Vorbilder -Vorbilder? Julia Rüdiger erforscht die Porträts an der Fassade der Universität


Unter dem Titel „Begegnung mit dem Autor. Porträts antiker Autoren in Büchern des 15.-18. Jahrhunderts“ findet bis 31. Juli 2011 im Foyer der Universitätsbibliothek eine kulturgeschichtliche Ausstellung statt, an der auch unsere Assistentin Mag. Julia Rüdiger mitgewirkt hat. Während die Ausstellungskuratorin und Neulatinistin Prof. Dr. Elisabeth Klecker anhand von Beispielen aus dem Altbuchbestand der Universitätsbibliothek das frühneuzeitliche Bestreben nach bildlicher Vergegenwärtigung der Autoren antiker Texte darstellt, widmet sich die Kunsthistorikerin der Fortführung dieser Tradition im Bildprogramm des Universitäts- hauptgebäudes. Julia Rüdiger, die in Wien und Paris studiert hat, ist seit 2007 Assistentin an unserem Institut. Seit diesem Jahr beschäftigt sie sich auch mit ihrem Dissertationsprojekt „Die monumentale Universität – Repräsentation und Funktionalität des Ferstel-Baus am Ring“.

Schon für Plinius d.Ä. stellten tatsächliche oder fiktive Autorenporträts eine wichtige Hilfe für den Leser dar, den Autor des Textes besser zu verstehen. Daher empfahl er auch die Aufstellung von Autorenporträts in Bibliotheken. Die Theoretiker des neuzeitlichen Bibliothekswesens griffen diese Anregung auf. Im Lesesaal der UB wurde hingegen darauf verzichtet, der Architekt Heinrich von Ferstel ließ stattdessen die Fakultäten und Einzeldisziplinen symbolisierenden Autorenporträts als Nischenfiguren (24 Stück), als Porträtmedaillons (24) und als Namensplaketten (80), an den Fassaden der Universität anbringen. Für die Ausstellung wurden alle 24 Nischenfiguren und Porträtmedaillons erstmals fotografiert und ihren gedruckten Vorbildern gegenüber gestellt. Anhand von drei Überschriften wird die historistische Tendenz der personalisierten (Wissenschafts-)Geschichtsschreibung an der Fassade, die Gesamtikonographie der Universitätsfassadenplastik und die typologische Zuordnung der einzelnen Autoren erläutert. Da es sich dabei um ein Forschungsneuland handelt, können auch noch nicht alle Fragen nach den ausführenden Künstlern, darunter Richard Kauffung, beantworten werden.

Die Schwierigkeit, ein echtes Porträt eines antiken Autors zu finden, zeigt sich allerdings auch an der Fassade der Wiener Universität in skurriler Weise: Bei der Statue des Plato griff man nicht auf eine Büste des Gelehrten, sondern eine des Weingottes Dionysos bzw. - horribile dictu - dessen Sohnes Priapos zurück. Offensichtlich hatte man sich den weisen Mann schöner vorgestellt als er tatsächlich war. Oder der für die Auswahl zuständige Wiener Archäologieprofessor ließ sich von der direkten Strassenbahnverbindung vom Schottentor nach Grinzing inspirieren…
Und da wir schon bei den Vorbildern sind, muss auch noch die Rolle eines anderen an der Wiener Universitätsfassade dem akademischen Nachwuchs als vorbildhaft präsentierten Autors hinterfragt werden, nämlich Moses. Der vielbeschäftigte jüdische Politiker hat ja bekanntlich seine Zehn Gebote auch nicht selbst verfasst, sondern sich von einem berühmten Ghostwriter diktieren lassen!

 


Friedrich Polleroß   Fotos: Elisabeth Klecker, Friedrich Polleroß, Universitätsarchiv