Richard Neutra: Ausstellung und Archivfund zum 50. Todestag

Anlässlich des 50. Todestages des austroamerikanischen Architekten Richard Neutra (geb. 8. April 1892 in Wien, gest. 16. April 1970 in Wuppertal)  veranstaltet das Wien Museum im MUSA  eine Ausstellung „Richard Neutra. Wohnhäuser für Kalifornien“. Nach der Corona-Unterbrechung ist die Sonderschau noch bis zum 20. September zu sehen.

Es war daher ein schöner Zufall, dass just nach der Eröffnung dieser Ausstellung eine Anfrage an den Archivar kam, die es nahe legte, einen Blick in eine kleine Schachtel mit Postkarten an bzw. von Arpád Weixlgärtner zu werfen. Dieser Kunsthistoriker (geb. 6. April 1872 Wien, gest. 2. Februar 1961 Göteborg) wurde 1899 mit einer Dissertation über die Akt- und Proportionsstudien von Albrecht Dürer bei Univ.-Prof. Franz Wickhoff promoviert, und war ab 1901 im Kupferstichkabinett der Hofbibliothek, der heutigen Albertina, und ab 1906 am Kunsthistorischen Museum tätig. Er wirkte zunächst in Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe, leitete ab 1920 die Schatzkammer und von 1931-33 auch die Gemäldegalerie. 1934 wurde er pensioniert, blieb aber weiter „Schatzmeister“ bis er 1938 aus politischen Gründen „beurlaubt“ wurde.

Seine Ehefrau (siehe Foto des Ehepaares in der ÖNB) war nämlich die jüdische Künstlerin Josephine Weixlgärtner (geb. 19. Jänner 1886 Wien, gest. 30. Juni 1981 Göteborg). Sie war die Schwester von Richard Neutra und hatte an der Kunstgewerbeschule Bildhauerei und Graphik studiert. Durch die Ehe mit dem „arischen“ Katholiken konnte Josephine die NS-Zeit in Wien überstehen, nicht zuletzt weil sich auch namhafte NS-Kunsthistoriker wie der "Parteigenosse" Hans Sedlmayr für sie einsetzten (siehe Schreiben in der ÖNB). Erst nach dem vermutlich von Nazis verursachten  Brand der Wohnung in Wien im Jahre 1945 übersiedelte das Ehepaar auf Einladung des schwedischen Königs nach Schweden, wo Arpád Weixlgärtner an mehreren Universitäten Kunstgeschichte lehrte.  Beim Wohnungsbrand ging auch das ganze Hab und Gut verloren, allerdings hat sich ein Teilnachlass des Ehepaares Weixlgärtner in der österreichischen Nationalbibliothek erhalten.

Dieser wurde von unserem Absolventen Dr. Andreas Nierhaus, dem Kurator der Ausstellung des Wien Museum,  konsultiert und auch Material für diesen Beitrag zur Verfügung gestellt. In der ÖNB haben sich u.a. Fotos und Post von Richard Neutra aus der Zeit des ersten Weltkrieges erhalten, sowie Fotos mit der Schwester Josephine und dem Vater Samuel Neutra, aber auch von und mit Arpád Weixlgärtner. Und genau in diese Zeit und zu diesem Personenkreis fügt sich auch die im Institutsarchiv erhaltene Korrespondenz, die dem Institut 1959 von Frau Münz offensichtlich gemeinsam mit dem Nachlass ihres 1957 verstorbenen Gatten, des Emigranten Ludwig Münz, übergeben wurde. In der ÖNB befindet sich wiederum ein von Münz auf seinen Studienkollegen verfasster Nachruf.

Neutra, der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie in der Leopoldstadt stammte, studierte 1910-18 an der Technischen Hochschule bei Max Fabiani und Karl Mayreder. 1912 besuchte er außerdem die Bauschule von Adolf Loos, und unternahm  mit Ernst Ludwig Freud, dem Sohn von Sigmund Freud, eine Studienreise nach Italien und auf den Balkan. Während des Ersten Weltkrieges war Neutra als Leutnant der Reserve bei der Artillierie im Einsatz, erkrankte jedoch an Malaria und Tuberkulose. 1918 wurde er aus dem Militärdienst entlassen und beendete sein Studium zum Diplomingenieuer „summa cum laude“. Nach einem Kur- und Studienaufenthalt in der Schweiz wirkte Neutra in Luckenwalde und dann als Assistent von Erich Mendelsohn in Berlin. 1923 übersiedelte er jedoch in die USA.

Die zwischen 1912 und 1917 an Neutra adressierten mehr als 40  Karten stammen meist von den Angehörigen, aber auch von nicht eruierbaren Absendern. Eine Karte von Josephine Weixlgärtner wurde an ihren Bruder in Florenz geschrieben. Einige Nachrichten betreffen die „Salingerprüfung“ (Hugo Salinger war für die technische Ausbildung der Hochschule zuständig) und einen „etwas öden Vortrag“ von Adolf Loos (mit Zeichnung!). Post von Maria Glazer, einer Tante oder Cousine, aus Kotor in Montenegro ist kroatisch verfasst, was voraussetzt, dass Neutra diese Sprache lesen konnte. Eine ebenfalls kroatisch geschriebene Feldpostkarte ist an Neutra in Trebinje geschrieben, wo der Architekt offensichtlich im Militäreinsatz war, wie auch eine Ansichtskarte seines Bruders in der ÖNB bestätigt. In den meisten Fällen geht es jedoch um Post an das Garnisonsspital in Wien, das „Genesungsheim“ in Waidhofen an der Ybbs, den Edlacherhof in Edlach, das Sanatorium Enzenbach in Gratwein oder das Sanatorium in Bad Vöslau.  Darin erkundigten sich Vater Samuel Neutra und die Bruder Siegfried (ein Patentanwalt) und Wilhelm (ein Psychiater) nach seinem Wohlbefinden und dem Eintreffen von Lebensmittelpaketen. Die Israelitische Kultusgemeinde bedankte sich für eine Spende für den Waisenfond. Vielleicht das interessanteste Stück ist ein Kartenbrief von Neutras Studienkollegen Rudolf Schindler (1887-1953) aus dem Jahre 1914. Denn der etwas ältere Architekt wanderte bereits damals in die USA aus, und hat offensichtlich sein dadurch freiwerdendes Atelier Neutra angeboten.

Friedrich Polleroß  Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Wien Museum