Gerhard Schmidt (1924-2010)

Nicht einmal ein Jahr, nachdem das Institut em. Univ.-Prof. Dr. Gerhard Schmidt in einer kleinen Feier anlässlich seines 85. Geburtstages gewürdigt hat, ist der bis zuletzt wissenschaftlich aktive langjährige Professor unseres Instituts nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt am Karsamstag, dem 3. April 2010, verstorben.
Gerhard Schmidt wurde am 11. Mai 1924 in Wien als Sohn eines kunstliebenden Arztes und einer Volksschullehrerin geboren. Nach Arbeits- und Wehrdienst sowie einer eineinhalbjährigen amerikanischen Gefangenschaft begann er 1946 an der Wiener Universität ein Studium der Medizin. Schon 1947 wechselte er jedoch zu den Fächern Kunstgeschichte und Archäologie. Seine wichtigsten Lehrer waren die Dvořák-Schüler Wladimir Sas-Zaloziecki und Karl Maria Swoboda sowie Otto Demus und Fritz Nowotny. Schon während des Studiums ermöglichten ihm die Sommerschule der Harvard University in Salzburg sowie ein Frankreich-Stipendium den Blick über das damals von der sowjetischen Besatzungsmacht besetzte Ost-Österreich hinaus.
Das Stipendium galt der Arbeit an der Dissertation über fanzösische Reliefplastik von 1250-1400, die 1951 abgeschlossen wurde. Von 1950 bis 1953 absolvierte Gerhard Schmidt den quellenkundlichen Kurs des Instituts für österreichische Geschichtsforschung und 1951 wurde er Assistent von Prof. Swoboda an unserem Institut. Mit dem 1956 gedruckten Buch „Neue Malerei in Österreich“ erweiterte er schon sehr früh seinen Interessensbereich ins 20. Jahrhundert und er bot an unserem Institut immer wieder auch entsprechende Vorlesungen z. B. über Pablo Picasso an. Er habilitierte sich 1959 jedoch mit der Arbeit „Die Armenbibeln des XIV. Jahrhunderts“, und das 1962 erschienene Buch „Die Malerschule von St. Florian“ festigte seinen Ruf als Spezialist für spätmittelalterliche Buchmalerei.
Das Studienjahr 1963/64 verbrachte der Wiener Kunsthistoriker mit seiner Familie in den USA als Gastprofessor der Columbia University in New York sowie als Büro-Nachbar von Erwin Panofsky im Institute for Advanced Studies in Princeton. In den Sommermonaten der Jahre 1964-68 bereiste er die Tschechoslowakei, um für seinen Beitrag über die „Malerei bis 1450“ im Sammelband „Gotik in Böhmen“ (Hg. Karl Maria Swoboda) die Originale studieren zu können. Dieses für die Wiener Schule der Kunstgeschichte typische intensive Studium der Kunstwerke betrieb Schmidt auch während seiner Gastprofessur an der Universität Freiburg im Breisgau 1965/66 im Bereich der oberrheinischen Kunstlandschaft.
Zur Verhinderung seiner Abwerbung als Professor an die Columbia University bzw. auf den Heidelberger Lehrstuhl wurde Schmidt vom Ministerium 1966 zum außerordentlichen und 1968 zum ordentlichen Professor der Wiener Universität ernannt, wo seit 1962/63 der Byzantinist Otto Demus und der aus Oxford zurückgekehrte Otto Pächt als Ordinarien tätig waren.
Neben der mehrfachen Institutsleitung, die gerade im Gefolge der Studentenrevolte des Jahres 1968 nicht immer einfach war, kam die Fähigkeit und Begeisterung von Prof. Schmidt für eine klare Sprache auch dem Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte zugute, als dessen Mitherausgeber er von 1969-92 fungierte. Seit 1973 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften wurde er 1984 zum ordentlichen Mitglied ernannt. Seine internationale Reputation zeigen außerdem die Gastprofessur am Corpus Christi College in Cambridge (1981/82) und die Guest Scholarship des Getty Museums in Kalifornien (1991).
1993 wurde Prof. Schmidt emeritiert und mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich sowie mit der Ehrenmitgliedschaft des Comité International d’Histoire de l’Art ausgezeichnet. Im folgenden Jahr wurde ihm die Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold verliehen und eine zweibändige Festschrift gewidmet.
Die besondere Liebe und wissenschaftliche Konzentration von Prof. Schmidt galt in zahlreichen Publikationen der Skulptur und Malerei der Gotik, geographisch betrachtet lagen die Schwerpunkte der Forschung in Mitteleuropa und in Frankreich. Gerhard Schmidts gesammelte Aufsätze erschienen 1992 unter dem Titel „Gotische Bildwerke und ihre Meister“ respektive 2005 im zweibändigen Werk „Malerei der Gotik“. In seinen letzten Lebensjahren wandte sich der Emeritus wieder verstärkt der Buchmalerei zu. 1988 übernahm er als Nachfolger von Otto Pächt die Leitung des Projektes eines Kataloges der illuminierten Handschriften West- und Mitteleuropas der Österreichischen Nationalbibliothek. Von 1997 bis 2004 sind unter seiner Leitung drei Bände der mitteleuropäischen Schulen erschienen, und es ist das Verdienst von Prof. Schmidt, aus dem materiellen und immateriellen Nachlass von Prof. Pächt mit dem sogenannten „Pächt-Archiv" eine international renommierte Forschungseinrichtung an unserem Institut konsolidiert zu haben. Dieser Einrichtung bzw. der Institutsbibliothek vermachte Prof. Schmidt auch seinen Bücherbesitz.

Friedrich Polleroß  Fotos: Gudrun Vogler, René Steyer