Iconology - Neoplatonism - Art. Internationale Tagung am Institut für Kunstgeschichte

Vom 15. –17. September 2011 fand an unserem Institut die gemeinsam mit dem Istituto Italiano per gli Studi Filosofici veranstaltete internationale Tagung „Ikonology. Neoplatonism and Art in the Renaissance. Perspectives and Contexts of a Controversial Alliance“ statt. Konzipiert wurde das Programm von Univ.-Ass. Dr. Berthold Hub gemeinsam mit Univ.-Doz. Dr. Sergius Kodera vom Institut für Philosophie der Universität Wien.

Finanzielle Unterstützung kamen u.a. von der Samuel H. Kress Foundation, der Österreichischen Forschungsgemeinschaft und der Kunsthistorischen Gesellschaft. Institutsvorstand Univ.-Prof. Dr. Sebastian Schütze konnte unter den Gästen auch Seine Exzellenz Eugenio d’Auria, den italienischen Botschafter, begrüßen, der die Veranstaltung ebenfalls unterstützt hat.

Der nachhaltige Einfluss des Neuplatonismus auf die bildende Kunst der Renaissance war lange ein wissenschaftlicher Gemeinplatz. Von Petrarca ersehnt und in der zweiten Hälfe des 15. Jh. durch die Übersetzungs- und Interpretationstätigkeit Marsilio Ficinos um wichtiges Textmaterial bereichert, erlangte die Philosophie Platons in ihren christlichen Spielarten eine Schlüsselrolle im Verständnis der Kunstproduktion der Renaissance. Diese Synthese wurde um die Mitte des 20. Jahrhunderts im Warburg-Kreis von so wichtigen Autoren wie Ernst Cassirer, Erwin Panofsky, Rudolf Wittkower, Ernst Gombrich, Edgar Wind, Eugenio Garin und André Chastel beschrieben. Die Auffassung beruht auf der Vorstellung, dass kein Künstler sich nur mit reinen Kunstproblemen befasst, sondern immer auch mit Weltfragen, wie sie in der Philosophie und Theologie verhandelt werden. Die Auseinandersetzung mit dem Neuplatonismus führte so zur Entwicklung einer neuen kunsthistorischen Methode, der Ikonologie: Sie sollte einer ahistorischen, „ästhetisierenden“ Kunstgeschichte eine wissenschaftliche Wendung geben.

Seit den 1970er Jahren wurde der Einfluss des Neuplatonismus und der Ikonologie in der deutschen Forschung immer wieder in Frage gestellt. Horst Bredekamp hat 1986 in seinem Aufsatz „Götter- dämmerung des Neuplatonismus“ sogar die These aufgestellt, dass diese Methode bzw. die damit rekonstruierte universale Renaissancekultur ein utopisches Gegenbild der vor den Nationalsozialisten geflohenen deutschen Kunsthistoriker beschworen hätte. Im Gegensatz dazu gingen italienische und insbesondere amerikanische ForscherInnen weiter von einem engen Zusammenhang von Neuplatonismus und Kunst aus. Es schien daher an der Zeit, nicht nur eine wissenschaftsgeschichtliche und methodische Selbstreflexion innerhalb der Kunstgeschichte, sondern auch über sprachliche - die Vorträge wurden in englischer, italienischer, französischer und deutscher Sprache gehalten - und fachliche Grenzen hinweg in Angriff zu nehmen. Im Rahmen der Tagung wurden daher Fachleute verschiedener Disziplinen zusammengebracht und Befürwortern und Gegnern eines Einflusses der neuplatonischen Philosophie auf die bildende Kunst der italienischen Renaissance die Gelegenheit zum Austausch ihrer Positionen gegeben.

Die hochkarätigen ReferentInnen kamen aus Dresden, Paris, London, Ferrara und Rom, aber auch von Universitäten in New York, Baltimore, Miami sowie Kalifornien und vertraten die wichtigsten Forschungsinstitutionen in diesem Bereich. Michael J.B. Allen, Professor in Berkeley und Direktor der “International Society for Neoplatonic Studies”, eröffnete die Tagung mit einer Einführung in den Orpheus-Mythos bei Platon und seinen Florentiner Nachfolgern, während Stéphane Toussaint vom Centre d'Études Supérieures de la Renaissance in Tour und Präsident der "Société Marsile Ficin", den Abendvortrag über Botticellis „Primavera“ beisteuerte. François Quiviger arbeitet als Kurator am Warburg Institute in London und Andreas Thielemann ist Bibliotheksleiter der Biblioteca Hertziana in Rom. Der Literaturprofessor in Baltimore, Walter Stephens, war der letzte Direktor der Villa Spelman, der Außenstelle der Johns Hopkins University in Florenz, während Marieke J.E. van den Doel am Niederländischen Institut in Rom tätig ist. Fachlich reichte der Bogen vom Architekturhistoriker John Shannon Hendrix und der in Kalifornien tätigen deutschen Skulpturspezialistin Jeanette Kohl über den „subversiven“ Bildforscher Jürgen Müller von der Technischen Universität Dresden bis zum deutschen Philosophen Paul Richard Blum, der an der Jesuitenuniversität in Baltimore lehrt. Ebenso vielfältig war die gesellschaftspolitische Spannweite der Referenten vom New Yorker James Saslow, einem der Begründer der "queer" Kunstgeschichte in den USA, bis zur Wiener Gender-Romanistin Marlen Bidwell-Steiner.

Die Wiener Tagung (Tagungsprogramm) kreiste um zwei bzw. drei Schwerpunkte: Einerseits wurden in wissen- schaftsgeschichtlichen Analysen Ansätze von bedeutenden Kunsthistorikern des 20. Jahrhunderts untersucht. So beschäftigen sich Thibaut Gress (Paris IV Sorbonne) und Andreas Thielemann mit Panofsky und seinen Schriften, wobei letzterer die Abhängignkeit der „Idea“ (1924) von Cassierers im Jahr vorher gehaltenem Vortrag in Frage stellte. Salvatore Geruzzi (Ferrara) widmete sich dem Stellenwert des Neoplatonismus in den Schriften Gombrichs, Patrizia Castelli (Ferrara) in jenen von Garin.

Andererseits untersuchte man in konkreten Fallstudien das Verhältnis von Neuplatonismus und Ikonologie am Beispiel von Werken einiger wichtiger Künstler und vor allem Autoren des 15. und 16. Jahrhunderts. So referierte Aphrodite Alexandrakis (Miami) über den Schönheitsbegriff bei Plotin, Valery Rees (London) über die Allegorie bei Marsilio Ficino, John Shannon Hendrix (Rhode Island) über das Konzept des „lineamento“ bei Leon Battista Alberti, Walter Stephens (Baltimore) über die Fälschungen des Annius von Viterbo, Marlen Bidwell-Steiner über die Genderproblematik bei Ariost, Sergius Kodera über die Physiognomie von Giambattista della Porta, Linna De Girolami (Lowell) über das Konzept der Invention bei Giorgio Vasari und Paul Richard Blum über die „compositio loci“ in den Exerzitien des Hl. Ignatius.

Für die Kunstgeschichte am ergiebigsten waren natürlich die Werkanalysen von Meisterwerken der Renaissance- kunst, wobei deutliche Schwachstellen der älteren Interpretationen aufgezeigt und die aktuellen Gender-, Körper- und Politik-Diskurse berücksichtigt wurden. So verwies Stéphane Toussaint auf die bei Warburg, aber auch modernen Autoren immer wieder anzutreffende Bezugnahme auf falsche Interpretationen oder mangel- hafte Übersetzungen der schriftlichen Quellen zur Deutung von Botticellis „Primavera“. Neue Thesen zur Interpretaion lieferten Marieke J.E. van den Doel für zwei bekannte Zeichnungen Michelangelos, Jürgen Müller (Dresden) für die Deckenfresken der Sixtina und Jeanette Kohl (Riverside) für die Bronzebüste des „Platonischen Jünglings“ im Bargello. Berthold Hub und James Saslow verwiesen hingegen am Beispiel des Ganymed-Themas auf die Vernachlässigung der erotischen Komponente oder sogar Verdrängung der (homo)sexuellen Realität der Florentiner Gelehrtenakademie.

Die verständlicherweise lebhaften Diskussionen unter den Teilnehmern der Tagung konnten in den gut organisierten Kaffeepausen und bei gemeinsamen Abendessen sowie einem abschließenden Heurigenbesuch fortgeführt werden – ganz im Sinne der Akademie Platons und seines Symposions.

 


Friedrich Polleroß    Fotos: Aurelio Amendola, Friedrich Polleroß und UNIDAM