„Wiener Schule“ der Weltkunstgeschichte: 1837 in Wien – 2017 in Peking

Vom 27.-29. April wurde im Museum für angewandte Kunst der 200. Geburtstag von Rudolf Eitelberger Edler von Edelberg (1817-1885) gefeiert, sozusagen des Hl. Petrus der Wiener Kunstgeschichte (Abb. 1), wozu sich auch sein gleichnamiger, aber mehr sportlich engagierter Ururgroßneffe eingefunden hatte (Abb. 2). Veranstalter der Tagung waren die drei von Eitelberger gegründeten Institutionen, nämlich das Kunsthistorische Institut der Universität (1852), das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (Vorgänger des MAK, 1863) und die Universität für Angewandte Kunst (1867 als k. k. Kunstgewerbeschule gegründet). Die von Univ.-Prof. Dr. Raphael Rosenberg, Dr. Julia Rüdiger, Mag. Kathrin Pokorny-Nagel, Univ.-Prof. Dr. Eva Kernbauer, Univ.-Prof. Dr. Patrick Werkner und Tanja Jenni organisierte Veranstaltung stand daher unter dem Motto „Netzwerker der Kunstgeschichte“. MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein lobte Eitelberger als „kulturpolitischen Visionär“, während Prof. Rosenberg (Abb. 3) in seiner Einleitung darauf hinwies, dass man eigentlich auch das Bundesdenkmalamt hätte einbeziehen sollen, da der erste Wiener Kunsthistoriker dort zwar nur kurze Zeit offiziell tätig gewesen war, aber – wie später Matthias Noell ausführte - dennoch als „graue Eminenz“ im Bereich des Denkmalschutzes ein wichtige Rolle gespielt hat.

Im ersten Vortrag verortete Werner Telesko Eitelberger in der Bildungspolitik des Unterrichtsministers Graf Leo Thun-Hohenstein und mit dem Ziel, Österreich kulturpolitisch und ökonomisch im Konkurrenzkampf mit Deutschland und Frankreich aufzurüsten. Ursprünglich Anhänger der deutschliberalen Revolution sei Eitelberger damit zum ehrgeizigen Kulturideologen der Habsburgermonarchie geworden. Auch in anderen Referaten wurden die kunstpolitischen Aktivitäten Eitelbergers gewürdigt. So betonten die Architekturhistoriker Timo Hagen (Heidelberg) und Jindřich Vybíral (Prag) den Einfluss des Universitäts- professors auf die Architektur der Ringstraße, während Martin Engel bzw. Christian Scholl (Regensburg) und Gesa Lehrmann (Hannover) das Einwirken Eitelbergers auf die zeitgenössische Skulptur und Malerei aufzeigten. Dennoch sollte bei all diesen politisch-organisatorischen Aktivitäten Eitelbergers Bedeutung als Theoretiker der sich etablierenden Kunstgeschichte nicht gering geschätzt werden.

Andrea Mayr, Absolventin unseres Instituts, stellte den Medailleur und Kunstsammler Joseph Daniel Böhm als einen der Mentoren Eitelbergers vor, der in seiner bedeutenden Kunstsammlung auch ostasiatische Kleinkunst gesammelt hatte. Marsha Morton (Brooklyn) bzw. Hubert D. Szemethy (Wien) machten darauf aufmerksam, dass der jahrelange Kontakt des Kunsthistorikers mit dem in Kairo tätigen Orientmaler Leopold Carl Müller sowie mit dem Expeditionen nach Kleinasien organisierenden Archäologen Otto Benndorf den Blick Eitelbergers nicht nur geographisch aus Europa hinausführte, sondern auch auf die alte Kunst und das zeitgenössische Kunstgewerbe des Orients lenkte. Produkte dieser Regionen wurden 1873 bei der Weltausstellung in Wien und in der Folge auch im Museum präsentiert. Der in Palermo lehrende Alexander Auf der Heyde hatte schon zuvor darauf hingewiesen, dass Eitelberger trotz seines Oszillierens zwischen Nationalismus und Kosmopolitismus in seinen 1847 an der Universität gehaltenen „Vorlesungen über Theorie und Geschichte der bildenden Künste“  bereits eine „Universalkunstgeschichte“ angedacht habe. Der jetzt in Berlin tätige frühere Archivar unseres Institutes, Georg Vasold griff dann diese These auf und führte den Ursprung der Wiener Weltkunstgeschichte sogar auf das Jahr 1837 zurück, als der mit Eitelberger im Böhm-Kreis aktive spätere Direktor des Ungarischen Nationalmuseums Ferenc Pulszky in einem Bericht über die Londoner Weltausstellung erstmals im deutschen Sprachraum den Begriff „Weltkunst“ verwendete (Abb. 5).

Es dauerte jedoch noch bis zur Berufung von Josef Strzygowski an die Wiener Universität im Jahre 1909 bis diese Überlegungen methodisch und im Studienprogramm ihren Niederschlag fanden. Schon 1912 wollte der Wiener Ordinarius Außenstellen in Teheran sowie Peking einrichten und bald danach sandte er SchülerInnen nach Japan und Indien. Abermals ein Jahrhundert später fiel der methodische Samen der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“ auch in China auf fruchtbaren Boden. Schon 1987 wurden die kunsthistorischen Analysen von Sir Ernst Gombrich von chinesischen Künstlern rezipiert, und 2011 hat man anlässlich der Überführung des Arbeitszimmers des Kunsthistorikers aus London an die "China Academy of Art" in Hangzhou dort ein Symposion über diesen Wiener Emigranten abgehalten. Damals referierte der Wiener Absolvent Karl Clausberg explizit über die „Wiener Schule“. 2015 fanden Gombrichs Methoden bereits Eingang in den Unterricht dieser ältesten chinesischen Kunstakademie, und im selben Jahr hielt Martina Pippal an der "Fudan University" in Shanghai einen Vortrag über österreichische Malerei von 1869 bis 1960. 2016 besuchten Vertreter des Ocate Institute Beijing das Archiv unseres Institutes zur Vorbereitung ihres Jahresthemas „Wiener Schule der Kunstgeschichte“. Dieser Schwerpunkt begann im April 2017 mit einem gemeinsam mit dem "University of Chicago Center in Beijing" veranstalten Vortrag von Jas Elsner unter dem auf Alois Riegl Bezug nehmenden Titel „Beyond Kunstwollen“ und wird im September mit drei Seminaren chinesischer Kunsthistoriker- Innen fortgesetzt. Sie werden einen Überblick über die „Vienna School“ von Alois Riegl über Julius von Schlosser bis zu Hans Sedlmayr und Otto Pächt  bieten. Der Einfluss des letztgenannten wird sicher durch die gerade erfolgte Veröffentlichung seines Standardwerkes „Methodisches zur kunsthistorischen Praxis“ in chinesischer Sprache (Abb. 6) im ältesten Verlag Chinas an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus gibt es auch eine Absolventin unseres Institutes, die seit 1999 in Hongkong bzw. Peking lebt,  Alexandra Gaspar (Abb. 7). Sie hielt 1999-2001 an der Art School in Hongkong und 2016/17 am "FA Art Center" in Peking Vorlesungen über die Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. 180 Jahre nach den ersten Gedanken über eine Weltkunstgeschichte in Wien hat also die Wiener Schule der Kunstgeschichte auch im fernen und kunstwissenschaftlich aufstrebenden China Fuß gefasst. Zum Tagungsbericht von Matthew Rampley siehe hier.
Friedrich Polleroß        Fotos: Friedrich Polleroß, Franz Schubert