Die Islamische Kunstgeschichte im Institutsarchiv

Das Wiener Institut und die „Wiener Schule für Kunstgeschichte“ haben sich früh um die Erforschung der Kunst Asiens bzw. des Islam bemüht. Dieser Schwerpunkt ist vor allem mit dem Namen des Ordinarius Josef Strzygowski (1862-1941) verbunden, der von 1909 bis 1933 am I. Kunsthistorischen Institut auch eine eigene Bibliothek und Fotosammlung für diesen Bereich eingerichtet hat. Der Strzygowski-Nachlas am Institut wurde zuletzt um hunderte Zeichnungen bzw. Fotos zur christlich-armenischen Architektur erweitert.

Vor allem durch die Vergabe von Dissertationen lenkte Strygowski das Interesse auf die islamische, indische, chinesische sowie japanische Kunst, und seine Schüler haben „weltweit zur institutionellen Verankerung von Forschung und Lehre zur islamischen Kunstgeschichte beigetragen“ (Markus Ritter). Bekannt sind u.a. Leo A. Mayer, Maurice Sven Dimand, Mehmet Aga-Oglu und Emmy Wellesz. Zur Erforschung der islamischen Kunst haben auch Strzygowskis Assistenten Ernst Diez und der früh verstorbene Heinrich Glück beigetragen (Abbildung).

Zahlreiche Briefe dieser beiden Gelehrten kamen im vergangenen Jahr aus dem Strzygowski-Nachchlass in Familienbesitz ins Institutsarchiv. Glück berichtet in den Jahren 1916/17 regelmäßig über seinen Habilitationsaufenthalt in Konstantinopel. Er schreibt über seine Forschungsprojekte und die finanzielle Situation sowie über seine Verlobung, über die wissenschaftliche Kooperation mit türkischen Kollegen und die Konkurrenz mit den ungarischen Forschern, aber auch über wissenschaftspolitische Überlegungen und Wiener Studienkolleg*nnen (Abbildungen). Diez, der ab den 1920er Jahren in den USA lehrte, hat dem Institut eine Sammlung von über hundert Objekten zu Lehrzwecken zur Verfügung gestellt (Abbildung), die er 1912-14 in Persien erworben hatte und nach der Auflösung des Strzygowski-Institutes wieder zurückgezogen hat.

Zu erwähnen sind jedoch drei Personen bzw. deren Korrespondenz in diesem neuen Strzygowski-Bestand, die bisher kaum in diesem Kontext beachtet wurden: Bibianca Ali Bagair (*1893), die Tochter des persischen Kaufmanns Mamed Ali Bagair, und Ehefrau von Heinrich Glück (Heirat 1919), die offensichtlich schon 1914 als Studienassistentin am Institut gearbeitet hat; zwei  Briefe stammen von Halil Edhem Bey (1861-1938), dem Archäologen und späteren Istanbuler Museumsdirektor (Abbildung).

Wissenschaftsgeschichtlich noch bedeutender nicht zuletzt durch das aktuelle Interesse an Kunsthistorikerinnen sind jedoch die Briefe von Adèle Coulin Weibel (1880-1963) aus den Jahren 1921-23. Die gebürtige Schweizerin studierte zunächst Geologie sowie Archäologie in Zürich und New York, wo sie 1919 von Rudolf Meyer Riefstahl (1880-1936), dem Professor für Islamische Kunst an der New York University, angeregt wurde, sich auf Textilkunst zu spezialisieren. 1921 kehrte sie nach Europa zurück, um bei Arthur Wesse in Bern und Joseph Strzygowski in Wien zu studieren (Abbildung). 1927 übernahm Weibel die Textilabteilung des Detroit Institute of Arts und betreute bis 1963 auch die Abteilung für die Kunst des Nahen Ostens.

Auch nach dem zweiten Weltkrieg stand man am Wiener Institut Themen der islamischen Kunst aufgeschlossen gegenüber. Der Ordinarius Karl M. Swoboda (1889–1977) bemühte sich schon ab 1949 um den wissenschaftlichen Nachlass von Strzygowski, der 1953 durch einen Vertrag mit der Witwe übernommen werden konnte. Auf einen entsprechenden Ruf des Wiener Institutes weist etwa die Tatsache hin, dass der US-amerikanische Strzyogwski-Dissertant John Shapley noch 1960 bedauerte, dass Swoboda nicht am 4. Kongress der International Association for Iran Art and Archaeology in New York hatte teilnehmen können, aber auf ein Wiedersehen hoffte (Abbildung).

In einem Bericht über die Situation des Institutes im Jahre 1952 forderte Institutsvorstand Swoboda daher ausdrücklich unter Hinweis auf die Fortführung der Tradition ein Ordinariat für diesen Bereich: „Vor allem ist es notwendig die Schaffung einer ordentlichen Professur für das ungemein verzweigte, an Aktualität immer gewinnende der außerabendländischen Kunstgeschichte; dafür war zeitweilig ein Ordinariat (Strzygowski), zeitweilig ein Extra-Ordinariat (Diez, Sas-Zaloziecky bis 1949) an der Fakultät vorhanden. Diese Stelle wurde jedoch „wider alle Zusagen des Ministeriums“ und „entgegen den Vorschlag der Fakultät“ einfach gestrichen (Abbildung).  

1953 war das Institut Mitglied des österreichisch-iranischen Kulturvereins (Abbildung), und am 7. Februar 1955 bat Swoboda das ägyptische Konsulat um Unterstützung für seine Studentin Christine Bauer, die erfolgreich seine Vorlesung „Kunst des Islam“ absolviert hatte und nun nach Kairo reisen sollte, um dort „eine Zusammenstellung der in den letzten Jahren erschienen Literatur zur koptischen und islamischen Kunst durchzuführen und auch Informationen über die dort im Gange befindlichen wissenschaftlichen Arbeiten dieses Gebietes einzuholen“. 1963 hielt Mohamed Mostafa (1903-1987), der Direktor des Museums für Islamische Kunst in Kairo, einen Vortrag in Wien, der von der Kunsthistorischen Gesellschaft mitorganisiert wurde. War zunächst das Thema "Die islamische Schrift als künstlerische Ausdrucksform" geplant, so wurde schließlich über "Figürliche Darstellungen in der Ägyptisch-islamischen Kunst" referiert (Abbildung).

Professor Swoboda betreute auch mehrere Dissertationen zu Themen der asiatischen und islamischen Kunst. Während sein Dissertant Heinrich Gerhard Franz (1916–2006) sich erst nachträglich als Professor für Kunstgeschichte an der Universität Graz auch Themen der frühislamischen Kunst im arabischen Raum und in Zentralasien zuwandte, hat Herbert Fux (1927-2007), später Kurator und Direktor am Museum für Angewandte Kunst, 1959 schon seine Dissertation über Verbindungen chinesischer und islamischer Keramik geschrieben. Er hatte dazu 1958 ein Stipendium für Istanbul erhalten, welches zwar bürokratisch-finanzielle Probleme verursachte, ihm aber den Kontakt mit  Kollegen in der türkischen Hauptstadt ermöglichte. So lernte er den Kunsthistoriker Oktay Aslanapa (1914-2013) kennen und den britischen Byzantinisten Ernest J. W. Hawkins (1905-1983), der seit 1938 in Istanbul tätig war.

Aslanapa stand damals auch direkt mit dem Wiener Institut in Kontakt und ersuchte 1960 den Wiener Institutsvorstand um die Entsendung von Lehrkräften für europäische, byzantinische und "eventuell auch für die islamische Kunstgeschichte" nach Istanbul. Professor Swoboda empfahl Heinrich Gerhard Franz und Herta Haselberger. Als Aslanapa 1961 eine Festschrift zum 85. Geburtstag seines Lehreres Ernst Dietz plante, lud er auch Professor Swoboda zu einem Beitrag ein (Abbildung). Der Wiener Ordinarius konnte nicht zusagen, schlug aber seinen Schüler Fux dafür vor.

Ebenfalls ein Schüler von Swoboda war Max Klimburg, der ab 1957 in Afghanistan Grabungen mit den französischen Archäologen durchführte und den Institusvorstand darüber informierte (Abbildung). Die Entscheidung für ein Dissertationsthema wollte er damals noch nicht treffen, und tatsächlich hat er erst 1976 an der Harvard University promoviert. Klimburg, der 2022 seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, engagiert sich noch immer für die gefährdeten Kunstschätze von Afghanistan.

Swobodas Dissertantin Dorothea Duda (1937-2017), eine Tochter des Turkologen und Dekans Herbert W. Duda (1900-1975), hat später die Kataloge der illustrierten persischen, arabischen und osmanischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek verfasst sowie die indischen Miniaturen im „Millionenzimmer“ von Schönbrunn bearbeitet. Ihre Büberbestände hat sie dem Institut für Orientalistik vermacht, aber 849 kunsthistorische Bücher konnten von unserer Bibliothek übernommen werden.

Dudas wissenschaftlichen Leitungen wurden jüngst in einen Nachruf von Professor Markus Ritter gewürdigt. Mit dessen Professur für islamische Kunstgeschichte, welche das westliche Asien und den mediteranen Raum abdeckt, wurde 2012 dieser Bereich der alten Interessen am Wiener Institut auch institutionell wieder verankert. Die aktuellen Diskussionen über Bilder und Porträts in der islamischen Kultur belegen jedenfalls die Notwendigkeit einer kunsthistorischen Fachkompetenz auf diesem Gebiet.

Friedrich Polleroß     Fotos: Institut für Kunstgeschichte