Neuigkeiten aus dem Archiv der „Wiener Schule der Kunstgeschichte“

2016 konnte unser Institut den 150. Geburtstag des Ordinarius Julius von Schlosser mit einer internationalen Tagung und einer Archivausstellung feiern.  Dazu erschien auch ein kleiner Katalog, der inzwischen im Internet zugänglich ist. Die Ausstellung fand auch international Beachtung. So wurde auf der englisch-italienischen Homepage „Letteratura artistica“ von Francesco Mazzaferro mit Informationen über die Kunstliteratur, einen der Schwerpunkte des berühmten Kunsthistorikers, über die beiden Wiener Veranstaltungen berichtet. Italien und seine Kunstliteratur standen auch im Mittelpunkt der im November 2016 an der Universität Salerno abgehaltenen Schlossertagung, und diesem Thema widmet sich auch ein Forschungsprojekt der stellvertretenden Leiterin der Bibliotheca Hertziana in Rom, Dr. Sonja Kobold.

Einer der interessierten Ausstellungsbesucher in Wien war der Münchner Schlosser-Forscher Dr. Thomas Lersch (Abbildung), der aus diesem Anlass dem Institutsarchiv zwei dort bisher nicht vorhandene Druckschriften widmete: Schlossers Aufsatz für die Bayerische Akademie der Wissenschaften von 1937 sowie den Verkaufskatalog der allgemeinen Bibliothek des Professors aus dem Jahre 1962. Dafür sei ihm herzlich gedankt!  

Doch auch innerhalb des Archives konnten seither einige weitere auf Schlosser bezugnehmende Quellen in anderen Beständen gefunden werden. So wird Schlossers Mitschrift der Vorlesung seines Lehrers Franz Wickhoff „Geschichte der Italienischen Kunst“ von 1886 (Abbildung) in dessen  Nachlass verwahrt, während  die Schlosser gewidmete Fotografie seines Münchner Freundes, des Romanisten Karl Vossler, unter den Fotobeständen des Institutsarchivs zu finden war. Auch eine der ersten Publikationen des jüngsten Schülers Ernst Gombrich im ersten Band des Warburg Journals von 1937 mit der Widmung an seinen Lehrer (Abbildung) blieb erhalten. Der Nachlass des ebenfalls nach England emigrierten Otto Pächt enthält in der Korrespondenz mit dem Schlosser-Schüler Hans R. Hahnloser einige Briefe aus dem Jahr 1966 bezüglich der Einladung des Basler Ordinarius zum Festvortrag für den  100. Geburtstag sowie aus dem Jahre 1968 mit Diskussionen über die Veröffentlichung von Schriften des Lehrers.  

Der Nachlass des älteren Schlosser-Schülers Kurt Rathe (1886-1952) birgt hingegen einen Bericht der „Neuen Freien Presse“ von Marie Herzfeld vom 22. Jänner 1927 – also vor genau  90 Jahren – über die Festschrift zum 60. Geburtstag des Wiener Ordinarius (Abbildung). Die jüdische Schriftstellerin, die u.a. mit einer Leonardo-Biographie bekannt wurde, beschrieb sehr  ausführlich den Inhalt des Werkes, darunter Beiträge von Benedetto Croce, Karl Vossler, Fritz Saxl, Erwin Panofsky und Kurt Rathe. Der Nachlass des wegen seiner Emigration nach London weitgehend unbekannten zuletzt genannten jüdischen Kunsthisitorikers wurde in den letzten Monaten inventarisiert und enthält auch anderes interessantes Material. Rathe verfasste u.a. frühe Würdigungen über Egon Schiele sowie Anton Hanak, und war auch ein Mitorganisator der Internationalen Theaterausstellung 1924 in Wien, sodass er auch die bisher unbekannten Briefe von Friedrich Kiesler aus New York erhielt. Rathes Korrespondenz mit Erwin Panofsky (Abbildung), Aby Warburg (Abbildung) und Fritz Saxl bezeugt einmal mehr die in der Zwischenkriegszeit durchaus freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Wiener und der Hamburger Schule der Kunstgeschichte.     

Der Ruf der "Wiener Schule der Kunstgeschichte" und ihres Archives ist jedoch mittlerweile bis China gedrungen. Am 22. Dezember 2016 besuchten auch zwei junge KollegInnen aus dem Fernen Osten das Institutsarchiv, um sich für den für 2017 geplanten Arbeitsschwerpunkt zur "Wiener Schule der Kunstgeschichte" inspirieren zu lassen. Es handelte sich um Frau Wenyi  Quian, eine Spezialistin für europäische Kunst vom OCAT Institut und Herrn Weiqi Guo , Maler und  Fachmann für chinesische Malerei von der Guangzhou Kunstakademie in Peking (Abbildung). OCAT ist eine private Einrichtung und betreibt mehrere Zentren für zeitgenössische Kunst. Die wissenschaftlich-pädagogische Zentrale in der Hauptstadt des Landes gibt eine eigene Zeitschrift heraus, und plant 2017 zunächst eine „Jahresvorlesung“ des an Universitäten in Oxford und Chicago lehrenden Jas Elsner, der sich neuerdings auch mit der Geschichte der vom Wiener Ordinarius Josef Strzygowski entwickelten "vergleichenden" Kunstgeschichte beschäftigt.

In Mitteleuropa wird hingegen in diesem Jahr des Ahnherrn der "Wiener Schule" gedacht werden, nämlich Rudolf Eitelberger von Edelberg. Sein 200. Geburtstag wird 2017 mit Tagungen in Wien und in seiner Geburtstadt Olmütz/Olomouc akademisch gefeiert werden!

Friedrich Polleroß    Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Karl Pani, Friedrich Polleroß