Spätmittelalterliche Kunst zu Recht aus dem Schatten geholt: Zwei Dissertationsstipendien für unser Institut

Die neue, dreiteilige Studienordnung nach dem Bologna-System hat nicht nur die Gesamtstudiendauer bis zur Promotion verlängert, sondern auch einen Rückgang an Dissertierenden zur Folge. Das liegt einerseits an der geringeren beruflichen Notwendigkeit, andererseits an den mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten. Um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu pflegen, ist es daher notwendig. begabte Dissertierende mit finanziellen Anreizen wie dem Sir-Ernst-Gombrich-Förderpreis oder dem Franz-Stephan-Preis zu stimulieren, durch ein Auslandsstipendium etwa in Rom zu unterstützen bzw. durch eine Assistentenstelle oder ein Doktoratsstipendium finanziell abzusichern. Für letzteres gibt es vor allem zwei Möglichkeiten: ein DOC-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; mit einer Jahresdotation von 38.000 Euro für drei Jahre sowie das Uni:docs Programm der Universität Wien. Der inhaltlichen Förderung dienen die „Vienna Doctoral Academies“ und „Vienna Doctoral Schools“, die interdiszplinär angelegt sind, aber nur sehr bescheidene finanzielle Möglichkeiten haben.
   
Zwei dieser gut dotierten Begabtenförderungen erhielten in diesem Studienjahr Dissertierende des Mittelalter-Lehrstuhles von Univ.-Prof. Dr. Michael Viktor Schwarz, die hier näher vorgestellt werden sollen. Kristina Kogler studierte von 2010 bis 2014 Kunstgeschichte an unserem Institut und schrieb eine Masterarbeit bei Prof. Schwarz über eine mittelalterliche Rechtshandschrift („Studien zum Codex Admontensis 22 - Eine frühe illustrierte Rechtshandschrift aus Italien in klösterlichem Besitz“). Dieses ungewöhnliche Thema resultiert aus der Tatsache, dass Frau Kogler auch Jus (Diplomstudium) in Wien studiert und in diesem Rahmen 2016 einen einmonatigen Sommerkurs „International Law“ an der London School of Econimics (LSE) absolviert hat. Neben dem Studium hat Frau Kogler immer wieder am Institut für Kunstgeschichte gearbeitet. Sie war mehrfach Tutorin für Ikonographie und die Fallstudie I. Nach Studienabschluss war sie Mitarbeiterin im "Pächt-Archiv", wobei sie zunächst beim FWF-Projekt „Mitteleuropäische Schulen VIII“ und in diesem Jahr für das FWF-Projekt „Illuminierte Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek. Mitteleuropäische Schulen (ca. 1450-1475) tätig war. Gemeinsam mit der Projektmitarbeiterin Christina Weiler (Pächt-Archiv) und der Germanistin Sophie Zimmermann (Uni Wien) organisierte sie die interdisziplinäre Doktorandentagung „Das Buch als Medium – Mittelalterliche Handschriften und ihre Funktionen“, die am 1.-2. September 2017 am Institut stattfinden wird.
Schon Im April 2016 wurde Kristina Kogler in die Vienna Doctoral Academy „Medieval Academy“ aufgenommen, und das Stipendium wird es ihr nun ermöglichen, ab Oktober 2017 ihre Dissertation zum Thema „Vidal Mayor – Die Bebilderung einer aragonischen Rechtshandschrift im Vergleich mit den Illustrationen des Corpus iuris civilis“ voranzubringen. Die aus der Sammlung Ludwig (Ms.  XIV 6) ins Getty Museum in Los Angeles verkaufte Handschrift dürfte um 1300 entstanden sein und ist; sehr reich mit 156 Miniaturen ausgestattet. Der "Vidal Mayor" stellt eine aragonesische Übersetzung der lateinischen "Compilatio Maior" dar und ist zugleich das einzige erhaltene oder gar jemals entstandene Manuskript dieser Rechtshandschrift. Die Dissertation soll einen Beitrag zur kunsthistorischen Forschung über den "Vidal Mayor" leisten, mit dem man von der schon öfter, aber häufig doch nur ansatzweise beantworteten Frage „Was ist dargestellt?“ zu einem „Wie und warum ist es dargestellt?“ gelangt. Die Gegenüberstellung mit französischen und italienischen Handschriften des "Corpus iuris civilis" soll dabei helfen, neue Ergebnisse zu erzielen.

Das uni:docs Förderprogramm bildet eine Individualförderinitiative der Universität Wien in Form einer Anstellung für einen Zeitraum von drei Jahren. „Ziel ist, für herausragende NachwuchswissenschafterInnen Rahmenbedingungen zu schaffen, die sie befähigen, wesentliche Beiträge für die Wissenschaft zu leisten.“ Von den 21 in diesem Studienjahr vergebenen Stellen gelangten nicht weniger als zwei an unser Institut: eines an die Dissertantin Eleonora Gaudieri bei Univ-Prof. Dr. Sebastian Schütze, die zweite an Gerd Micheluzzi. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in der Privatwirtschaft absolvierter dieser sein Kunstgeschichte-Studium ab 2008 an der Karl-Franzens-Universität Graz und ein Praktikum am Kunsthistorischen Institut Florenz (Max-Planck-Institut). Seine 2013 vollendete Master-Arbeit „Fiat umbra! Die Wiedergeburt des Schlagschattens in der italienischen Renaissance“ bei Prof. Dr. Wolfgang Augustyn wurde durch ein Forschungsstipendium der Universität Graz gefördert und mit einer Auszeichnung beurteilt. Im Jahr 2014 wechselte er an die Universität Wien, um bei Prof.  Schwarz das Dissertationsprojekt „Der Schlagschatten in der Malerei des 14. und frühen 15. Jahrhunderts. Zur Funktion und Genese eines Bildelements“ zu beginnen. Der Schwerpunkt liegt auf der Malerei des Trecento und dem frühen Quattrocento, unter Miteinbeziehung spätantiker Mosaike und nordeuropäischer Werke des frühen 15. Jahrhunderts. These von Herrn Micheluzzi ist, dass die Schattenformen dieser Werke über eine rein mimetische Funktion hinausgehen und unter dem Schlagwort der “experimentellen Bildpragmatik” einen weit größeren funktionellen Bereich abdecken als bisher von der Forschung angenommen wurde. Dabei wird sich zeigen, ob die Fresken des Masaccio in der “Cappella Brancacci” (um 1427) noch immer als jene gelten dürfen, in welchen der Schatten seine „nachantike Wiederkehr“ feierte. 2016 erhielt Herr Micheluzzi das ROM-Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, und er wurde – ebenso wie seine Kollegin - Mitglied der “Vienna Doctoral Academy – Medieval Academy”. Im Wintersemester nahm er an dem neu eingeführten PhD-Exchange- Programm zwischen dem Kunsthistorischen Institut der Universität Wien und dem Courtauld Institute of Art in London teil.

Friedrich Polleroß   Fotos: UNIDAM, Karl Pani