Die Perspektive und ihre Symbolik. Von Giotto bis Jeff Wall
Die Perspektive und ihre Symbolik. Von Giotto bis Jeff Wall
Am 18. und 19. November fand die aus dem Habiblitationsthema von Sandra Hindricks (Abbildung) konzipierte Tagung "Painting as a Model of Seeing and Thinking. Interrelations Between Painting and Optical Science 1300-1600" statt. In ihrer Einleitung verwies die seit zwei Jahren in Wien lehrende Assistenzprofessorin auf die Interdisziplinarität der Thematik, geht es dabei ja nicht nur um Malerei und Optik (perspectiva), sondern auch um Philosophie, Naturwissenschaft und Theologie. Als erster Referent sprach der Berliner Ordinarius Klaus Krüger (FU) über Perspektive und Illusionismus bei Giotto in der Arenakapelle in Padua. In sehr tiefschürfender Analyse zeigte er die komplexe Struktur zwischen Fiktion und Raum, zwischen Bild und Rahmen sowie Zwei- und Dreidimensionalität in den Fresken auf. Giotto spielte aber auch mit dem Illusionismus von Materialien wie Marmor und Inkarnat, um durch deren Paradoxie abstrakte Tugendallegorien zu visualisieren, z.B. die Justitia zu verlebendigen und sogar zum Eingang des Stifters blicken zu lassen (Abbildung). Auch die noch nicht beherrschte oder nicht angestrebte Perspektive wurde offensichtlich inhaltlich eingesetzt.
Der Wiener Giotto-Experte Michael V. Schwarz referierte hingegen über „Blick und Bild vor Alberti“ am Beispiel von Porträts eines italienischen zeitgenössischen Künstlers und des französischen Königs Jean le Bon. Dabei ging es vor allem um die Frage des Goldgrundes und dessen Bedeutung. Laut der traditionellen Deutung von Braunfels sei der Goldglanz außerweltlich und daher ein Hinweis auf Himmel oder Paradies. Dagegen spreche aber die Punzierung vieler Tafeln, die aus dem himmlischen Licht eigentlich einen materiellen Bildträger mache. Es drehe sich also um die Frage Figur versus Grund bzw. in der damaligen Terminologie um „Imago“ versus „Tabula“. Die häufigere Darstellung von Architektur und Landschaft in den Fresken Giottos und seiner Nachfolger sei nicht auf eine zunehmende Mimesis zurückzuführen, sondern trage nur der Veranschaulichung der Erzählung Rechnung.
Unter der Moderation von Tanja Hinterholz ging dann der Innsbrucker Kunsthistoriker Lukas Madersbacher der Frage nach, von welcher Perspektive reden wir eigentlich. Tatsächlich gäbe es zwei Formen: die Theorie von Alberti mit einem Fluchtpunkt sowie die Variation der künstlerischen Praxis seit Filarete mit zwei Fluchtpunkten. Obwohl schon Vignola von beiden Verfahren berichtet habe, waren sich aber auch die modernen Kunsthistoriker*innen nicht ganz sicher in ihrer Argumentation. Nach Madersbachers Meinung sei die Alberti-Variante niemals realisiert worden!
Unter der Moderation von Stefan Albl sprach am Nachmittag die aus den USA zugeschaltete Janis Bell über Farbe und Licht bei Leonardo. Dieser habe die Beziehung zwischen Licht und Farbe als proportional aufgefasst und damit einen neuen Zugang zur Berechenbarkeit dieser Phänomene eröffnet habe. Ebenfalls aus den USA zugeschaltet, widmete sich anschließend Saskia Quené wiederum der Thematik des Goldgrundes und präsentierte eine neue Interpretation von Domenico Ghirlandaios Incoronazione della Vergine (um 1486). In diesem großformatigen Gemälde habe Ghirlandaio strahlendes, reflektierendes und sich brechendes Licht dargestellt und dabei visuell dessen physische und metaphysische Quelle in der Mitte der Bildebene verhandelt. Der Maler habe sich der Visualisierung des himmlischen Ursprungs des Lichts durch einen kühnen Einsatz kostbarer Materialien genähert und dies müsse als perspektivische Darstellung begriffen werden, so dass zentrale Argument der Referentin.
Am Samstag sprach u.a. der Historiker Mathijs Speecke von der Universität Ghent über die Perspektivkenntnisse in den Niederlanden zurzeit von Jan van Eyck. Es gibt dafür nur indirekte Quellen wie Informationen über Augen, Spiegel oder Optik in enzyklopädischen Publikationen. Dazu kann man Bücherlisten u.a. in der ÖNB auswerten, den Kulturtransfer am burgundischen Hof von Ärzten und Astronomen sowie die möglichen Kenntnisse von Kunsthandwerkern wie Goldschmiede und Spiegelmacher untersuchen.
Heike Schlie von Institut für Mittelalterliche Realienkunde in Salzburg hat dann aber die Regelbrüche der Perspektive in der altniederländischen Malerei mit inhaltlichen Gründen erklärt. Als Hauptargument diente ihr das Abendmahl von Dirk Bouts (Abbildung), dessen Innenraum auf den ersten Blick perfekt perspektivisch wirkt, aber de facto bewusste Abweichungen hat. So ist der Tisch – Schlie nannte es „bildstrategisch“ - stärker aufgeklappt, um das Pascha-Lamm in den Mittelpunkt zu stellen, der Fluchtpunkt befindet im Kruzifix am Kamin, und auf der Rückseite bzw. Abdeckung der Altartafel befindet sich genau an der Stelle von Christus beim Abendmahl eine Leerstelle des Holzkreuzes. Nach Meinung der Referentin hat der Künstler auch den Standort des Altares berücksichtigt, was in diesem Falle nachvollziehbar ist – bei den meisten Bildern in Museen allerdings nicht mehr. Als Beweis wie sorgfältig Bouts seine Komposition überlegte, nannte sie die durch das Röntgenbild sichtbare Verschiebung des Fußes auf dem ebenfalls fluchtenden Fußbodenpflaster. Die lebhafte Diskussion nach allen Vorträgen bezeugte, dass es sich um eine gelungene Veranstaltung zu einem interessanten Thema gehandelt hat.
Sowohl mit der Basilika in Assisi als auch mit dem Phänomen des Goldgrundes hat sich schon um 1930 der Wiener Kunsthistoriker Josef Bodonyi beschäftigt, der 1942 von den Nazis ermordet wurde. Er hat 1929 eine Aufnahmearbeit über San Francesco geschrieben und 1932 bei Julius von Schlosser mit der Arbeit „Entstehung und Bedeutung des Goldgrundes in der spätantiken Bildkomposition (Ein Beitrag zur Sinndeutung der spätantiken Kunstsprache)“ promoviert. Bodonyis Studienfreund Ernst Gombrich hat die Dissertation wenig später in den „Kritischen Berichten zur kunstgeschichtlichen Literatur“ vorgestellt bzw. rezensiert.
Ebenfalls 1932, also vor 90 Jahren, hat Bodonyi bei einer von Gombrich am Institut aufgeführten Parodie auf Goethes „Faust“ mitgewirkt. Das Typoskript „Infausti Ascensio“ des von „Severius Gompricius“ verfassten und von diesem unter seinem Zweitnamen Hans inszenierten Schauspiels hat sich im Institutsarchiv erhalten (Abbildung). Weitere Mitwirkende waren u.a. Juliane Pleschner, Zdrawka Mintchewa, Herbert Seiberl und offensichtlich auch die Hamburgerin Bella Martens. Vor 40 Jahren, nämlich 1983, wurde Sir Ernst mit dem goldenen Doktordiplom der Universität ausgezeichnet (Abbildung), und 2011 hat man den Förderpreis des Institutes nach diesem bedeutenden Emigranten benannt.
Der Sir-Ernst-Gombrich-Nachwuchspreis des Jahres 2022 wurde am 7. Dezember im Rahmen eines Vortrages der Kunsthistorischen Gesellschaft am Institut übergeben. Damit ausgezeichnet wurde der ebenfalls aus Hamburg angereiste Christopher Lützen (Abbildung). Er wurde in Nordfriesland geboren und hat von 2011-22 an unserem Institut studiert, wobei er sich auch mit Hogarth und Rembrandt beschäftigt hat. Nebenbei hat er als Studienassistent sowie im Labor für empirische Bildwissenschaft gearbeitet, und sich auch bei Sozialprojekten sowie bei „study@khm“ engagiert. 2021/22 war er als wissenschaftlicher Assistent im Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg tätig.
In seiner Masterarbeit „Der Ort der Kamera bei Jeff Wall. Die fotografische Perspektive als Mittel der Inszenierung in neueren Arbeiten“ bei Univ.-Prof. Sebastian Egenhofer hat sich Christopher Lützen sowohl mit der in der Tagung behandelten Perspektive bzw. deren inhaltlicherm Einsatz als auch mit der von Ernst Gombrich zumindest während seines Wiener Studiums geliebten Tätigkeit der Inszenierung beschäftigt. Ähnlich wie bei Giotto und Bouts erscheint etwa der bühnenartige „Changing Room“ auf einem fast lebensgroßen Print von Jeff Wall aus dem Jahre 2014 (Abbildung) auf den ersten Blick sorgfältig nach den Prinzipien der Perspektive konstruiert bzw. inszeniert. Aber bei genauerem Hinsehen entdeckt man Widersprüche und Unklarheiten, die auf eine bewusste optische Irreführung und damit wohl auf eine inhaltliche Aussage der täuschenden Realität hindeuten. So ist etwa die linke Wandfläche unklar: handelt es sich wie rechts um Spiegelglas oder doch um einen Freiraum, weshalb es möglich ist, die Kleiderbügel auf den Querbalken zu hängen? Auch das über den Kopf gestülpte Kleid der Frau bleibt geheimnisvoll…
Friedrich Polleroß Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Friedrich Polleroß, Gudrun Vogler