"Wiener Schule" der Kunstgeschichte in Asien, Amerika und jetzt auch in Afrika

Unser Institut und die „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ können heuer wieder ein Jubiläum feiern: 1863, also vor 150 Jahren, wurde die 1852 eingerichtete a.o. Professur von Rudolf Eitelberger in ein Ordinariat umgewandelt. In ihrer ersten Blütezeit im frühen 20. Jahrhundert erweiterte sich der Horizont der Wiener Kunstgeschichte vor allem durch den 1909 zum Professor ernannten Josef Strzygowski (1862-1941) forschungsmäßig weit in den Osten, rezeptionsgeschichtlich jedoch auch weit in den Westen. Die 1912 geplanten Forschungsinstitute in Teheran und Peking kamen zwar nicht zustande, aber im selben Jahr wurde eine „ostasiatische Abteilung des Kunsthistorischen Institutes“ eröffnet, die schon 1913 eine Fotoexpedition nach Japan unternahm. Die Ergebnisse dieser Fotokampagne flossen 1918 in eine Dissertation von Karl With (1891-1980) ein und wurden 1919 vom Institut publiziert. Ebenfalls 1913 führte Prof. Strzygowski eine Institutsexkursion nach Armenien durch, und 1921 tourte er als Vortragender durch die USA sowie Kanada. Der auf dem Foto der Armenienexkursion (?) neben Strzygowski sitzende Assistent Ernst Diez (1878-1961) unterrichtete von 1926-39 am Bryn Mawr College in Pennsylvania und wurde 1943 erster Kunstgeschichteprofessor in Ankara. Karl With emigrierte hingegen 1939 in die USA und war dann u.a am berühmten Black Mountain College sowie von 1950 bis 1966 an der University of California in Los Angeles als Lehrer tätig. Auch eine seiner Schülerinnen folgte methodisch sowie geographisch den Spuren Strzygowskis und brachte es zu weltweitem Ansehen, Stella Kramrisch (1896-1993). Die in Mikulov geborene Kunsthistorikerin dissertierte 1919 bei ihm über buddhistische Skulptur in Indien und unterrichtete von 1921 bis 1950 an der Universität in Kalkutta. Ab 1922 besuchte sie die USA, wohin sie 1950 dauerhaft übersiedelte. Sie lehrte am Institute of Fine Arts in New York und betreute die Asiensammlung am Philadelphia Museum of Art, wo sogar ein Curatorship nach ihr benannt wurde.

Doch auch heute, 100 Jahre nach der Gründung der Asienabteilung durch Strzygowski ist Wiener Asien-Expertise in Ost und West gefragt. Anlässlich des 20. Todestages fand im vergangenen Dezember in London das Symposion „Stella Kramrisch and Art History in the Twentieth Century“ statt. Dabei referierte unsere aus den USA stammende und demnächst in den Ruhestand gehende Tibet-Spezialistin Univ.-Prof. Dr. Deborah Klimburg-Salter über Kramrischs Beschäftigung mit zeitgenössischer indischer Kunst, während ein indischer Kollege über die von der Wienerin 1922 in Indien organisierte Bauhaus-Ausstellung sprach. Diese Beschäftigung von Kramrisch mit der modernen Kunst bzw. mit dem Bauhaus, wird heuer in Dessau im Rahmen der Ausstellung „Das Bauhaus in Kalkutta“ thematisiert werden und geht ebenfalls auf den Einfluss von Strzygowski zurück, der im Vorstand der Dessauer Kunstschule saß. Mit dem Strzygowski interessierenden Kunsttransfer zwischen Europa und Asien sowie zwischen buddhistischen und islamischen Kulturen beschäftigte sich im Jänner 2013 hingegen eine Tagung in Istanbul, an der unsere ExpertInnen für islamische Kunst, a.o. Univ.-Prof. Ebba Koch und Univ.-Prof. Dr. Markus Ritter, referierten.
 
Nur der südlich des islamischen Einflussbereiches Nordafrikas gelegene Hauptteil dieses Kontinents war bisher ein „schwarzer Fleck“ für die Wiener Kunstgeschichte gewesen. Doch in den letzten Jahren ist die "Wiener Schule" bis nach Südafrika vorgedrungen! Unsere umtriebige Absolventin und freie Kuratorin Claudia Marion Stemberger hat praktische und theoretische Erfahrungen mit afrikanischer Gegenwartskunst gesammelt. Nach dem Studium der Medizin in Leipzig, Graz und Barcelona sowie des Kulturmanagements in Linz und Salzburg hat sie an der Universität Wien Kunstgeschichte absolviert. Ihre von Prof. Dr. Sabeth Buchmann betreute Diplomarbeit „Zufallsbejahung und Kontingenzpotenzierung in Performances von John Cage und Xavier Le Roy“ wurde 2012 approbiert. Nicht aufgrund eines Zufalls, sondern planmäßig hat sie 2010/11 als Curator‐in‐Residence an der Bag Factory in Johannesburg gearbeitet und in diesem Rahmen 2011 das performancespezifische Projekt „Alterating Conditions: Performing Performance Art in South Africa“ an der Bag Factory und dem Projektraum GoethonMain kuratiert. Performances bilden seit dem Ende des Apartheidregimes im Jahr 1994 ein bevorzugtes Medium südafrikanischer KünstlerInnen. Im Juli 2012 konnte Frau Stemberger die weltweit erste Publikation zu Performancekunst in Südafrika herausgeben und auf der Jahreskonferenz der South African Visual Arts Historians vorstellen. Die zahlreichen Fotografien zeigen nicht nur das Kunstschaffen der eingeladenen KünstlerInnen, sondern eröffnen auch Perspektiven auf die Dokumentation der Performances und des Ausstellungsdisplays. Indem die Publikation das Ausstellungsformat zu überschreiten sucht, entfalten sich umfassende Blickwinkel auf ein Medium (Performance), welches zwar von zentraler Bedeutung für das zeitgenössische Kunstschaffen in Südafrika, aber bisher kaum Gegenstand wissenschaftlicher Analysen war. Eine Performance, die im Rahmen des Ausstellungsprojekts uraufgeführt wurde, wird übrigens zur Zeit im Rahmen eines Gastspieles im Tanzquartier Wien gezeigt.
Die performative Kunst des tibetischen Rituals steht hingegen im Zentrum einer Ausstellung des Völkerkundemuseums, die am 31. Jänner eröffnet werden wird. Sie wurde von Prof. Klimburg-Salter mitkuratiert und unter Mitwirkung von Studierenden der Übung "Bon - Kunst, Ritual und Performance" von Univ.-Ass. Mag. Linda Lojda vorbereitet.

 



Friedrich Polleroß    Fotos: Claudia Stemberger, UNIDAM