Die Wiener Schule der Kunstgeschichte und ihr Archiv
Die Wiener Schule der Kunstgeschichte und ihr Archiv
Genau 160 Jahre nach der Ernennung von Rudolf Eitelberger von Edelburg (1817-1885) zum ersten (a.o.) Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien im Jahre 1852 erfreut sich die damals begründete „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ zunehmend eines internationalen Interesses. So wird am 12. Oktober am Sitz des Bundesdenkmalamtes in der Hofburg ein kleines Symposium zum 150. Geburtstag unseres langjährigen Ordinarius Josef Strzygowski stattfinden, bei dem u. a. unsere AbsolventInnen Marlene Strauß-Zykan und Heinz Schödl (der in diesem Juli auch beim CIHA-Kongress in Nürnberg in der Sektion von Horst Bredekamp über sein Dissertationsthema referiert hatte), unser früherer Assistent Georg Vasold und unser neuer Assistent Maximilian Hartmuth Vorträge halten werden. „Josef Strzygowski und die Berliner Museen“ nennt sich eine Ausstellung, die vom 19. Oktober 2012 bis zum 20. Jänner 2013 im Museum für Byzantinische Kunst in Berlin zu sehen sein wird. Sie beleuchtet die Rolle des damals noch in Graz tätigen Kunsthistorikers als Berater von Wilhelm von Bode beim Aufbau der Berliner Sammlungen.
In Wien war Strzygowski hingegen mit seinen Kollegen am Institut so verfeindet, dass die Wiener Kunstgeschichte 1911 in zwei auch räumlich getrennte Institute geteilt wurde. Es ist daher ein Pointe der Geschichte, dass einer der Vertreter der Gegenposition, Max Dvořák, zur gleichen Zeit ebenfalls wissenschaftlich gewürdigt wird. Am 17. Oktober wird nämlich an unserem Institut das seinerseits vom Bundesdenkmalamt herausgegebene Buch „Max Dvořák. Schriften zur Denkmalpflege“ vorgestellt werden. Der italienische Kunsthistoriker Sandro Scarrochia, der die Schriften des Wiener Professors herausgegeben hat, hat auch schon über dessen Vorgänger Alois Riegl publiziert. Dem gemeinsamen Engagement von Bode und Dvořák für den Denkmalschutz bzw. für die wissenschaftliche Erfassung der Kunstdenkmale in Topographien war hingegen ein im Vorjahr erschienener englischer Aufsatz von Jonathan B. Blower in der slowakischen Zeitschrift „ars“ gewidmet. Der Beitrag ging aus der Dissertation des Autors an der University of Edinburgh hervor, die den Titel trägt „The Monument Question in Late-Habsburg Austria“.
Im eben genannten Aufsatz wird auch erwähnt, dass im Nachlass des Generaldirektors der Preußischen Museen nicht weniger als 137 Briefe von Strzygowski, aber auch 108 Stück von Julius von Schlosser sowie 36 von Max Dvořák erhalten sind. Dvořák und dessen von Adolf Loos 1921 geschaffenes Kenotaph sind Thema eines Aufsatzes von Josef Vojvodík in der Herbstausgabe der tschechischen Zeitschrift „Umĕní“. Ein weiteres aktuelles Buch ist Dvořáks Schüler Fritz Saxl gewidmet, der nach seiner Tätigkeit für Aby Warburg in Hamburg zum Gründer des Warburg Institute in London wurde. Die aus Eisenstadt stammende Dorothea McEwan, langjährige Mitarbeiterin von Saxls Nachfolger Sir Ernst Gombrich und erste Archivarin des Warburg Institute ab 1993, hat nun im Böhlau-Verlag erstmals eine Biographie dieses bedeutenden Wiener Gelehrten vorgelegt.
Die wichtigsten Unterlagen zur Erforschung der Wiener Schule der Kunstgeschichte befinden sich jedoch in unserem Institutsarchiv, welches nach seiner Verbringung 2011 in neue Metallkästen im Bibliothekszwischengeschoss von Dr. Friedrich Polleroß betreut wird. Der Institutsarchivar und der frühere Mitarbeiter im Archiv des KHM, Dr. Johann Weiss, haben die Archivalien heuer grob geordnet und teilweise in neue, dankenswerterweise vom Universitätsarchiv zur Verfügung gestellte Kartons gegeben. Die Sammlung konnte 2012 auch erweitert werden, einerseits durch den Nachlass von Otto Pächt, der bis dahin im „Pächtarchiv“ verwahrt worden war, andererseits durch einige Briefe von Max Eisler, die unser Absolvent Mag. Friedrich Pannosch aus einem Antiquariat für das Institutsarchiv erworben hatte. Dafür sei dem Stifter herzlich gedankt. Das Archiv umfasst ca. 300 Archivkartons und enthält einerseits Nachlässe bzw. Teilnachlässe von KunsthistorikerInnen ab 1900, andererseits Institutsakten vorwiegend ab 1930 bis etwa 1975. Schwerpunkte des Archivs sind Vorlesungen und/ oder Korrespondenzen bzw. Notizen von Hauptvertreten der Wiener Schule der Kunstgeschichte wie Alois Riegl, Max Dvořák, Josef Strzygowski, Julius von Schlosser und Otto Pächt. Dazu kommen (Splitter-)Nachlässe weniger bekannter und jüngerer Vertreter des Faches sowie Akten und Fotos zur Institutsgeschichte. Dieser Bereich enthält auch zeitgeschichtlich interessantes Material. So gibt es Personalakten, in denen einem Institutsdozenten 1939 bescheinigt wird, er sei „seit jeher und ohne jedes Schwanken national bis in die Knochen“ und „aus bestem deutschen Holz“, oder Fotos von Demonstrationen gegen die Zerstörung von historistischen Bauten um 1968.
Das Archiv wurde nicht nur von Jonathan Blower und mehrfach von Dissertierenden unseres Institutes sowie von mehreren Wiener Restitutionsforschern benützt, sondern heuer auch schon von Wissenschaftshistorikern aus den USA, Frankreich, Deutschland, Tschechien und Rußland konsultiert. Sogar ein Enkel von Julius von Schlosser wollte hier persönliche Informationen über seinen Großvater finden. Aus dem Strzygowski-Nachlass konnten drei Leihgaben – Objektkarteiblätter für Berliner Ankäufe – zur Ausstellung ins Bodemuseum verliehen werden.
Das im Zuge der Neuaufstellung angelegte Inventar wird in Zukunft auch über das Internet abrufbar sein. Die Homepage des Institutsarchives mit den ersten Daten ist seit 1. Oktober 2012 online. Vielleicht werden damit auch Studierende unseres Institutes in Zukunft häufiger angeregt, sich Themen für Masterarbeiten und Dissertationen aus diesem Bereich zu wählen.
Friedrich Polleroß Fotos: René Steyer, UNIDAM