INSIGHTS#4

Chora-Kirche / Kariye-Moschee: Durch Mauern sehen

Objektangaben

Titel: Blick Richtung Parekklesion der Kariye-Moschee in Istanbul ("Nr. 51 Mosquée Kârié")

Urheber der Aufnahme: Fotostudio Sébah & Joaillier Constantinople

Datierung der Aufnahme: 1892

Technik: s/w Fotografie, Albuminabzug

Maße: 20,7 x 27 cm

Provenienz: unbekannt

Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, Fotosammlung, Inv. Nr. 263

 

Durch Mauern sehen: Ein Blick in die Kariye Moschee zwischen Entdeckung und Erinnerung

Dieser auf einem Karton kaschierte Abzug zeigt den Exonarthex der Kariye Moschee in Istanbul. In der linken unteren Ecke ist der Titel der Fotografie Nr. 51 Mosquée Kârié zu erkennen. Zu sehen ist ein zugemauertes Tribelon[1], welches 1936 wieder eröffnet wurde und uns heute den Blick in das Parekklesion, die mit reichen Fresken verzierte Nebenkirche, frei gibt. Die auf den ersten Blick unscheinbare Fotografie könnte nicht stärker in Kontrast zum gegenwärtigen Zustand der Moschee stehen, gleichzeitig spiegelt sie einen längst Vergessenen wider.
Die Aufnahme entstand 1892[2] durch das Fotoatelier Sébah & Joaillier Constantinople, dass im 19. Jahrhundert über die Grenzen des Osmanischen Reichs hinaus seine für Architektur- und Stadtfotografie bekannt war. Im selben Jahr entstand neben der Dokumentation der Kariye Moschee auch eine ausführliche Fotoreihe zur Hagia Sophia.[3]
Die Stempel auf Vorder- und Rückseite des Kartons lassen erkennen, dass das Objekt spätestens zwischen 1920 und 1933 Teil der Sammlung des Instituts wurde. Genauer gesagt Teil des 2. Kunsthistorischen Instituts unter der Leitung von Max Dvořák und Julius von Schlosser. Zu dieser Zeit entsteht, unter anderem mit Heinrich Glück, der Forschungszweig der byzantinischen und westasiatischen Kunstgeschichte in Wien.[4] Es ist möglich, dass dieser Abzug auch zu Lehrzwecken verwendet wurde, etwa in Glücks Vorlesung zu Konstantinopel und byzantinischer Kunst im Wintersemester 1922/23.[5] Auf der Rückseite finden sich drei handschriftliche Beschreibungen, die uns möglicherweise mehr zum Stand der Forschung erzählen können. Zwei der Kommentare sind nämlich falsch. So wurde vermutet, dass es sich um einen Eingang von der Neben- zur Hauptkirche handelt oder um die Darstellung der Hodegetria am Süd-Ost-Pfeiler der Hauptkirche. Richtig ist allerdings nur: Exonarthex 7. Joch Rückkehr der Magier in Osten. Es kann sein, dass diese falschen Beschreibungen eine graduelle Entwicklung des Forschungsstands des Instituts widerspiegeln, jedoch ist nicht ersichtlich, welche Handschrift die älteste ist. Sicher ist jedoch, dass sich der Wissensstand über die heutige Kariye Moschee, seither mehrfach so änderte, dass die Fotografie neu interpretiert werden musste. Die bauhistorische und kunstgeschichtliche Erforschung des Gebäudes erstreckte sich über mehr als ein halbes Jahrhundert. Die Kariye Moschee befand sich zu dem Zeitpunkt, als die Fotografie am Wiener Institut auf einen Karton montiert und gestempelt wurde in einem anderen Zustand als noch 30 Jahre zuvor, als die Aufnahme entstand.
Ursprünglich handelte es sich bei dem Gebäude um die Kirche des Chora Klosters. Die Geschichte eines ersten Kirchenbaus geht bis in das 11. Jahrhundert zurück. Zwischen 1316 und 1321 wurde die Anlage unter Theodoros Metochites erweitert und restauriert. Aus dieser Zeit stammt auch der Exonarthex und das Parekklesion.[6] Nach der Umwidmung in eine Moschee wurde das Tribelon zugemauert und die Mosaike mit Putz bedeckt. Die durch Säulen getrennte Wandöffnung wurde zwischen 1906 und 1936 nach und nach geöffnet (Abb. 1). Zu dieser Zeit fanden kleine Restaurierungsprojekte statt und die Mosaike wurden freigelegt. Die größten Restaurierungsmaßnahmen fanden zwischen 1947 und 1958 unter der Leitung von Thomas Whittemore & Paul Underwood vom Byzantine Institute of America statt.[7] Erst während dieses Projekts wurde das Parekklesion genauer untersucht und die heute weltberühmten Fresken entdeckt. Deren Ikonografie weist darauf hin, dass die Nebenkirche als Grabkirche genutzt wurde. An den Seitenwänden des freigelegten Tribelon wurden Einkerbungen gefunden, die darauf hinweisen, dass auch zu byzantinischer Zeit das Parekklesion durch Türen vom Exonarthex abgetrennt wurde. Diese Trennung war typisch für Grabkirchen und erzeugte im Innern eine intime Atmosphäre.[8]
Die Fotografie zeigt uns heute noch den Zustand des abgetrennten Parekklesion aus Osmanischer Zeit, spiegelt aber auch den Zustand des 14. Jahrhunderts wider, der heute in der von Tourismus geprägten Moschee nicht mehr nachzuvollziehen ist.

(Sophia Bergmann)


[1] (Griech.) Dreierarkade als Durchgang, auch dreigeteiltes Fenster.

[2] Es haben sich auch datierte Abzüge erhalten, siehe: https://en.sebahjoaillier.com/kariye?pgid=jnym5gi0-dc864cb3-d565-4a80-b9ca-4f5e6f723455 (15.07.2025).

[3] Vgl. dazu Fabrizio Casaretto Archive: https://en.sebahjoaillier.com/tarihce (15.07.2025); Calanna 2014, S. 150.

[4] https://kunstgeschichte.univie.ac.at/institut/geschichte-des-instituts/ (15.10.2025).

[5] Vorlesungsverzeichnis Universität Wien, Wintersemester 1922/23, S. 51–53.

[6] Underwood 1966, S. 8 –14.

[7] Underwood 1966, S. 187.

[8] Gerstel 2011, S. 130ff.

 

Literatur:

Calanna 2014
Giulia Calanna, Le sculture del museo imperiale ottomano di Istanbul fotografate da Sébah e Joaillier, in: A. Bacchi (et.al), I colori del bianco e nero. Fotografie storiche nella Fototeca Zeri, Bologna 2014, S. 150–154.

Gerstel 2011
Sharon E. J. Gerstel, The Chora Parekklesion. The Hope for a Peaceful Afterlife, in: Holger A. Klein (Hg.), Kariye Camii Yeniden. The Kariye Camii Reconsidered, Istanbul 2011, S. 129–145.

Underwood 1966
Paul A. Underwood, The Kariye Djami. 1. Historical Introduction and Description of the Mosaics and Frescoes, New York 1966.

Vorlesungsverzeichnis 1922/23
Universität Wien, Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1922/23.

Blick Richtung Parekklesion der ehem. Chora-Kirche (heute Kariye Camii) in Istanbul, 2024, © Rémih/Wikimedia Commons