Übung vor Originalen. Buchpräsentation im Kunsthistorischen Museum


Am 22. Juni 2010 wurde in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums die Caravaggio-Monographie unseres Ordinarius Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze der Wiener Öffentlichkeit präsentiert. Das Buch entstand anlässlich des 400. Todesjahres von Michelangelo Merisi da Caravaggio, der 1571 in Mailand geboren wurde und 1610 in Porto Ercole auf seine Begnadigung durch den Papst wartend neuesten Vermutungen zufolge an Bleivergiftung und damit an einer typischen Berufskrankheit von Malern verstorben ist.

Galeriedirektor Hofrat Dr. Karl Schütz wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass die Caravaggios des Wiener Museums relativ späte Erwerbungen waren. Institutsvorstand Prof. Dr. Lioba Theis begrüßte die hoffentlich in Zukunft wieder verstärkte Zusammenarbeit des Institutes mit dem Museum.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Prohaska, ehemaliger Kurator für italienische Barockmalerei und nun Leiter eines Forschungsprojektes zur Katalogisierung der Werke Caravaggios und seiner Nachfolger im Kunsthistorischen Museum, verwies zunächst auf die zahlreichen Aktivitäten des Gedenkjahres und einen beispiellosen Hype selbst in den als seriös geltenden Medien, die sich vor allem mit viel Kreativität und wenig Quellenkenntnis auf das zweifellos verhaltensoriginelle Leben des „Rimbaud der Malerei“ stürzten. Nicht unabhängig von solchen Moden habe auch der Kunstmarkt in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit vermeintlichen oder tatsächlichen Sensationsfunden für Aufregung in der Kunst- und Medienwelt gesorgt. (Es entbehrt daher nicht einer bewussten oder unfreiwilligen Ironie, dass die dem Maler gewidmete offizielle Homepage „Caravaggio.com“ das Werkverzeichnis mit Caravaggios Gemälde der betrügerischen „Wahrsagerin“ einleitet.) Prof. Prohaska verwies weiters auf die Ausstellung in Rom, die mit 24 Gemälden 580.000 Besucher anlockte und einen italienischen Rekord einfuhr. Das aus Wien nach Rom verliehene Gemälde war erst an diesem Tag an seinen Stammplatz zurück gekehrt und die Werke des Malers boten daher den passenden Hintergrund für die Buchpräsentation. Doch der Caravaggio-Kult erfasste laut Prohaska auch die Wissenschaft wie 300 neue Aufsätze und vier Monographien von je zwei italienischen und zwei deutschen KunsthistorikerInnen beweisen. Während es innerhalb der italienischen Kunstgeschichte zwei Lager gäbe, die den Maler entweder als frommen Verfechter der Gegenreformation oder im Gegenteil als aufgeklärten Häretiker ausweisen, seien die beiden Produkte der deutschen Kunstgeschichte bemüht, die verbreiteten Klischees in Frage zu stellen und ein wissenschaftlich-nüchternes Bild der historischen Realität zu zeichnen. Nicht zu Unrecht wurden sie daher in einer Meldung des ORF als „Rehabilitationsschriften“ bezeichnet. Die im Verlag Beck erschienene Monographie stammt von Sybille Ebert-Schifferer, der Spezialistin für die italienische Malerei des 17. Jahrhunderts und Direktorin der Bibliotheca Hertziana in Rom, das „Opus magnum“ (39,5 x 29 cm) im Taschen-Verlag von Sebastian Schütze, der mit dem Wintersemester die Nachfolge von Prof. Lorenz auf dem Barock-Lehrstuhl unseres Institutes angetreten hat.

Prof. Schütze wies in seiner Rede auf die Überlegungen für seine Publikation hin. Einerseits habe es bis vor kurzem weder eine umfassende Monographie gegeben, die den wissenschaftlichen Forschungsstand der letzten Jahrzehnte resumiere, noch eine umfassende Bilddokumentation. Ganz in der Tradition der „Wiener Schule“ der Kunstgeschichte habe er aber die Werke und deren Augenschein in den Mittelpunkt seiner Arbeit und auch seiner Publikation gestellt, sodass sich die Leserschaft nicht zuletzt aufgrund zahlreicher fotografischer Neuaufnahmen selbst „ein Bild machen könne“. Dies gelte sowohl für die „Wirkungsmacht von Gestik und Mimik“, also die Bildrhetorik Caravaggios, als auch für die Kontroversen um Funde und Zuschreibungen der letzten Jahre. Die Buchpräsentation in der Gemäldegalerie vor den Originalen des Meisters und seiner Nachfolger sei daher ein schöner und passender Abschluss dieses Projektes.

Bei einem Rundgang durch die von Prof. Prohaska und dessen Nachfolgerin, unsere Absolventin Dr. Gudrun Swoboda, kuratierten Sonderhängung zum Caravaggismus sowie bei einem Glas Wein ergab sich abschließend die Möglichkeit, die wissenschaftlichen Diskussionen sinnlich ausklingen zu lassen, wie es dem Maler des Bacchus gewiss gefallen hätte.
Friedrich Polleroß    Fotos: KHM, UNIDAM