Wissenschaft & Sammlungen

Neben den Kunstsammlungen und ihrer Geschichte traten in den letzten Jahren auch die wissenschaftlichen Sammlungen in den Fokus der Forschung. So konnte im Vorjahr auch das zehnjährige Jubiläum der „Sammlungstreffen“ an der Universität Wien gefeiert werden. Nach deutschem Vorbild war nämlich 2007 auch eine Koordinierungsstelle für die zahlreichen Sammlungen der Universität Wien eingerichtet worden, die seither von Frau Mag. Claudia Feigl geleitet wird. Es war das 18. Sammlungstreffen insgesamt, und einmal war die Gruppe auch an unserem Institut zu Gast gewesen. Neben der Koordinierung der Verantwortlichen und der finanziellen Unterstützung der einzelnen Sammlungen – so wurden etwa die Lichtschutzfolien unserer Fotosammlung sowie der drei Vitrinen in der Aula von der Zentralstelle bezahlt – entstanden in dieser Zeit auch eine Homepage, die die vielfältigen Sammlungen vorstellt, sowie ein gedrucktes Überblickswerk in deutscher und englischer Sprache. Darin werden auch die Sammlungen unseres Institutes präsentiert.

Dort noch nicht vertreten war das Institutsarchiv, das jedoch inzwischen über eine eigene Homepage verfügt. Eine der einheimischen Benützerinnen des Archives, die Prandtauer-Monographien Dr. Huberta Weigl, hat ihren Besuch sogar in einem Video dokumentiert. Dabei ging es um den Nachlass der Prandtauer-Forscherin Leonore Pühringer-Zwanowetz. Diese Nachlässe von bekannten aber auch weniger bekannten KunsthistorikerInnen bilden den Ursprung und mengenmäßig den Hauptteil unseres Institutsarchives.

Zwar besitzt unser Institut weder einen echten noch einen gefälschten „Van-Gogh“, doch bietet auch unser Institutsarchiv Informationen zu echten Kunstsammlungen bzw. zu einigen Sammlerpersönlichkeiten. Zunächst sei ein Aktenkonvolut aus dem Nachlass des 1921 verstorbenen Institutsvorstandes Max Dvořák vorgestellt. Dieser Kunsthistoriker wurde nicht nur persönlich und methodisch von den Auswirkungen des ersten Weltkrieges geprägt, sondern als Denkmalpfleger und Universitätsprofessor sozusagen auch institutionell zur wichtigsten Persönlichkeit der Kriegsfolgen für die Kunstgeschichte, denen sich zuletzt das Buch "Alte Meister - neue Ordnung" von Lukas Gladders gewidmet hat. Obwohl schon am 10. November 1918 ein Manuskript im Institutsarchiv „Vorkehrungen zum Schutz unserer Kunstwerke gegen etwaige Ansprüche der Italiener“ formulierte, sah der Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 auch die Rückstellung von Kunstwerken vor, die „nach dem 1. Juni 1914 aus den besetzten“ bzw. „abgetretenen Gebieten“ weggebracht wurden. Bei Italien wurde die Frist jedoch auf 1861 oder sogar noch weiter ausgeweitet, weshalb in einem ebenfalls in unserem Archiv befindlichen Vertragskonzept auch die Privatjuwelen der Kurprinzessin von Medici sowie bereits im 18. Jh. von den Lothringern nach Wien gebrachte wissenschaftliche Instrumente aus Florenz, Gemälde von Andrea del Sarto und Dosso Dossi des Herzogs von Modena, die Regalien der normannischen Könige in Palermo aus dem 12. Jahrhundert (!) sowie 98 Handschriften, die 1718 aus Neapel in die Hofbibliothek kamen, auf der Wunschliste der Italiener standen...

Ein zentrales Problem der österreichischen Museumspolitik ergab sich in der Frühphase der Republik außerdem durch die Verstaatlichung der kaiserlichen Sammlungen, wie ein „Entwurf zu einem Aktionsprogramm für die Organisation der Kunstmuseen“ im Nachlass des Ordinarius ausführt: „Dadurch, dass früher kaiserliche und staatliche Sammlungen mit teilweise gleichen Aufgaben nebeneinander bestanden, waren der Entwicklung beider gewisse Schranken gezogen; ein organischer Ausbau im modernen Geiste und eine volle Auswertung dieser Schätze für die allgemeine Bildung waren durch diese Umstände unmöglich gemacht. (…) Die tief greifenden Umwälzungen, die sich vollzogen haben, machen es unvermeidlich, den ohnedies den schwersten Gefährdungen ausgesetzten Kulturbesitz Österreichs in eine den neuen Verhältnissen entsprechende Ordnung zu bringen.“ Im Zusammenhang damit, aber vor allem aufgrund des Geldmangels des jungen Staates wurde am 16. Oktober 1919 ein Gesetz erlassen, das der Regierung Verkauf und Verpfändung von Kunstwerken ermöglichte, nicht zuletzt von „Dubletten“, welche durch die Zusammenführung der Museen zum Vorschein gekommen waren. Der damalige Unterrichtsminister, der sozialdemokratische Schulreformer Otto Glöckel (1874-1935), gründete daher am 18. Oktober 1919 eine „Museumskommission“, mit deren Leitung Prof. Dvořák betraut wurde. Weitere Mitglieder waren der Direktor der Hofbibliothek, Gustav Glück als Direktor der „ehemals kaiserlichen Gemäldegalerie“, Franz Martin Haberditzl als Direktor der Staatsgalerie (im Belvedere), Eduard Leisching und Hermann Trenkwald als Direktoren des Museums für Kunst und Industrie, Regierungsrat Hans Tietze, der vermutliche Verfasser des oben genannten Konzeptes, sowie der Maler Karl Moll, dessen Amtseid noch erhalten ist. Mit Schreiben des Vizekanzlers vom 10. Dezember 1920 wurde außerdem der Direktor der Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe sowie spätere Nachfolger Dvořáks als Ordinarius, Julius von Schlosser, in die Kommission berufen. Angenehmer als die Abgabe von Kunstwerken war wohl die Betrauung der Kommission mit Schreiben von Glöckel vom 30. Jänner 1920 mit der Errichtung eines Gipsmuseums, dessen Ausgangspunkt die entsprechenden Bestände der archologischen Sammlungen der Universität Wien sowie der Akademie der bildenden Künste bilden sollten. Während die Neuorganisation der Wiener Museen hundert Jahre später noch immer nicht gelungen ist, wurden die Glyptotheken des Archäologischen Institutes und der Akademie immerhin in den letzten zwei Jahrzehnten neu präsentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
 
Überraschender als die Akten des bekannten Ordinarius sind hingegen die Fragmente im vielfältig interessanten Nachlass des der Vergessenheit anheim gefallenen jüdischen Kunsthistorikers Kurt Rathe (1886-1952). Er war nach seinem am Wiener Institut mit einer Dissertation 1908 abgeschlossenen Studium offensichtlich ab etwa 1914 an der kaiserlichen Hofbibliothek bzw. der graphischen Sammlung derselben tätig. Aus dieser Funktion resultieren Konzepte für die Jahresberichte der Graphischen Sammlung von 1914 bis 1917 sowie eine vermutlich 1917 angelegte Liste von Werken, die der „K.k. Hofbibliothek“ an einem leider nicht genannten Tag übergeben wurden. Diese nennt 3006 Künstlerplakate in 47 Mappen, eine „Sammlung von Kriegsgraphik“ (Plakate, Karikaturen, Ansichtskarten) mit insgesamt 1283 Stück sowie die Plakatsammlung Mascha. Es handelte sich also um die Schenkung des aus Pilsen stammenden Rechtsanwaltes Ottokar Mascha (1852-1929), die später zwischen der Albertina und der Nationalbibliothek aufgeteilt wurde. Da die Anzahl der damals übergebenen Plakate in der Literatur umstritten ist, bildet die Liste unseres Archives eine nützliche Ergänzung.

Aus Rathes Zeit als „wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Kupferstichsammlung der k.k. Hofbibliothek“ stammt außerdem ein Typoskript  mit einem „Bericht über die im Auftrage der k.k. Zentralkommission für Denkmalpflege vorgenommene Untersuchung der altdeutschen Bilder im Besitze des Herrn Reichsgrafen Siegmund von Herberstein auf Schloss Eggenberg“. Es handelte sich dabei um 13 Tafelgemälde aus der Zeit um 1470, die heute als „Eggenberger Altar“ bekannt sind und sich in der Kapelle des 1939 vom Land Steiermark angekauften Schlosses befinden.

Direktor der Graphischen Sammlung war von 1905 bis 1923 Josef Meder (1857-1934), der die kaiserliche Sammlung zu einer Forschungsstätte umgestaltete und als Spezialist für die Zeichnungen der Dürerzeit galt. Aus dessen Nachlass bzw. jenem seiner Tochter haben sich ebenfalls mehrere Briefe und Aktenstücke im Bestand Rathe erhalten. Aus dem Jahre 1913 stammt etwa eine Ansichtskarte mit einer Ansicht von Rudolf von Alt, die dessen Tochter Louise von Alt an Meder sandte. Die Straßenansicht (Mariahilferstraße mit Casa Piccola) könnte sich unter den 400 Blättern befunden haben, die die Tochter des Künstlers 1938 an Ernst Schulte Strathaus für die Sammlung von Adolf Hitler verkaufte. Aus dem Kryptonachlass Meders stammen weiters drei Fotos von Zeichnungen, die der Albertina zur Begutachtung bzw. Publikation überlassen wurden. Sie stammen von Kunstsammlern in Meran (Primar Max Hofmann, 1920) in Göttingen (der Zoologe Ernst Heinrich Ehlers, der nicht nur  bereits im Jahre 1901 über die wissenschaftlichen Sammlungen seiner Universität publizierte, sondern sich auch als Kunstsammler und Kunsthistoriker einen Namen machte) und Paris (Eugène Rodriguez-Henriques  -1853-1928 - war hingegen Anwalt und ebenfalls Amateurkunsthistoriker).

Für einen anscheinend nie vollendeten Wiener Bibliotheksführer von Moriz Grolig (1873-1949) und  Otto Erich Ebert (Eppstein, 1880-1934) entstand bereits 1912 eine von Robert Lach (1874-1958), von 1912-1920 Leiter der Musiksammlung und dann Professor für Musikwissenschaft an der Universität Wien, verfasste Charakteristik der kaiserlichen Musiksammlung, die auch die von 1900 bis 1910 erworbenen Bestände aus Privatbesitz auflistet.

Wie aus einem Briefkonzept vom 11. November 1918 (also einen Tag vor Ausrufung der Republik) hervorgeht, kündigte Rathe seinen Posten in der Hofbibliothek, weil ihm die Leitung der Kupferstichsammlung nicht übertragen wurde. Um 1920 war der Kunsthistoriker aber offensichtlich freiberuflich für die Nationalbibliothek sowie für Privatsammler tätig. Briefe von den Stiftsbibliothekaren in Vorau und Strahov belegen ersteres, ein Foto einer spätgotischen Johannesfigur einer Kreuzigungsgruppe mit der Aufschrift „Coll. Auspitz Wien“ läßt letzteres vermuten. Das Foto stammt von dem bekannten Wiener Architekturfotografen  Martin Gerlach jun. (1879-1944), der auch Hausfotograf des berüchtigten Sammlers Camillo Castiglione war, und zeigt ein Stück aus der Sammlung der jüdischen Bankiersfamilie, die auf mehrere Besitzer aufgeteilt war, darunter Theodor von Auspitz-Artenegg (1861-1939) und sein jüngerer Bruder Stefan von Auspitz-Artenegg (1869-1945). Die Sammlung Stefans wurde jedoch nach dem Firmenkonkurs 1931 vom schillernden Kunsthändler Kurt Walter Bachstitz (1882-1949) in den Haag erworben, der u.a. Thomas Mann mit Gemälden belieferte. Der ursprüngliche Architekt war österreichisch-jüdischer Herkunft, aber durch seine zweite Ehe ein Schwager des späteren Leiters der Kunstsammlung von Göring. 1932 verfasste die kurzzeitig an der Albertina tätige und später ebenso wie Rathe nach England emigrierte Absolventin unseres Institutes, Lili Fröhlich-Bume (1886-nach 1975), in der Zeitschrift „Pantheon“ eine „Erinnerung“ an die als eine der bedeutendsten Privatsammlungen Wien geltende ehemalige Sammlung Auspitz, die in nur 25 Jahren zusammen getragenen worden war. Sie umfasste Objekte aus dem Besitz des Erzherzog Leopold Wilhelm ebenso wie kurz zuvor auf den Markt gekommene Kunstwerke der Sammlung Figdor oder des Stiftes Heilgenkreuz. Unter den 150 Gemälden waren viele europäische Hauptmeister vertreten von Andrea da Firenze über Cranach, Rubens, Rembrandt und Tiepolo bis Goya. Andere Teile der Sammlung Auspitz wurden 1939 von der Gestapo beschlagnahmt bzw. zwangsversteigert.

Die sammlungsgeschichtlichen Archivalien des Institutsarchives liefern also auch Material zum heurigen Gedenkjahr Österreichs, das nicht nur die Gründung der Republik vor 100 Jahren feiert, sondern auch deren Zerstörung vor 80 Jahren gedenkt.

Friedrich Polleroß   Fotos: Institut für Kunstgeschichte