21.4.2023: Das Kulturerbe der Ukraine in Europa

Am 21.4.2023 fand im Künstlerhaus ein mit Beteiligung unseres Instituts veranstalteter Workshop über das Kulturerbe der Ukraine statt. Dessen Existenz wird im Zuge der andauernden Invasion durch Putin-Russland bekanntlich sowohl materiell, wie als ideell hinterfragt. Initiator war ein Projekt des ukrainischen Ministeriums für Kultur und Informationspolitik („Ukraine. Out of Blackout“). Etliche weitere staatliche und nichtstaatliche Institutionen in beiden Ländern trugen zum Zustandekommen der Halbtagesveranstaltung mit insgesamt 10 Beiträgen bei.

 

Den Auftakt machten die Grußworte von Knut Neumayer, als Geschäftsführer des Künstlerhauses der Hausherr, und Christoph Thun Hohenstein, Leiter der Sektion für Internationale Kulturangelegenheiten im Außenministerium. Beide wiesen wiederholt auf die Wichtigkeit künstlerischer Dialoge hin, welche es natürlich bereits in der Vergangenheit gab, die aber gerade in Zeiten wie diesen fortgeführt werden müssten.

        Galyna Grygorenko, ukrainische Vizeministerin für Kultur und Informationspolitik, gab einen statistisch gestützten Überblick über die Situation von Kultureinrichtungen und Kulturdenkmälern in ihrem Land. Über 1370 Gebäude, die vor dem Krieg kulturelle Infrastrukturen beherbergten, über 580 Baudenkmäler und über 270 Kultbauten verschiedener Konfessionen wurden bislang zerstört. Rund ein Drittel der Einrichtungen sind komplett oder teilweise gesperrt und haben somit auch keine Einnahmen im Ticketverkauf. Rund ein Fünftel ihres Personals wurde entweder vertrieben oder zum Wehrdienst eingezogen. 

        Nataliia Tkachenko stellte die Zielsetzungen des Projekts „Ukraine. Out of Blackout“ vor. (Ihr Mitstreiter Volodymyr Borodyanskyi durfte als Mann im wehrfähigen Alter das Land nicht verlassen und war deshalb zumindest physisch nicht präsent.) Mithilfe staatlicher und privater Unterstützung sollen im Rahmen dieses Projekts Sammlungsobjekte aus sieben ukrainischen Museen, die nach Kriegsbeginn an geheime Orte verbracht wurden, an renommierten Museen in Europa ausgestellt werden. Dort sollen sie an die andauernde Ausnahmesituation in der Ukraine erinnern.

        Olga Balashova vom Verein „Museum für Zeitgenössische Kunst“ in Kyiv stellte das Konzept des Ausstellungsprogramms „Gates of Freedom“ vor. Über verschiedene Zugänge soll es das Kunstschaffen auf dem Gebiet der Ukraine im zweiten nachchristlichen Jahrtausend einem europäischen Publikum näherbringen.

        Lidiya Appolonova vom Nationalen Kunstmuseum der Ukraine nahm die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Ukraine in den Fokus ihres Beitrags. Ein faszinierendes Handlungsfeld dieser Avantgarde, welche in ihrer europäischen Dimension vielleicht noch nicht genügend gewürdigt wurde, war die Szenografie. Insbesondere das Berezil-Theater in Charkiw setzte neue Maßstäbe in der Verschmelzung verschiedener Kunstformen. 

        Maximilian Hartmuth, derzeit Projektleiter an unserem Institut, sprach unter dem Leitspruch einer „Dekolonisierung der Kunstgeschichte“ die Notwendigkeit an, nicht einfach ein nationalistisches Narrativ mit einem anderen zu ersetzen. In einer Fallstudie zur bildenden Kunst des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der heutigen Ukraine im Zusammenhang mit Netzwerken und Institutionen zeigte er einen möglichen, alternativen Zugang auf.

        Stefaniia Demchuk, zuletzt Gastforscherin an der Masaryk Universität in Brünn, widmete sich der Repräsentation des Ukrainischen in der Kunsthistoriografie. Sechs Positionen des 20. Jahrhunderts (Strzygowski, Modzalevskyi, Ernst, Antonovych, Biletskyi, Bazhan) wurden beleuchtet und miteinander kontrastiert.

        Veronika Poier, Assistentin an unserem Institut, widmete sich der Problematik immateriellen Kulturerbes in Kriegssituationen. Die Folgen einer Unterbrechung eines Weitergebens nicht nur von Traditionen, sondern auch von Fachkenntnissen würden häufig unterschätzt. (In diesem Zusammenhang informierte Vizeministerin Grygorenko, dass in der Ukraine Restaurator_in mittlerweile als Mangelberuf definiert wurde, um dem gestiegenen Bedarf zu entsprechen.)

        Oksana Lifantii vom Nationalen Geschichtsmuseum in Kyiv berichtete über Schäden an den archäologischen Sammlungen der Ukraine, in welchen sich (u.a.) einzigartige Funde von Reitervölkern wie den Skythen finden. Aus dem zeitweise besetzten Cherson, das ob seiner Lage im historischen Steppengebiet besonders signifikante Museumssammlungen aufwies, wurden viele wertvolle Objekte an unbekannte Orte in Russland und auf die Krim verbracht.

        Die Veranstaltung wurde fachkundig von Robert Born vom BKGE in Oldenburg moderiert, der selbst zur Kunstgeschichte Ostmitteleuropas und zu Kunstschutz im Krieg forscht. Rosaura Cauchi, die derzeit an der Universität Wien dissertiert, sorgte als Mitorganisatorin für einen reibungslosen Ablauf.

Infolge des Workshops sollen weitere Kooperationsmöglichkeiten ausgelotet werden.

 

Maximilian Hartmuth                                                   Fotos: Veronika Monakova