Alois Riegl und die Barockforschung. Zur Aktualität der „Wiener Schule“ von Rom bis Los Angeles



Die 150-jährige Geschichte der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ erlebt zur Zeit weltweit eine unglaubliche Blüte und vielfältiges Forschungsinteresse.
Am 13. Jänner 2011 werden in dem von unserem Dozenten Dr. Richard Bösel geleiteten Österreichischen Historischen Institut in Rom gleich zwei Bücher zu diesem Thema präsentiert. In beiden geht es um Alois Riegl (1858-1905), den prominentesten Ahnherrn unseres Institutes. Der von Peter Noever, Artur Rosenauer und Georg Vasold herausgegebene Tagungsband zum 100. Todestag des Gelehrten „Alois Riegl revisited“ enthält u.a. Beiträge von Werner Hofmann (Hamburg), Jás Elsner (Oxford/ Chicago), Oleg Grabar (ehemals Princeton, + 8.1.2011) und Margaret Olin (New Haven).
Vorgestellt wird außerdem die vom Getty Research Institute in Los Angeles publizierte Edition und englische Übersetzung von Riegls  Buch „Die Entstehung der Barockkunst in Rom“. Dabei handelt es sich um die 1908 posthum veröffentlichten Mitschriften von Wiener Vorlesungen.
Einer der römischen Referenten, Univ.-Prof. Dr. Hans Aurenhammer (Frankfurt), lange Jahre Archivar und Historiker der „Wiener Schule“ an unserem Institut, lädt am 12. Februar 2011 zu einem Studientag „Barock-Perspektiven“ an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, bei dem die Anfänge der Barockforschung und der Anteil Wiener Kunsthistoriker daran in größerem Rahmen diskutiert werden sollen: „Der Studientag soll die Gelegenheit geben, gemeinsam über die Ambivalenzen und die kulturellen und politischen Implikationen dieser im Zeichen der Moderne stehenden kunstwissenschaftlichen Barockforschung von ca. 1880 bis 1945 nachzudenken. Die Beiträge beleuchten die Problematik aus unterschiedlichen Perspektiven. Zentrale Vertreter der Kunsthistoriographie des Barock werden analysiert, in ihrer aktualisierenden Bezugnahme auf die moderne Kunst (Riegl), ihrer begrifflichen Systematik (Schmarsow) bzw. ihrer politischen Biographie (Brinckmann). Thematisiert wird aber auch die Barock-Ideologie in Österreich-Ungarn, die Popularisierung des kunstwissenschaftlichen Barock-Bilds und die der Vertreibung vieler Wissenschaftler folgende ‚Translation‘ der deutschen Barockforschung in die angloamerikanische Kultur.“ Über die Wiener Gelehrten Alois Riegl und Albert Ilg werden in Frankfurt unser Assistent Georg Vasold („Unzeitgemäß und veraltet?“ Vom Barock zur Moderne und der Beitrag Rembrandts) sowie unser Dozent Werner Telesko (Zur politischen Instrumentalisierung des Barock in der Habsburgermonarchie im späten 19. Jahrhundert) referieren.
Das in Rom präsentierte amerikanische Buch wurde vor kurzem im „Journal of Art Historiographiy“ rezensiert. Diese seit 2009 von der Universität Glasgow publizierte Internetzeitschrift entwickelt sich immer mehr zum Hauptorgan der Forschung über die Wiener Schule. Schon das erste Heft vom Dezember 2009 enthielt einen eigenen Schwerpunkt zur „Viennese school of art history“ mit nicht weniger als zehn Aufsätzen u.a. zu Riegl, Johann Thausing, Max Dvořák, Julius von Schlosser, Sir Ernst Gombrich, Fritz Novotny und die Verbreitung der Methode durch die englischen Schüler von Johannes Wilde. Die zweite Folge vom Sommer 2010 brachte Aufsätze von Hans H. Aurenhammer über Max Dvořák und die Mittelalterkunstgeschichte, Ricardo De Mambro Santos über die „Kunstliteratur“ (1924) des Julius von Schlosser sowie von Karl Johns über das in diesem Werk enthaltene Kapitel über Vasari.
Auch die dritte Ausgabe dieser digitalen Fachzeitschrift vom Dezember 2010 enthält wieder einen Abschnitt „The Vienna School“ mit Beiträgen von Diana Reynolds Cordileone ('The advantages and disadvantages of Art History to Life: Alois Riegl and historicism'), Adi Efal ('Reality as the cause of Art: Riegl and neo-kantian realism'), Veronika Kopecky (‘Letters to and from Ernst Gombrich regarding Art and Illusion, including some comments on his notion of “schema and correction”’), Branko Mitrović (‘A defence of light: Ernst Gombrich, the Innocent Eye and seeing in perspective’), Cindy Persinger (‘Reconsidering Meyer Schapiro and the New Vienna School’), Kathryn Simpson (‘Viennese art, ugliness, and the Vienna school of art history: the vicissitudes of theory and practice’).
Friedrich Polleroß     Fotos: Friedrich Polleroß, UNIDAM