Materialprobe. Kolloquium eines Forschungsprojektes der Max-Planck-Institute in Berlin und Florenz an unserem Institut


Unter dem Titel „Die Materialität der Konstruktion. Graphische Verfahren der Welterzeugung“ fand am 12. und 13. November 2009 an unserem Institut ein Workshop statt, dem ein öffentlicher Abendvortrag von Univ.-Prof. Dr. Friedrich Teja Bach vorausgegangen war.
Die bereits zum vierten Mal stattfindende „Materialprobe“ wird vom Forschungsprojekt „Wissen im Entwurf. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Forschung“ des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte  
in Berlin und des Kunsthistorischen Institutes in Florenz veranstaltet. Der Begriff bezeichnet eine Serie von Kolloquien, bei denen die Mitglieder des Kooperationsprojektes an wechselnden Orten Fallstudien aus dem Zusammenhang der Forschungsinitiative präsentieren, die exemplarisch und materialnah jeweils ein Feld oder einen Modus des forschenden Schreibens und Zeichnens untersuchen. Da zwei Mitglieder des Netzwerkes – Ass.-Prof. Dr. Wolfram Pichler und Ass.-Prof. Dr. Wolfgang Pircher vom Institut für Philosophie der Universität – aus Wien kommen, fand das Treffen heuer zum ersten Mal hier statt. Die „Materialproben“ stellen unterschiedliche Herangehensweisen an das Material vor und dienen der gemeinsamen methodischen und theoretischen Erschließung von „paper tools“. Unter den Vortragenden befand sich auch Dr. Barbara Wittmann, eine der führenden Mitarbeiterinnen des Berliner Forschungsinstitutes, die an unserem Institut studiert und 1996 bei Prof. Bach eine Diplomarbeit mit dem Titel "Der gemalte Witz: G. F. Carotos 'Knabenbildnis mit Kinderzeichnung'; Verona, Museo di Castelvecchio" geschrieben hat.
Die vierte „Materialprobe“ konzentrierte sich auf die materielle Realität von Konstruktionsprozessen, d.h. auf den konkreten Akt der Konstruktion in den Künsten und Wissenschaften der Moderne. Konstruktive Vorgänge waren und sind häufig an graphische Oberflächen gebunden, auf denen aufgezeichnet wird, was sichtbar gemacht oder geschaffen werden soll. Sie kennzeichnet eine Dynamik der Zielorientiertheit, die vorausgreifend Potenzialität vorstellt. Das Ziel, etwas zur Erkenntnis und zur Existenz bringen zu wollen, schließt also von Anfang an ein konstruktives Begehren ein, das ein unkalkulierbares kreatives und/oder imaginatives Moment einbringt und eine Performanz des Ablaufs erzeugt.
Die Bandbreite der bei der Wiener Tagung angesprochenen Aspekte umfasste so unterschiedliche Phänomene wie die Methoden der darstellenden Geometrie, die verschiedensten diagrammatischen und perspektivischen Verfahren in technischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Entwurfs- oder Rekonstruktionsprozessen oder den konstruktiven Zugriff auf Schrift – beispielsweise in der Erstellung von Wortlisten oder Plänen. Alle diese graphischen Hilfsmittel der Konstruktion sind keineswegs arbiträr, sondern gehen von bestehendem Wissen, Apparaturen und Kunstfertigkeiten aus. Aber trotz der Regelgeleitetheit und der häufig zu beobachtenden Konventionalisierung oder Standardisierung bleibt ein unvordenklicher und latenter Faktor des Konstruierens bestehen. Wenn man „techné“ als dem Wissen nicht nachgeordnet versteht, sondern als essentiellen Anteil der Wissensproduktion, können die beiden zentralen Funktionen der graphischen Konstruktion in den Blick geraten: zum einen die Aussonderung all jenes Wissens, das für die gezielte Umsetzung nicht (mehr) von Relevanz ist; zum anderen die Antizipation von neuen Quantitäten, Formen oder Raumordnungen.
Das Forschungsprojekt und der Wiener Workshop widmete sich damit Fragestellungen, die auch in zwei in diesem Jahr von Professoren unseres Institutes herausgegebenen Tagungsbänden über Zeichnungen und Netzwerke behandelt wurden.
Friedrich Polleroß
Fotos: Karl Pani