Zwei Länder - eine Kunstgeschichte. Gemeinsame Exkursion der Institute für Kunstgeschichte in Wien und Budapest


Die 1990 geschaffene wissenschaftliche Kooperationsstiftung „Aktion Österreich-Ungarn” wurde in letzter Zeit verstärkt für kunsthistorische Belange in Anspruch genommen. Auf Anregung unserer Lektorin Dr. Maria Theisen (Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters der ÖAW) fand im Oktober 2008 ein Besuch von Studierenden der Budapester ELTE-Universität in Wien und an unserem Institut statt. In Gegenzug lernten im Jahr darauf Wiener Studierende die Kunstschätze der ungarischen Hauptstadt und die Studienmöglichkeiten an der Partneruniversität kennen.
Logische Folge dieser Aktivitäten war nun eine gemeinsame Exkursion der beiden kunsthistorischen Institute, die ebenfalls von der Stiftung Aktion Österreich Ungarn finanziert wurde. Der Erfolg der unter dem Motto „Kunstgeschichten. Zwei Länder – Eine Kunstlandschaft” stehenden viertägigen Exkursion vom 29. April bis zum 2. Mai 2010 beruhte nicht zuletzt auf der konsequenten Weiterführung des Kooperationsgedankens: Nicht nur die Lehrenden kamen aus beiden Ländern, sondern auch zahlreiche der besuchten Kunstwerke waren im Schnittpunkt der beiden Kulturkreise entstanden. Zum ersten Mal war die Möglichkeit gegeben, dass Studierende aus beiden Ländern gemeinsam das Grenzgebiet besuchen und die gemeinsame Kunstgeschichte der Region kennen lernen bzw. aus der jeweils unterschiedlichen Perspektive und kunsthistorischen Tradition diskutieren konnten. Neben der Möglichkeit zur besseren Zusammenarbeit auf der Ebene der Studierenden und des Lehrpersonals (und damit der künftigen Forschung) sollten auch die Schwellenängste auf beiden Seiten reduziert werden.
Es war vor allem eine besondere Auszeichnung und Freude für die TeilnehmerInnen, dass Prof. Dr. Ernö Marosi, der ehemalige Vizepräsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Doyen der ungarischen Kunstgeschichte und Fachmann für mittelalterliche Kunst, bei der Exkursion dabei sein konnte. Von ungarischer Seite nahmen außerdem Univ.-Doz. Dr. Anna Eörsi, Spezialistin für die Malerei des Internationalen Stils der Gotik an der ELTE-Universität, und der katalanische Mittelalterfachmann Prof. Xavier Barral y Altet, von österreichischer Seite Dr. Maria Theisen und Mag. Stefan Scholz, Assitent für mittelaltelriche Bauforschung an der Karlsuniversität in Prag und "Stadtarchäologe" von Hainburg an der Donau, als Betreuer teil. Das erste Ziel der Reise war das Augustiner Chorherrenstift Klosterneuburg und seine Kunstsammlungen, die Museumskurator MMag. Wolfgang Huber anhand einer ausführlichen Führung vorgestellt hat. Besonders eindrucksvoll war es, den Verduner Altar aus nächster Nähe zu betrachten und den Albrechtsaltar in geöffnetem Zustand zu sehen.
Nach einer Führung in der historistischen Burg Kreuzenstein, die ein Pasticcio aus mehreren mittelalterlichen Spolien (darunter ein Laubengang aus der ehemals zum Königreich Ungarn gehörigen Stadt Kaschau/Košice) darstellt, gelangte die Gruppe zur mittelalterlichen Pfarrkirche von Schöngrabern. Als Abschluss des ersten Tages wurde der Tullner Karner von Prof. Marosi vorgestellt. Die beiden spätromanischen Sakralbauten mit aussergewöhnlicher Bauplastik werden mit einer legendären Gruppe von normannischen Bauleuten in Zusammenhang gebracht, die zuvor in Ungarn tätig waren und vor den Mongolen 1241 nach Österreich geflohen sind.
Am zweiten Tag wurden der ehemalige Dom von Wiener Neustadt und auch die sog. Wappenwand im Innenhof der Theresianischen Militärakademie besichtigt. Danach ging die Fahrt ins Burgenland weiter, das erst 1921 von Ungarn an Österreich abgetreten wurde. Die im Rahmen der Exkursion besuchte Burg Forchtenstein ist ja als fiktiver Stammsitz und Kunstkammer des Palatins Paul Esterházy aufs engste mit der ungarischen Geschichte verbunden. Am späten Nachmittag folgten die Besichtigung der mittelalterlichen Kirche von Sopronbánfalva und eine Stadtführung durch Prof. Ernö Marosi im Zentrum der Stadt Sopron/Ödenburg mit zahlreichen zum Teil gut erhaltenen mittelalterlichen Bürgerhäusern.
Der dritte Tag begann mit der Besichtigung der Soproner St. Michaelskirche aus dem 14. Jahrhundert und einem anschließenden Besuch der ehemaligen Klosterkirche der Benediktiner und dem Kapitelsaal des Klosters. Danch wurden die berühmte Sammlung von Ferenc Storno sowie die mittelalterliche Synagoge der Stadt besichtigt. Auf dem Programm standen außerdem die romanische Kirche von Sopronhorpács, das spätbarocke Schloss Esterháza in Fertöd und die romanische Rotundenkirche von Hidegség.
Am letzten Tag führte der Weg nach Heiligenkreuz, wo das Zisterzienserstift und die Klosterkirche mit ihrem berühmten Hallenchor besichtigt werden konnten. Nach einem Besuch des romanischen Mödlinger Karners und der gotischen Hallenkirche St. Othmar hat die Gruppe noch bei der Hallenkirche von Perchtoldsdorf angehalten, bevor die Exkursion mit der Besichtigung des Zisterzienserstiftes Lilienfeld zu Ende ging.
Als kleines Dankeschön des Wiener Instituts wurde Prof. Marosi, der vor kurzem seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, das zweibändige Büch über die gotische Malerei von Gerhard Schmidt überreicht. Der Anfang April verstorbene ehemalige Wiener Ordinarius hat als seine letzte wissenschaftliche Arbeit noch einen Beitrag für die Festschrift seines ungarischen Kollegen verfasst, und es ist erfreulich, dass die k.u.k. Kooperation jetzt in der Enkelgeneration der beiden mitteleuropäischen Kunsthistoriker fortgesetzt wird.
Friedrich Polleroß    Fotos: Kristóf Viola/Unidam