Kunst & Psychologie im Institutsarchiv

 

 

Die Kunsthistorische Gesellschaft unseres Institutes freute sich, im vergangenen Jahr gleich zwei Sir Ernst Gombrich-Nachwuchspreise für Kunstgeschichte vergeben zu können. Mit der Zielsetzung, den hochqualifizierten kunsthistorischen Nachwuchs zu fördern und einen Anstoß zu einem Doktoratsstudium zu geben, wird dieser Preis für eine aktuell am Institut für Kunstgeschichte approbierte Diplom- oder Masterarbeit vergeben. Diesmal wurden Lydia Eder und Sophie Morawitz ausgezeichnet.

Der Preis ist nach Sir Ernst Gombrich benannt, der selbst 1985 mit einem Preis für die „Kunstgeschichte des Abendlandes“ ausgezeichnet wurde. Der bedeutende Kunsthistoriker, der 1909 in Wien geboren wurde, aber als Jude 1936 nach England emigrieren musste, hat sich bereits während seines Studienaufenthaltes in Berlin mit den Verhaltensstudien des Gestaltpsychologen Wolfgang Köhler an Menschenaffen auseinandergesetzt. Nicht zuletzt aufgrund des kulturellen Umfeldes in Wien und vor allem in der Emigration entwickelte er einen wissenschaftlichen bzw. kognitiven Ansatz zur Erforschung der Geschichte und Psychologie der Künste. Zu nennen sind vor allem folgende Bücher: „Bild und Auge. Neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung“ (1984), „Das forschende Auge. Kunstbetrachtung und Naturwahrnehmung (1994) sowie „Ornament und Kunst. Schmucktrieb und Ordnungssinn in der Psychologie des dekorativen Schaffens“ (1999).  Zu den Freunden und Kollegen, die Gombrichs Methode beeinflussten, gehörten neben Sir Karl Popper, auch drei Studienkollegen: Ernst Kris, Otto Kurz und Ludwig Münz.

Der im Jahre 1900 in Wien geborene Ernst Kris, der ebenso wie Gombrich und Kurz, Schüler von Professor Julius von Schlosser gewesen ist, arbeitete zunächst in der von seinem Lehrer lange geleiteten Abteilung für Plastik und Kunstgewerbe des Kunsthistorischen Museums. Über seine Verlobte Marianne Rie wurde er 1924 mit Sigmund Freud bekannt, um dessen Antikensammlung zu betreuen. 1928 wurde das inzwischen verheiratete Paar zu außerordentlichen Mitgliedern der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, und Kris behandelte seine Patienten vor und nach der Arbeitszeit im Museum. Von 1930-38 war er neben seiner Tätigkeit am Kunsthistorischen Museum auch als Lehranalytiker am Wiener Psychoanalytischen Institut beschäftigt.

Kris‘ erste wissenschaftliche Arbeit, die seine beiden Schwerpunkte verband, veröffentlichte er in der Zeitschrift „Imago“ über den Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt unter dem Titel „Ein geisteskranker Bildhauer“. Durch eine sorgfältige Analyse des Gesichtsausdrucks der Skulpturen versuchte Kris den Wahn des Bildhauers zu rekonstruieren. Seit 1932 war er gemeinsam mit Robert Wälder Redakteur der „Imago“. Beim 13. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Luzern 1934 referierte Kris „Zur Psychologie der Karikatur“ unter Heranziehung vor Forschungen von Sigmund Freud zum Witz. Nach der Emigration Im Jahre 1938 arbeitete Ernst Kris zunächst in London als Lehranalytiker und für den BBC an der wissenschaftlichen Analyse der Nazi-Propaganda. 1940 ließ er sich schließlich im in New York nieder, wo er an der New School for Social Research bzw. am New York Psychoanalytic Institute unterrichtete und eine psychoanalytische Praxis betrieb.

Der 1908 in Wien geborene Otto Kurz war als Sohn eines Arztes mit der Thematik vertraut, und hat sowohl bei Julius von Schlosser und Hans Tietze als auch beim Psychoanalytiker Wilhelm Reich studiert. 1931 beendete er sein Studium mit der von Schlosser betreuten Dissertation über die frühen Werke Guido Renis. 1933 bestand er die Staatsprüfung des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung. Parallel dazu war Kurz offensichtlich von 1928 bis 1933 am Institut "wissenschaftliche Hilfkskraft für Bibliotheksarbeiten" mit einem Gehalt von 200 Schilling (Foto). Von 1931 bis 1932 war Kurz am Österreichischen Institut für Geschichtsforschung in Wien tätig, wo er unter anderem Assistent von Ernst Kris war. 1932 wurde er Mitarbeiter der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in Hamburg, und übersiedelte 1934 mit dieser nach London. Bereits 1934 hatten Kris und kurz gemeinsam das bahnbrechende Werk „Die Legende des Künstlers veröffentlicht“, bei dem kunsthistorische Fragen mit psychologischen und soziologischen Fragestellungen verbunden wurden.

Als dritter Wiener Kunsthistoriker ist Ludwig Münz zu nennen, der ebenfalls einen neuen Weg der Kunstwissenschaft eingeschlagen hat. Neben dem Archivbestand unseres Institutes gibt es einen weiteren Teilnachlass von Münz mit seiner Korrespondenz, darunter Postkarten von Karl Kraus, in der Handschriftensammlung der Wien Bibliothek. Dennoch scheint dieser Kunsthistoriker in London bekannter zu sein als in Wien. Ludwig Münz wurde bereits 1889 in Wien als Sohn eines Journalisten geboren, hatte aber 1914 an der Wiener Universität als Jurist promoviert. Erst dann begann er ein Studium der Philosophie sowie Kunstgeschichte und setzte dieses nach 1918 bei Max Dvořák fort. Ab 1922 forschte Münz in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg in Hamburg bei dem sich für ähnliche Themen interssierenden Wiener Fritz Saxl und bei Erwin Panofsky, aber seine an der Universität Hamburg eingereichte Dissertation über Rembrandts Einfluss auf die Kunst des 18. Jahrhunderts wurde 1923 von der Philosophischen Fakultät aus antisemitischen Gründen nicht angenommen.

Münz kehrte 1926 nach Wien zurück und lebte als Privatgelehrter. Im Auftrag des Kunsthistorischen Instituts gab er 1931 „Das holländische Gruppenporträt“ von Alois Riegl heraus. Das war vielleicht insofern kein Zufall, da diese "Inkunabel der Kunstgeschichte der Moderne" als eines der ersten Werke dem Kunstwerk und seiner Rezeption durch den Betrachter ein besonderes Augenmerk widmete. Der 1936 geplante Druck von Riegls Vorlesung „Holländische Kunst des 17. Jahrhunderts“ wurde, da auch der Phaidonverlag damals schon nach London emigriert war, von Münz bereits in dem ebenfalls nach London übersiedelten Warburg Institute vorbereitet, kam aber nicht mehr zustande.

Der Kunsthistoriker war mit Karl Kraus sowie Oskar Kokoschka befreundet und ebenso wie diese ein Gegner der Nationalsozialisten. Mit Hilfe von Fritz Saxl, dem österreichischen Direktor des Warburg-Institutes konnte Münz 1938 endgültig nach London emigrieren. Nach Kriegsende kehrte Münz nach Wien zurück und wurde 1947 zum Leiter der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste ernannt. Er veröffentlichte danach u.a. a zu Rembrandt, Brueghel und Adolf Loos.

Schon in den 1920er Jahren hatte Münz am Jüdischen Blindeninstitut auf der Hohen Warte an Skulpturen blinder Kinder zu psychologischen Fragen der Kreativität geforscht und gemeinsam mit Viktor Löwenfeld den Kunstunterricht reformiert. Der 1903 in Linz geborene Viktor Löwenfeld hatte Kunst an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Franz Čižek und Psychologie an der Universität bei Karl Bühler studiert. An der „Blindenschule Hohe Warte“ führte er 1923 einen Modellierunterricht ein. 1928 wurde er Leiter der Kunstabteilung an der Wiener Zwi-Perez-Chajes-Schule und Professor für Kunsterziehung an der Universität.

Münz hatte schon in seiner 1934 gedruckten Dissertationsarbeit „Die Kunst Rembrandts und Goethes Sehen“ den Weg in die Kunstpsychologie eingeschlagen, und ein Jahr später veröffentlichte er gemeinsam mit Löwenfeld die grundlegende Studie „Plastische Arbeiten Blinder“. Das Buch enthält Bildmaterial der Plastiken, die Blinde unter Leitung von Löwenfeld geschaffen haben, und einen theoretischen Teil von Ludwig Münz. Ein Werbeblatt für dieses Buch hat sich in dem ebenfalls in unserem Institut verwahrten Nachlass von Kurt Rathe erhalten (Fotos), der auch mit dem Theaterreformer Friedrich Kiesler befreundet war und gleichfalls nach London emigrieren musste.

Vermutlich aufgrund einer Anregung von Münz veröffentlichte der „Evening Standard“, eine seit 1827 bis heute existierende britische Tageszeitung, im Jahre 1937 einen Aufruf zum Einsenden von „doodles“. Zahlreiche solche Kritzeleien wurden damals aus dem Vereinigten Königreich eingesendet. Unter diesen Arbeiten finden sich verständlicherweise Skizzen und Notizzettel vorwiegend von Sekretärinnen und Büroangestellten, aber auch von dem 1903 in Australien geborenen Architekten und Architekturpublizisten Raymond McGrath (Fotos) sowie von Ernst Gombrich (Fotos oben), dessen psychologische Interpretation von der Zeitung auch veröffentlicht wurde (Foto unten). Es ist unbekannt, ob Gombrich die an die Architekturgraphiken von M.C. Escher erinnernde Zeichnung von McGrath gesehen hat, aber es scheint nicht ausgeschlossen, dass ihn ähnliche Skizzen zur Problematik von "Art & Illusion" brachten.

Dies Spezialisierung auf Kunstpsychologie und die Beschäftigung mit Blinden erleichterten Münz die dauerhafte Emigration nach England, da sie vom Direktor des nationalen Blindeninstituts unterstützt wurde. Der Wiener, der vorübergehend von einem anderen, ebenfalls in London lebenden Wiener Kunsthistoriker, Graf Antoine Seilern, finanziell unterstützt wurde, konnte schließlich seine Forschungen mit den Malarbeiten von Patienten der Psychiatrie des Maudsley Hospital fortsetzen. Zwischen 1938 und 1940 analyiserte er 9000 Zeichnungen und wertete sie mit seiner in Wien entwickelten Methode psychologisch aus. Weitere Aufträge erhielt er vom Warburg Institute, mit dem er sich aber 1941 überwarf. Löwenfeld emigrierte hingegen in die USA, und arbeitete ab 1939 als Dozent für Kunst am Hampton Institute in Virginia. Ab 1945 kuratierte er dort die afrikanische Kunstsammlung, und ab 1946 unterrichtete er als Professor für Kunsterziehung an der Penn State University, deren Department of Art Education ab 1957 unter seiner Leitung stand.

Die Archivalien des Wiener Institutsarchivs haben mittlerweile auch das Interesse des gegenwärtigen Direktors des Warburg Institute, Bill Sherman, gefunden, der sich in seinem nächsten Buch mit den den Kritzelei-Einsendungen beschäftigen wird. In Wien wurde die Methode der Kunstpsychologie hingegen im letzten Jahrzehnt mit den modernen Möglichkeiten der Technik in eine „empirische Bildwissenschaft“ weiterentwickelt.

Friedrich Polleroß  Fotos: Institut für Kunstgeschichte