Workshop & Ausstellung zu Renate Wagner-Rieger

Der 100. Geburtstag der ersten Ordinaria für Kunstgeschichte in Österreich, Renate Wagner-Rieger, wurde im November 2021 mit einer Internettagung gewürdigt. Sozusagen als Nachtrag fand am 1. Juli 2022 am Institut ein Workshop unter dem Titel "Leben, Werk und Wirkung" mit zwei Schwerpunkten statt. Der Bruder Peter Rieger und die Zwillingssöhne Martin sowie Michael Wagner zeichneten die Veranstaltung durch ihre Anwesenheit aus.

Institutsvorständin Lioba Theis begrüßte die Gäste und bedankte sich bei allen Beteiligten. Schon durch ihren Fachbereich als Byzantinistin hat sie Wagner-Riegers Publikation über die mittelalterliche italienische Baukunst gekannt. Bei ihrem Bewerbungsvortrag 2004 sei ihr dann das Wagner-Rieger-Tor zwischen Hof 8 und 9 aufgefallen. Daher freue sie sich, dass ihr letzter öffentlichen Auftritt vor der Pensionierung wieder dieser Kunsthistorikerin gewidmet ist.

Inge Schemper-Sparholz, eine der Mitveranstalterinnen, bot dann einen Überblick über Leben und Werk von Renate Wagner-Rieger, wobei sie die große Denkmälerkenntnis, das ebenso große Organisationstalent und das Engagement für den Denkmalschutz hervorhob. In ihren Methoden sei sie gewiss „ein Kind ihrer Zeit“ gewesen, habe aber die Basis für die Historismusforschung in Österreich gelegt.

Drei Vorträge unter der Moderation von Julia Rüdiger sollten den aktuellen Forschungsstand zur Skulptur dieser Epoche aufzeigen. Caroline Mang berichtete ausgehend von ihrer vor dem Abschluss stehenden Dissertation über Caspar von Zumbusch und einem mitteleuropäischen und im Internet publizierten Projekt „Forschungsstand und Forschungsfragen – Historische und aktuelle Positionen zur Skulptur am Ende der Habsburgermonarchie“ sowie einem Seminar über die Habsburgerdenkmäler in den ehemaligen Kronländern, die vielfach von den 122 Schülern der Meisterklasse von Caspar von Zumbusch an der Wiener Akademie errichtet wurden, z.B. Beispiel für Maria Theresia in Bratislava/ Preßburg oder für Joseph II. in Cheb/ Eger. Viele dieser Monumente wurden 1918 zerstört, aber einige in den letzten Jahren wieder aufgestellt. Zusätzlich entstanden sogar völlig neue postmoderne Denkmäler etwa für Maria Theresia in Prag, Triest (in Form eines Maria-Theresien-Talers) oder in Uzhhorod in der Ukraine. Die in Form einer Posterausstellung präsentierten Ergebnisse des Seminars über die habsburgischen Denkmäler wurde nach der Mittagspause von Caroline Mang und Ursula Müller-Angerer vorgestellt.

Martin Krummholz (Palacký-Universität Olmütz) berichtete über die Denkmäler (Hus, Palacký), die in Prag um 1900 vor allem von Stanislav Sucharda geschaffen wurden und politisch gegen die Wiener Zentrale und künstlerisch nach Paris und München ausgerichtet waren. Die Prager Stadtverwaltung bildete dabei eine Art Ersatzregierung, und manche Künstler gerieten im Nationalitätenstreit zwischen die Stühle. Elisabeth Dutz stellte schließlich ihre Dissertation über Othmar Schimkowitz vor, dessen Stilpluralismus offensichtlich davon abhängig war, ob er mit Otto Wagner oder konservativeren Architekten der Zeit um 1900 zusammengearbeitet hat. Sie hat die Thematik mit einer Netzwerkgrafik veranschaulicht.

Die Sektion zum Leben von Renate Wagner-Rieger begann mit einem von Martina Pippal gestalteten Film, der anhand von Interviews mit Walter Krause (Universität), Bernd Euler (Bundesdenkmalamt) und Klaus Albrecht Schröder (Albertina) sowie ORF-Filmausschnitten die Verdienste der Kunsthistorikerin als Universitätslehrerin, als Denkmalpflegerin und Schwester der Künstlerin Hermine Aichenegg-Rieger (von der auch ein Porträt ihrer Schwester in der Ausstellung gezeigt werden kann) sowie als Mutter einer Tochter mit Trisomie.

Ein „Round-Table“ unter der Moderation der ehemaligen Assistentin Renate Goebl lieferte dann persönliche Eindrücke von Zeitgenossen bis zu einer Enkelschülerin der Gelehrten: Artur Rosenauer, Renata Kassal-Mikula, Andreas Lehne, Ilsebill Barta, Elisabeth Goldarbeiter- Liskar, Martina Pippal und Anna Mader-Kratky. Die Erinnerungen betonten vor allem trotz überbordender Materialfülle anregende Lehrtätigkeit, die verständnisvolle Menschlichkeit und Einbeziehung der Studierenden in die Forschung auf Augenhöhe. Es wurde auch Kritik an einer konservativen Einstellung in der Institutspolitik geäußert, die aber wohl auch der patriarchalen Struktur des Instituts geschuldet war, gegen welche die einzige Professorin einen schweren Stand hatte.

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde die vom Institutsarchivar Friedrich Polleroß in den Vitrinen der Aula gestaltete Dokumentenausstellung eröffnet. Sie bietet einen Eindruck in die Möglichkeiten von Materialien zur Erforschung von Wissenschaftlerinnen: der von der Familie dem Institut überlassene persönliche und wissenschaftliche Nachlass, von dem einige Stücke in Vitrine 1 zu sehen sind, reicht von einem Impfzeugnis aus dem Jahre 1921 über die Promotionsurkunde bis zu Vorlesungsmanuskripten. Von übergeordnetem Interesse ist dabei die Tatsache, dass die Kunsthistorikerin 1963 auf das neugeschaffene Extraordinariat für „Österreichische Kunstgeschichte“ berufen wurde.

Der Personalakt des Institutsarchives in der Vitrine 2 enthält Quellen von der Anstellung als hilfswissenschaftliche Bibliothekarin im Jahre 1944 bis zu den Todesanzeigen und Beileidschreiben ausländischer Kollegen. In der dritten Vitrine werden die vom kunsthistorischen Antiquar Dieter Halama dem Institut gestiftete Notizbücher der Italienreisen der 1950er Jahren mit den offiziellen Stipendienberichten im Institutsarchiv sowie Ausweisen für das Vatikanische Archiv und die Biblioteca Hertziana aus dem Privatnachlass kombiniert.

Aus Platzmangel konnte ein weiterer Archivbestand nicht gezeigt werden, nämlich der Studienakt von Renate Rieger, der im Wintersemester 1943/44 anlässlich der Vergabe der Aufnahmearbeit angelegt wurde. Die von Prof. Karl Oettinger mit „sehr gut“ beurteilte Arbeit behandelt das fast sieben Meter hohe „Wimpassinger Kreuz“ aus der Zeit um 1270, welches leider 1945 aufgrund seiner Zwischenlagerung im Stephansdom verbrannt ist.  Vom 22. Jänner 1945 stammt ein Brief Riegers an Prof. Sedlmayr. Die junge Kunsthistorikerin war damals als Luftwaffenhelferin in Pocking bei Passau im Einsatz und wurde als Betriebsfunkerin ausgebildet. „Augenblicklich hat unsere Stube ein paar Tage Ruhe, weil wir wegen Diphteriegefahr in Quarantäne liegen. Wie es mir sonst geht, schreibe ich lieber nicht. Das Traurigste an unserer Lage ist, daß ich so von aller Welt abgeschnitten bin und weiß, daß in Wien an der Universität alles weiter geht und ich nicht mehr dabei sein kann. […] Man verdorrt hier geistig, weil man nicht einen Augenblick zu sich selbst kommt.“  Das „Stammblatt“ vermerkt außerdem den weiteren Studienverlauf mit fünf Referaten vom Frühmittelalter bis zum Barock, die von den Professoren Oettinger, Zaloziecky, Baldass und Swoboda mit „ausgezeichnet“ oder „sehr gut“ beurteilt wurden. Renate Rieger war seit dem Sommersemester 1945 als „wissenschaftliche Hilfskraft“ für die Bibliothek des Instituts verantwortlich, und schloss 1947 ihr Studium mit der Dissertation über „Das Wiener Wohnhaus vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts“ ab.

Friedrich Polleroß   Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Karl Pani, René Steyer