütlicher alter Herr ist, mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit aufgenommen, in seine Familie eingeführt und die Benützung der Bibliothek mir mit großer Liberalität gestattet.“
Dreißig Jahre später wurde ein Durchschlag eines anderen Briefes aus Lemberg nach Wien gesandt, der sich im Nachlass von Max Dvořák erhalten hat (Abbildung). Das vermutlich für den bzw. vom Grafen Karl Lanckoronski, dem österreichischen Generalkonservator von Galizien, verfasste Schreiben führt uns mitten in eine ähnliche Barbarei des Jahres 1918 durch die österreichische Luftwaffe: „Im Telegramm Wolff hiess es, dass beim letzten Fliegerangriff etwa 300 Bomben auf Venedig geschleudert wurden […] und gegenwärtig etwa ein Drittel der Stadt in Trümmern liegt. Alle diese Telegramme wurden in der Wiener Presse gar nicht publiziert. […]. Dass derartige Angriffe auf die italienischen offenen Städte, welche die wertvollsten Kunst- und Kulturdenkmale enthalten und ganz besonders auf Venedig, sich absolut nicht rechtfertigen lassen und die tiefste Entrüstung im Herzen eines jeden Kulturmenschen hervorrufen, darüber ist es überflüssig viele Worte zu verlieren. Die Niederträchtigkeit der Politik eines [Ministerpräsidenten Sidney] Sonnino rechtfertigt es nicht, dass man darum an den italienischen Kunstschätzen, die ein Gemeingut der ganzen Kulturwelt sind, Rache nimmt. […] Selbstverständlich verdamme ich auf das entschiedenste die italienischen Angriffe auf Triest, Parenzo usw., aber die Gegner in der ‚Revanche‘ noch zu überbieten“, führt zu einer „immer steigenden Verwilderung und Barbarei der Kriegsart, die schließlich zur vollständigen Vernichtung der Kultur führen muss. […] Bei früheren Angriffen auf Venedig hat man behauptet, sie gelten eigentlich nur den ‚militärischen Anlagen‘ Venedigs. Eine lahmfüssige Begründung, denn der Flieger, der sich auf einer Höhe von mindestens 2500 Meter befindet, ist absolut nicht im Stande zu berechnen, ob seine Bombe beim Arsenal entfällt oder die Markuskirche (Abbildung) treffen werde. […] Es gibt also keinen anderen Grund für die jetzigen Fliegerangriffe, als nur blinde Zerstörungswut.“
Ebenfalls im Jahr 1918 vollendete der 1896 in Lemberg geborene Wladimir Sas-Zaloziecky/Volodymyr R. Zalozetsky-Sas (Abbildung) seine Dissertation bei Professor Max Dvořak an der Wiener Universität. Er ist in Wien kaum mehr bekannt, obwohl er 1945-46 sogar interimistischer Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte gewesen ist. Er unterrichtete nach seiner Promotion in Wien und arbeitete von 1922-1928 für die tschechoslowakische Denkmalschutzabteilung. Von 1924-1926 unterrichtete an der Freien ukrainischen Universität in Prag, die 1921 in Wien geründete private Exiluniversität. Von 1926 bzw. 1928-1932 hatte er einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte am Ukrainischen Wissenschaftlichen Institut in Berlin sowie danach an der Griechisch-katholischen Akademie in Lemberg, der Vorgängerinstitution der heutigen Ukrainischen Katholischen Universität Lwiw. Nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen kehrte Zalozietzky nach Wien zurück, um an unserem Institut zu unterrichten (Abbildung). 1945 gründete er die Österreichisch-Byzantinische Gesellschaft und 1946 wurde er auf eine Professur in Graz berufen. Dort ist er 1959 auch verstorben.
Von seinen Werken seien folgende Bücher genannt: „Gotische und barocke Holzkirchen in den Karpathenländern“ (1926), eine Monographie über den ukrainischen Maler Oleksa Novakivsky (1934), „Die Sophienkirche in Konstantinopel und ihre Stellung in der Geschichte der abendländischen Architektur“ (1936), „Geschichte der altchristlichen Kunst“ (1936), „Byzanz und Abendland im Spiegel ihrer Kunsterscheinungen“ (1936), und „Die byzantinische Baukunst in den Balkanländern und ihre Differenzierung unter abendländischen und islamischen Einwirkungen“ (1955).
Als das Kunsthistorische Institut der Universität Graz 1976 den 80. Geburtstag seines ehemaligen Institutsvorstandes feierte, wurde der Wiener Ordinarius Hermann Fillitz zum Festvortrag eingeladen. Die Rede wurde 1977 im "Jahrbuch des Kunsthistorischens Institutes der Universität Graz" veröffentlicht und konnte auf persönliche Erinnerungen aus der Wiener Nachkriegszeit zurückgreifen: "Die menschlichte Integrität nimmt im Bild von Sas-Zaloziecky einen besonderen Platz ein, ist vielleicht mit ein Schlüssel zu seiner Persönlichkeit. Richtiger, die äußere Erschinung, die Haltung des Grandseigneurs ist das Spiegelbild, Resultat seiner geistig geformten Persönlichkeit. Sas-Zalocieky war überzeugter Katholik, was für ihn wieder Formung des Lebens, Weltanschuung im wahrsten Sinne des Wortes bedeutete."
Auch ein weiterer Wladimir (Sergej von) Zaloziecky (1884-1965), vermutlich ein Verwandter des Grazer Kunsthistorikers, ist erwähnenswert und im Institutsarchiv vertreten. Er stammte aus dem westukrainischen Czernowitz/ Tschernowizi, studierte zunächst in der Hauptstadt der Bukowina Jus und dann Kunstgeschichte in Wien. 1910 wurde er Mitarbeiter der „Zentralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale“, der Vorgängerinstitution des Bundesdenkmalamtes, wo er mit der Redaktion der „Mitteilungen“ betraut war. Er publizierte über die Fresken in den Moldauklöstern und half 1945 bei der Bergung von Kunstschätzen u.a. im Stephansdom. Der Wiener Institutsvorstand Karl Maria Swoboda beantragte 1956 den Professorentitel für ihn. Ein Zeitungsartikel im „Neuen Kurier“ des Jahres 1957 berichtet von Gefängnisaufenthalten, einer Tätigkeit als Senator in Bukarest und als Puppenspieler in Wien, vom Verkauf von „entarteter Kunst“ an SS-Männer und von seiner Dolmetschertätigkeit für die „Vier im Jeep“.
Erwähnung verdient jedoch auch Karolina Lanckorońska, die Tochter des oben genannten Grafen. Sie wurde 1898 in Buchberg am Kamp geboren und schrieb 1921 ein Referat "Delacroix's Beziehungen zu Michelangelo". 1926 promovierte sie an unserem Institut über Michelangelo Buonarroti. 1935 habilitierte sie sich als erste polnische Kunsthistorikerin in Lemberg, wo sie danach auch unterrichtete. Nach dem Überfall auf Polen 1939 wurde das Wiener Palais der Familie mit seiner wertvollen Kunstsammlung konfisziert. Karolina wurde 1942 in Polen von den Nazis verhaftet und kam später in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete sie als Kunsthistorikerin in Rom. Als überzeugte Patriotin stiftete Lanckorońska die Sammlung ihrer Familie den Museen in Warschau und Krakau.
Die meisten Informationen dieses Beitrages stammen aus einem Personalakt in unserem Archiv. Nach der Inventarisierung durch MMag. Patrick Fiska im vergangenen Jahr kann nun auch die Liste der (historischen) Personalakten des Instituts auf der Homepage des Archives eingesehen werden. Sie umfasst auch weitere prominente Namen, darunter die am Institut unterrichtenden Otto Demus (Präsident des Bundesdenkmalamtes von 1946-64), Ernst Diez (Professor in den USA von 1926-39 und in der Türkei 1943-49), Fritz Novotny (Direktor des Belvedere von 1960-68), Karl Oettinger (Professor an der Universität Erlangen 1954-71 und Gastprofessor in Ankara), Hans Sedlmayr (Professor in München 1951-64 und Salzburg 1964-69) sowie Karl Maria Swoboda (Professor in Prag 1934-45). Kleinere Bestände betreffen die Emigranten Otto Kurz und Hans Tietze sowie die durch ihre spätere Tätigkeit in Deutschland bzw. in der Schweiz bekannt gewordenen Kunsthistoriker Werner Haftmann (Leiter der Documenta 1955-64 sowie Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin 1967-74) und Hans R. Hahnloser (Professor in Bern 1934-68).
Friedrich Polleroß Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Internet