St. Stephan in Wien. Die "Herzogswerkstatt"

Bilder: Rudolf-Kenotaph und Details von den Fürstenportalen

Als Pfarrkirche der Wiener und Wienerinnen, Repräsentationsobjekt der Landesfürsten und schließlich als Bischofskirche hat sich das Aussehen von St. Stephan über mehrere Jahrhunderte historisch verändert.
Seit ca. 200 Jahren beschäftigt sich die Forschung mit der Baugeschichte, ging von einer Reihe von Vorgängerbauten an derselben Stelle aus und meinte mit Herzog Rudolf IV. (1339-1365) einen großzügigen Bauherrn der gotischen Kirche gefunden zu haben, die vom Baumeister Hans Puchsbaum (ca. 1390-1454) vollendet wurde. Die sogenannte „Herzogswerkstatt“ soll damals auch, wohl im Auftrag Rudolfs IV., für die figurale Ausstattung der Kirche gesorgt haben, wozu im allgemeinen das Singer- und Bischofstor des Kirchenlanghauses, die Fürstenfiguren am Südturm und der Westfassade sowie die Liegefiguren des Fürstenpaares am Kenotaph gezählt werden.
In jahrelanger Forschungsarbeit hat der Architekturhistoriker Johann Josef Böker die Stephanskirche untersucht und kommt mit seinen bauarchäologischen Beobachtungen in jeder Hinsicht zu neuen Ergebnissen: Nicht Herzog Rudolf IV. und Hans Puchsbaum  finden sich nunmehr im Zentrum des gotischen Baugeschehens, denn die von Rudolf IV. initiierten Ausbauten hätten letztendlich nur einen Umbau des kurz vorher fertig gestellten Hallenchors, die Errichtung der Untergeschosse der westlichen Kapellen, sowie die Grundsteinlegung des Südturms betroffen. Die Langhausausbauten wären zur Gänze nachrudolfinisch. Die kurze Regierungszeit Rudolfs IV. und die stilistisch uneinheitliche Ausführung lassen auf einen längeren Planungsvorgang schließen.
Diese neuen Forschungsanalysen lassen sich aber mit den bisherigen Erkenntnissen nur schwer in Einklang bringen. Und bei genauer Betrachtung der gesamten Forschungsliteratur zeigt sich, dass nicht alle für die Argumentation notwendigen Schriftquellen herangezogen oder im Kontext erfasst, der Aussagewert beziehungsweise ihre Existenz geprüft wurden. Letztendlich beruht die Interpretation der Baugeschichte der Wiener Stephanskirche auf einer scheinbar aufgearbeiteten schriftlichen Überlieferung.
Die Fragen, wie sich der Bauverlauf der Wiener Stephanskirche in seinem zeitgenössischen Umfeld gestaltete und wie das Baukonzept Rudolfs IV. für St. Stephan aussah, welche Visionen er verfolgte, als er diese Kirche zur Grablege wählte, werden allerdings nur schwer zu lösen sein, wenn man sich nicht erneut den Quellen selbst, also den Bau- und Bildwerken aber auch den Schriftquellen, zuwendet. Diesem Forschungsdesiderat widmet sich die - in mehreren Werkstattgesprächen vorbereitete - im Oktober 2016 stattfindende internationale Tagung St. Stephan in Wien. Die „Herzogswerkstatt“.

 


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