Kunstkrimi am Institut für Kunstgeschichte

Obwohl oder vielleicht weil der deutsche Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi gerade in einem vom Sohn seines Anwalts gedrehten Film heroisiert wird und weil dadurch auch die Zunft der Kunsthistoriker ins schiefe Licht geriet, scheint es an der Zeit, dem Phänomen der Fälschungen auch in der Wissenschaft mehr Aufmerk- samkeit zu widmen. Zunächst sind es jedoch die Massenmedien, die sich immer wieder über tatsächliche oder angebliche Sensationsfunde von Kunstwerken freuen – selbst, wenn sie ohne eine einzige Rückfrage Zeitungsenten übernehmen. So geschehen am 10. Mai: in identischer Formulierung berichteten sowohl der ORF als auch „Der Standard“ von der Entdeckung eines Gemäldes von Vincent van Gogh in Spanien, das angeblich 40 Jahre verschollen und zuvor Besitz unseres Institutes gewesen sei (3. Bild von oben): „Die Rückseite trage Stempel mehrerer angesehener Institutionen, der letzte stammt aus dem Jahr 1974 und sei vom Kunsthistorischen Institut der Universität Wien.“ Da die Anzahl der in österreichischen Sammlungen befindlichen Werke des niederländischen Malers offensichtlich so groß ist, fand es keiner der Journalisten der Mühe wert, am Institut anzurufen, ob man sich denn über das Auftauchen des seit 40 Jahren vermissten Kunstwerkes freue und wie es denn abhanden gekommen sei. Erst nach einigen Tagen langten Anfragen internationaler Presseagenturen wie Reuters und Associated Press am Institut und bei der Pressestelle der Universität ein.

Im Unterschied zu den Journalisten hatte sich die Abteilung Kunstdelikte des Landeskriminalamtes Berlin bereits vor einem halben Jahr nach „unserem Van Gogh“ erkundigt. Schon damals musste ich dessen Existenz verneinen und die Berliner Kollegin auch informieren, dass die Stempel offensichtlich genauso schlecht gefälscht sind wie das Bild. Selbst wenn einer unserer Mitarbeiter 1974 ein Gutachten zu dem Gemälde verfasst hätte, wäre dies als Schreiben abgefasst und nicht mittels Stampiglie auf der Leinwand bestätigt worden. Man hat daher den Eindruck, in der Reihe der mit Besitzstempeln vertretenen Museen müsste eigentlich das Kunsthistorische Museum und nicht das Kunsthistorische Institut genannt werden. Tatsächlich haben mehrere Zeitungsberichte dieses Missverständnis stillschweigend korrigiert und verweisen auf das Kunsthistorische Museum als letztbekannten Standort des Gemäldes. Die Schrift des Gemäldestempels entspricht zwar einem offensichtlich damals von unserem Institut verwendeten Typus, stammt aber wohl aus einem Setzkasten der 1970er Jahre: soweit es der Abdruck beurteilen lässt, steht dort nämlich „Kunsthistoeischer Institut“. Dass der Fälscher der deutschen Sprache nicht ganz mächtig war, verrät auch der zweite Stempel „Museum – Schönen - Künste Berlin“. Ein solches Museum hat es in Berlin auch nie gegeben, wohl aber trägt das kunsthistorische Museum in Budapest diesen Titel, was vielleicht auf einen ungarischen, jedenfalls aber auf einen nur halb gebildeten Fälscher verweist! Aber so einfältig, ein angeblich echtes Gemälde mit falschen Stempeln zu veri- oder besser gesagt falsifizieren, kann wohl nur ein ganz dummer Betrüger sein. Von der Intelligenz bzw. Sorgfalt der „Experten“, die angeblich darauf reingefallen sind, gar nicht zu reden. Varianten des Gemäldes nach dem vermutlichen Original im Metropolitan Museum of Art in New York (Foto ganz oben) sind übrigens jederzeit via Internet bei (chinesischen?) Kopisten und in besserer Qualität als beim Gemälde in Madrid erhältlich (Fotos in der Mitte)!

Nun – wie wohl alle unsere LeserInnen vermuten werden – hat das Institut für Kunstgeschichte leider weder 1974 noch jemals zuvor ein Gemälde von Van Gogh besessen. Im Unterschied zu amerikanischen Universitätsmuseen verfügt unser Institut nur über eine kleine Sammlung von graphischen Originalen. Einer der Stifter dieser Sammlung war vermutlich der 1887 in Prag geborene und 1922 in Wien verstorbene Oswald von Kutschera-Woborsky. Er studierte an der Universität Wien Anfang des 20. Jahrhunderts Kunstgeschichte und beschäftigte sich vor allem mit italienischer Barockmalerei. Sein gesamter wissenschaftlicher Nachlass ging in den Besitz unseres Institutes über, darunter auch Fotos sowie zahlreiche wertvolle Bücher (z.B. Originalausgaben von Sandrart und Pozzo). Die Sammlung von Gemälden und Handzeichnungen vorwiegend des italienischen Barocks vermachte er dem österreichischen Staat. Sie befinden sich heute in verschiedenen Museen, darunter das Kunsthistorische Museum, das Belvedere und die Albertina. Wie eine aus diesem Nachlass stammende Aktzeichnung von Egon Schiele 1952 von der Albertina in die Sammlung Leopold kommen konnte, ist dubios genug, aber ein Gemälde von van Gogh besaß Herr von Kutschera-Woborsky offensichtlich nicht. Der einzige Mitarbeiter unseres Institutes, der jemals Gemälde dieses Meisters in seinem Haus hatte, war der wohlhabende Schweizer Hans R. Hahnloser, der um 1930 als Assistent und Privatdozent am Wiener Institut für Kunstgeschichte arbeitete - ohne Bezahlung. Dass er dafür auch noch eines seiner wertvollen Gemälde dem Institut geschenkt hätte, wäre aber wohl etwas zu viel verlangt gewesen….

 

 

 

Friedrich Polleroß     

Fotos: Landeskriminalamt Berlin, Wikipedia