Kurze Geschichte der islamischen Kunstgeschichte in Wien und Österreich

Markus Ritter

Der Lehrstuhl für Islamische Kunstgeschichte ist eine Neugründung am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien und wurde erstmals 2012 besetzt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kunst islamischer Länder hat in Wien eine erheblich längere Tradition. Sie geht auf die Herausbildung eines eigenständigen Diskussionsfeldes zur Geschichte islamischer Kunst seit dem 19. Jahrhundert zurück. Es entstand zwischen den damals hochmodernen Disziplinen der Kunstgeschichte, der Archäologie und der Orientalistik, sowie vor dem Hintergrund eines wirtschaftlichen und politischen, romantischen und modischen Interesses am ‚Orient’. Visuelle und materielle Kultur in Westasien und Nordafrika zog den Blick dieser Disziplinen auch in Österreich an (bzw. Österreich - Ungarn vor 1918).

Schon zuvor hatte eine besondere Beziehung das Habsburgerreich und das von einer islamischen Oberschicht beherrschte Osmanische Reich verbunden (osmanische Belagerung Wiens 1529 und 1683, habsburgischer Feldzug gegen Tunis 1535). Bis zum 19. Jahrhundert kamen ehemals osmanische Teile Mittelost- und Südosteuropas zum Habsburgerreich. Die Auseinandersetzung führte in Wien 1754 zur Gründung der „Orientalischen Akademie“, die der Sprachenausbildung von Diplomaten diente. Aus ihr ging der Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856) hervor, dessen Übersetzungen persischer, osmanischer und arabischer Dichtung und Literatur maßgeblich zum Orientbild im deutschen Sprachraum beitrugen. Orient- und alla Turca-Moden schlugen sich nicht nur in der Musik des 18. Jahrhunderts nieder (Mozarts „Entführung aus dem Serail“ 1782). Es gab auch ein Interesse an den bildenden Künsten des Osmanenreiches und des Orients. Johann Bernhard Fischer von Erlachs Entwurff einer historischen Architectur (1721) kann als erste Universalgeschichte der Architektur gelten und schloss nicht nur antike Werke des Orients ein, sondern ein eigenes Kapitel zu „Gebäuden der Araber und Türcken, wie auch neuen Persianischen, Siamitischen, Sinesischen und Japonischen“. Die zu Beginn abgebildete „Allgemeine Landcarte“ setzt sogar einen Schwerpunkt auf den Orient und Nordafrika.
 
In Wien wurde außerordentlich früh, bereits 1874 ein kunstgewerbliches „Orientalisches Museum“ gegründet, das viele Werke aufnahm, die für die Weltausstellung 1873 nach Wien gebracht worden waren. Initiator des halb-privaten Museums war der „Circle Oriental“, erster Direktor der Kunstsammler Arthur von Scala (1845–1909); 1886 ging es im „Handelsmuseum“ auf; später gingen die Bestände ans „Österreichische Museum für Kunst und Industrie“, das 1863 gegründet worden war, heute das Museum für Angewandte Kunst. 1876 wurde dort islamische Architektur anhand von Zeichnungen, Fotos und Abgüssen des aus Böhmen stammenden Architekten und Kunstgewerbeprofessors Friedrich Schmoranz (1845–92) ausgestellt, der lange in Kairo gearbeitet hatte. Die weltweit erste Orientteppichausstellung, vielleicht in der Zahl der Exponate bis heute die größte, fand 1891 im Handelsmuseum statt. Der Orientalist Josef von Karabacek (1845–1918) wurde Leiter der Hofbibliothek und widmete sich der Realienforschung. Er verfasste unter anderem ein Werk über persische Textilien. Der aus Mähren gebürtige Arabienforscher Alois Musil (1868–1944) entdeckte die Badeanlage in Quṣair ʽAmra im heutigen Jordanien und machte ihre figürlichen Wand- und Deckenfresken durch farbige Aquarellkopien des Wiener Orientmalers Alphons Leopold Mielich (1863–1929) in einer Veröffentlichung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften bekannt. An ihr war der seinerzeitige Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Wien, Franz Wickhoff (1853–1909) beteiligt. Dieser größte geschlossene Freskenzyklus des frühen Mittelalters trug mit seiner Datierung in die Zeit der Umayyadenkalifen (660–750) zur Revision von Vorstellungen zum sogenannten Bilderverbot in islamischer Kunst bei.

Als Kunsthistoriker und Professor an der Universität Wien legte Alois Riegl (1858–1905) in seinen Stilfragen (1893) mit einer entwicklungsgeschichtlichen Typologie des Pflanzenornaments und der ‚Arabeske’ dar, dass die frühmittelalterliche islamische wie die europäische Kunst aus der Antike zu erklären sei. Als erster setzte sich Riegl wissenschaftlich auch mit Teppichen auseinander (Altorientalische Teppiche, 1892) anlässlich der großen Orientteppichausstellung im Handelsmuseums (oben). In der gleichen Zeit erschien in Wien das von Gustav Schmoranz (1858–1930) verfasste erste und grundlegende Werk über mittelalterliche Glaskunst aus islamischen Ländern (Altorientalische Glasgefäße, 1898), das auf Vorarbeiten seines oben genannten Bruders basierte. Der enge Zusammenhang von Wissenschaft und Kunstgewerbe in der Zeit wird in der Tätigkeit beider Brüder als Designer für die Serien orientalisierender Luxusglasgefäße der Wiener Firma Lobmeyr in den Jahren 1870–1900 deutlich.  

Josef Strzygowski (1862–1941) richtete an der Universität Wien (1909–33) erstmals einen universalen Blick auf die Kunstgeschichte Asiens. Viele seiner spekulativen und polemischen Schriften sind heute nur noch im Kontext ihrer Zeit, dem 19. und frühen 20. Jahrhundert verständlich. Doch war er daran beteiligt, viele Bereiche und Werke der Geschichte islamischer Kunst zu erschließen, so umayyadische Kunst und die Fassade des Palastes Mschatta in Jordanien, mittelalterlichen Baudekor und die Große Moschee in Diyarbakır, indische Malerei und die Miniaturen des ‚Millionenzimmers’ im Schloss Schönbrunn.

Bei vielen Doktoranden lenkte Strzygowski das Interesse auf Themen islamischer Kunst. Diese Schüler haben weltweit zur institutionellen Verankerung von Forschung und Lehre zur islamischen Kunstgeschichte beigetragen. Der aus dem habsburgischen Galizien kommende Leo A. Mayer (1895–1959) promovierte bei Strzygowski über Städtebau im Islam und begründete 1929 an der neuen Hebrew University in Jerusalem die Lehre islamischer Kunst und Archäologie. Maurice Sven Dimand (1892–1986), der in Österreich geboren wurde und 1916 über ägyptisch christliche (‚koptische’) Textilien promovierte, wurde am Metropolitan Museum of Art in New York 1925 der erste Assistant Curator für islamische Kunst und 1933 Kurator für nahöstliche Kunst. Der aus einer türkischen Familie in Armenien stammende Mehmet Aga-Oglu (1896-1949), der zuvor in Moskau und Berlin studiert hatte, promovierte in Wien 1926 über türkische Architektur. Er begründete das Department of Near Eastern Arts an der University of Michigan und arbeitete als Kurator islamischer Kunst in den USA und in der Türkei. Emmy Wellesz (1889–1987) forschte zu Sternbilddarstellungen in arabischer Malerei und zu indischer Malerei der Mogulzeit. Kurt Holter (1911–2000) arbeitete als Spezialist für europäische Buchkunst auch über arabische Miniaturmalerei und Bucheinbände.

Als ‚Begründer’ einer Geschichte islamischer Kunst an der Universität Wien kann Ernst Diez gelten (1878–1961). Er steht bis heute im doppelten Schatten Strzygowskis, dessen Assistent er war und dessen ideologische Präferenzen er teilte, und der deutschen Islamkunsthistoriker der Zeit. Diez machte sich nicht nur um die Erforschung der Kunst in Iran und besonders der Architekturgeschichte in Ostiran (Churasan) verdient. Die Bücher Churasanische Baudenkmäler (1918) und Persien: Islamische Baukunst in Churasan (1923) haben einen typologischen Ansatz und gehören zu den ersten Arbeiten, die sich mit einer spezifischen Region islamischer Architektur beschäftigen. Einen Zugang aus einer nationalen und ethnischen Perspektive zeigt sein Buch zu Kunst unter türkischen Herrschern des Mittelalters und der Neuzeit (Türk Sanatı: başlangıcından günümüze kadar, 1946). Sondern Diez verfasste auch die erste fundierte deutschsprachige Gesamtübersicht der Baukunst islamischer Länder, die mit dem Erscheinen in der verbreiteten Reihe Handbuch der Kunstwissenschaft (1915) eine enorm weitreichende Wirkung hatte. Er konzipierte mit dem Kunsthistoriker Heinrich Glück (1889–1930), der bei Strzygowski über frühchristlichen Kirchenbau in Syrien promoviert hatte und in Wien außerordentlicher Professor für Kunstgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit war, den Band Kunst des Islam (1925) in der ersten Ausgabe der Reihe Propyläen Kunstgeschichte. Diez unterrichtete am Wiener Institut für Kunstgeschichte  als Privatdozent und war maßgeblich an der Gründung des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Istanbul beteiligt, wo er 1943–48 wie auch in den USA unterrichtete.

International bildete sich ein eigener Forschungsbereich und ein Fach „Islamische Kunstgeschichte“ nach dem Zweiten Weltkrieg heraus. Maßgeblichen Anteil daran hatten Wissenschaftler in den USA, viele davon deutschsprachige Emigranten der Kriegsjahre, zu denen auch Ernst Diez gehörte, und vor allem der Deutsche Richard Ettinghausen (1906–79) und seine Frau Elisabeth Sgalitzer, eine Wiener Kunsthistorikerin. Während in Deutschland die archäologische Forschung und Architekturthemen im Vordergrund standen, gingen aus dem Wiener Institut immer wieder Wissenschaftler hervor, die verschiedene kunsthistorische Ansätze verfolgten.

Die Wiener europäische Kunstgeschichte stand Themen der islamischen Kunstgeschichte aufgeschlossen gegenüber. Besonders der Ordinarius Karl M. Swoboda (1889–1977) förderte Doktorarbeiten dazu. Heinrich Gerhard Franz (1916–2006), bei ihm promoviert und später Professor für Kunstgeschichte an der Universität Graz, arbeitete zu Themen der frühislamischen Kunst im arabischen Raum und in Zentralasien. Herbert Fux, später Kurator und Direktor am Museum für Angewandte Kunst, schrieb seine Dissertation über Verbindungen chinesischer und islamischer Keramik. Dorothea Duda promovierte über persische Buchmalerei des 14. Jahrhunderts, verfasste die Kataloge der illustrierten persischen, arabischen und osmanischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek und arbeitet auch zu anderen Themen islamischer Kunst. Die später neugeschaffenen Professuren für Byzantinische Kunst und für Außereuropäische Kunst (jetzt: Asiatische Kunstgeschichte) haben viele Berührungspunkte mit islamischer Kunst. So setzt sich Univ.-Prof. Lioba Theis als Spezialistin für byzantinische Baukunst auch mit der Wirkung auf osmanische Architektur auseinander. Ao. Prof. Ebba Koch wirft mit einer ganzen Reihe von Werken neues Licht auf Themen der Kunst und Architektur der Mogulzeit in Indien. Die emeritierte Univ.-Prof. Deborah Klimburg-Salter blickt als Spezialistin für buddhistische Kunst im Himalaya-Raum auch auf islamische Kunst.

Der heutige Lehrstuhl für Islamische Kunstgeschichte kann an eine Regionen übergreifende Wissens- und Forschungskultur der Kunstgeschichte an der Universität Wien und anderen Institutionen in Österreich anknüpfen. Er sieht sich einerseits in Wiener Traditionen der auf visuelle und formale Phänomene und auf das Kunstwerk gerichteten Methoden und betont andererseits die Notwendigkeit einer theoriegeleiteten Kontextualisierung in den arabischen, persischen und türkischen Kulturen, bzw. der europäischen Rezeption von ‚islamischer’ Kunst.

(Dezember 2013. Für Hinweise danke ich Dorothea Duda, Maximilian Hartmuth, Raphael Rosenberg und Michael Schwarz. Ergänzt Januar 2016.)

 

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