Im Schatten des Krieges. “Syrian Studies Association Book Prize“ für Mattia Guidetti

Wenn man heute das Wort Syrien hört, denkt man an Krieg, Flüchtlinge sowie zerstörte Kulturdenkmäler wie Palmyra. Allerdings wurde die Architektur in Syrien sowohl christlicher als auch islamischer Tradition schon früher immer wieder von Gewalt und Naturkatastrophen heimgesucht, wie etwa einige Fotos aus dem Nachlass des Wiener Ordinarius Josef Strzygowski in unseren Archiven zeigen. So wurde beim Pogrom der Drusen an den Christen im Jahre 1860 das griechische Stadtviertel von Damaskus zerstört, und 1893 fiel die “Große Moschee” der Stadt einem Brand zum Opfer. Das wieder aufgebaute Bauwerk ist jedoch auch ein gutes Beispiel für die gegenteilige Entwicklung, nämlich den allmählichen Kulturtransfer: aus dem römischen Jupitertempel wurde im 4. Jahrhundert eine dem Hl. Johannes dem Täufer geweihte Basilika, die nach der Erobung der Stadt durch die Mohammedaner 636 n. Chr. für 70 Jahre sowohl den Christen als auch den Muslimen als Gotteshaus diente. Erst um 710 wurde das Gebäude zur Umayyadenmoschee umgestaltet.

Dieser architektonischen Koexistenz sowie Beeinflussung von spätantiker, frühchristlicher und frühislamischer Architektur in Syrien ist die 2016 publizierte Dissertation von Univ.-Ass. Dr Mattia Guidetti gewidmet, die vor kurzem mit dem “Syrian Studies Association Book Prize“ ausgezeichnet wurde. Der italienische Mitarbeiter des Lehrstuhls für Islamische Kunst hat zunächst in Venedig Arabisch und islamische sowie mittelalterliche Kunstgeschichte studiert und mit der Arbeit „Population, urbanization and residential architecture in Syro-Jordanian area between V-VIII century” beendet. Die Dissertation unter dem Titel “Late Antiquity and Syro-Umayyad culture: issues and problems of archeology and art history” wurde 2006 abgeschlossen.
Danach arbeitete Guidetti bei mehreren Forschungsprojekten sowie an unterschiedlichen Forschungseinrichtungen u.a. des “Arts and Humanities Research Council” (UK), am Kunsthistorischen Institut in Florenz, bei UNESCO-Oasis, am J. Paul Getty Institute und dem “Aga Khan Program for Islamic Architecture” an der Harvard University (Cambridge, MA). Seit 2014 ist er Assistant an unserem Institut, er lehrte aber auch an den Universitäten in Bologna, Urbino und Edinburgh. In zahlreichen Aufsätzen hat er sich mit den frühen islamischen Sakralräumen und deren Ausstattung sowie den antiken und frühchristlichen Einflüssen beschäftigt. Den bisherigen Höhepunkt dieser Forschungen bildet der 2016 bei Brill als Band 8 der Reihe “Arts and Archaeology of the Islamic World” erschienene Band “In the Shadow of the Church: The Building of Mosques in Early Medieval Syria”. Das Buch wurde von der Preisjury der in den USA beheimateten internationalen “Syrian Studies Association“ mit dem Buchpreis für das Jahr 2017 ausgezeichnet. Die Begründung lautet:  „Mattia Guidetti’s In the Shadow of the Church:the Building of Mosques in Early Medieval Syria is an extremely important contribution to the history of medieval Syria and addresses a key, long-recognized lacuna in Islamic art history: the integration of the narrative of Islamic art with that of the art of Late Antiquity. It argues against aparadigm of “rupture” with the coming of Islam by successfully demonstrating that Early Syrian mosques were deeply influenced by Late Antique Church forms, and that the development of the mosque should thus be viewed as arising out of Church development in the period immediately prior to the rise of Islam. While a handful of historians have successfully integrated the history of early Islam into the world of Late Antiquity of which it was clearly a part, this is one of the first, and to date the most sustained, attempts to do so within the field of Art History. The committee was particularly impressed by Guidetti’s exploration of the premodern mechanisms of coexistence among religious communities in medieval Syria. Likewise, Guidetti’s contribution to the study of cultural transference of ideas and objects via his examination of spolia—architectural elements reused from earlier Roman and Christian-era monuments—was outstanding.Guidetti’s rich and deeply researched book opens a new chapter in the field of the Art History of Syria and promises to remain influential for years.“ Die Auszeichnung bringt die Aufnahme in die Preiskommission für die nächsten beiden Jahre.
Friedrich Polleroß    Fotos: Institut für Kunstgeschichte, Mattia Guidetti