Kunstgeschichte hinter dem „Eisernen Vorhang“

In mehreren Schritten wird heuer das Ende des „Eisernen Vorhangs“ vor 30 Jahren gefeiert: von der Öffnung des Stacheldrahts in Ungarn am 27. Juli über die Flucht der Ostdeutschen in die Prager Botschaft der Bundesrepublik bis zum Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989.

Für unsere meist danach geborenen Studierenden, die mit "Erasmus" in Budapest, Olmütz, Prag. Dresden, Leipzig, (Ost-)Berlin, Krakau oder Cluj studieren können, ist es kaum mehr vorstellbar, dass die Kolleginnen und Kollegen aus den kommunistischen Staaten abgesehen von ideologischen Einschränkungen vor 1989 nur selten oder überhaupt nicht ins Ausland reisen konnten. Und auch die Besuche aus Österreich zu Tagungen oder zur Besichtigung von Kunstwerken im Osten waren vilefach mit langwierigen Grenzkontrollen, Devisenzwangsumtausch und anderen Unannehmlichkeiten verbunden.

Das Wiener Institut war natürlich auch nach 1918 ein Anziehungspunkt für Studierende aus den Nachfolgestaaten der Monarchie gewesen und bis 1945 gab es auch Studentinnen aus den deutschsprachigen Grenzregionen Tschechiens. Von der offensichtlich aus Südmähren stammenden Elfriede Pössl gibt es etwa eine sehr gründliche handschriftliche Arbeit bei Univ.-Prof. Karl Oettinger aus dem Wintersemester 1944/45 „Die Pfarrkirche zu Hosterlitz“. Dieses gotische Gotteshaus in Hostěradice, 16 km nordöstlich von Znaim, wurde nicht nur aufgemessen, sondern auch in zahlreichen Fotos dokumentiert.

Einem der in Prag geborenen Absolventen bzw. Professoren unseres Institutes, dem von 1934 bis 1945 an der Deutschen Universität in Prag lehrenden Karl Maria Swoboda (Foto), war es auch zu verdanken, dass nicht nur die Kontakte zu den Wiener EmigrantInnen wie Hans Tietze (New York), Otto Pächt (Oxford) und Edith Porada (New York), sondern auch mit den Prager Kollegen und Kolleginnen ungeachtet der politischen Verdunkelungen der Jahre 1938-45 nach 1945 nicht abgerissen sind.

Bereits am 22. März 1951 schrieb er einen Brief an die Kollegen des Kunsthistorischen Institutes der Karlsuniversität und ersuchte um Schriftentausch zwischen den beiden Instituten. Insbesondere bat der Ordinarius, „wenn es nur halbwegs möglich ist, ein komplettes oder nur wenigstens weitgehend komplettes Exemplar der Zeitschrift Umĕní zur Verfügung zu stellen, da diese Zeitschrift im gesamten deutschen Sprachgebiet einschließlich Schweiz und Österreich, aber wohl auch in den Ländern darüber hinaus nicht in einem einzigen Exemplar vorhanden ist. Die Zeitschrift enthält aber so viel wertvolles wissenschaftliches Material in Text und Abbildungen, daß es unbedingt nötig wäre, wenn in diesen ganzen Ländern wenigstens ein Exemplar vorhanden wäre.“ Im Tausch wurden Doubletten der Wiener Bibliothek angeboten, die in einer Liste genannt werden. 

Zum 30. Todesstag (1951) oder zum !00. Geburtstag (1974) von Professor Max Dvořák  fand sogar ein Besuch einer Wiener Delegation an dessen Grab im südmährischen Grusbach/ Hrušovany nad Jevišovkou statt (Foto).

Die Kontakte über den „Eisernen Vorhang“ hinweg werden auch aus dem 1955 angelegten Gästebuch des Instituts deutlich (Foto): neben Emilijan Cevc (Ljubljana), Mara Sindred ?, (Zagreb), Francè Stelè (Ljubljana), Mirjana Tanic (Belgrad), Anna Zadár (Budapest) sowie Michail Alpatov und Victor Lasareff (Moskau) findet man hier vor allem Unterschriften von Besuchern aus der CSSR: Jaroslav Pešina (1912-1992, Professor an der Karlsuniversität; Dezember 1955), der Dvorák-Schüler Josef Cibulka (1886-1968), ab 1938 Direktor der Staatlichen Sammlung alter Kunst (heute Nationalgalerie) und von den Kommunisten abgelehnter Kandidat für den Stuhl des Erzbischofs von Prag; September/Oktober 1956), Vera Nanková und Eliška Fučiková von der Akademie der Wissenschaften, der Denkmalpfleger und Kulturwissenschaftler Hugo Rokyta (1912-1999), Josef Cibulka und Irina Luodová (1964 oder 1965) sowie der Buchmalereispezialist Josef Krása (1933-1985) (1967) (Foto).

Politisch bemerkenswert ist außerdem die durchaus bewusst von österreichischer Seite, vor allem von Univ.-Prof. Dr. Hermann Fillitz, verfolgte Einladungspolitik im Rahmen des Internationalen Kunsthistorikerkongresses 1983 in Wien, die aus dessen dem Institutsarchiv übergebenen CIHA-Akten-Vorlass ersichtlich wird. Damals wurden mehrere Dutzend Kollegen und Kolleginnen aus dem sogenannten „Ostblock“ auch mit nicht geringen finanziellen Mitteln nach Österreich eingeladen, darunter allein 27 Personen aus Polen (Foto) und 26 aus Ungarn. 

Aus der DDR kamen etwa Edgar Lehmann von der "Karl-Marx-Universität Leipzig" bzw. dem "Nationalkomitee für Knstgeschichte der DDR" (Foto), Hannelore Gärntner, Heinrich Magirius, Ernst Schubert von der Akademie der Wissenschaften der DDR (Foto) sowie Ernst Ullmann. Aus Polen folgten neben dem zuvor in Princeton weilenden Großmeister Jan BiaȽostocki (Foto) Juliusz Chroscicki, Konstanty und Lech Kalinowski, Adam Labuda, Andrzej Rottermund und Jan Wrabec der Einladung. Die UdSSR war u.a. mit Anatoly Ivanov (Eremitage), Gaiané Alibehachvili (Georgien; Foto) und Michael Liebmann vertreten. Slowenien entsandte Janez Höfler und Anica Cevc, Ungarn die Doyenne und Direktorin des Szémüvészeti Múzeum Klára Garas (Foto) sowie Anna Szinyei Merse, Gyorgy Rózsa, Éva Kovács, Ernö Marosi und Géza Galavics.

Aus der Tschechoslowakei waren dies vorwiegend Kollegen aus dem 1953 gegründeten Institut für Kunstgeschichte und Kunsttheorie der Akademie der Wissenschaften (Foto) von Direktor Jiri Dvorský über Rudolf Chadraba (1922-2011), Josef Krása, Vera Nanková, Jaromír Neumann (1924-2001), Anna Petrová-Pleskotová, Tomáš Vlček (geb. 1941)  und Eliska Fuciková (Foto) bis zu Beket Bukowinská; dazu kamen Pavel Preiss (Nationalgalerie Prag), Jarmila Vacková, der Architekt Vladimir Slapeta (geb. 1947) von der Technischen Universität Brünn, Ivan Rusina (Nationalgalerie Preßburg) und Fielem Sadek (Direktor des Jüdischen Museums).

Trotz der offiziellen Einladung – über den österreichischen Botschafter oder an das Ministerium für Kultur der DDR – wird aus den Briefwechseln die Vermutung der Ablehnung der Ausreise durch die Behörden etwa bei einem aus der Haft entlassenen polnischen Kollegen deutlich, die Sorge um das rechtzeitige Eintreffen des “Berechtigungsscheines für das Visum“ in der DDR sowie vor allem die Angst vor einer Ablehnung der „Ausnahmsbewilligung zum Devisenankauf“ in Tschechien und Ostdeutschland.

Angesichts dieser Erinnerungen sollten sich nicht nur die KunsthistorikerInnen über die heute offenen Grenzen und die problemlos möglichen Kontakte mit den Kollegen und Kolleginnen in den Nachbarländern freuen.


Friedrich Polleroß
Fotos: Institut für Kunstgeschichte (durch Anklicken lassen sich die Bilder vergrößern).